Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Wie Brüssel und London wieder zueinanderfinden wollen

Der Liebesentzug der Amerikaner und die Bedrohung aus Russland zwingen Europa und Großbritannien zum Überdenken ihrer Beziehung. Wie viel Nähe halten beide Seiten aus?

Die Chemie zwischen dem britischen Premier Keir Starmer und EU-Kommissionschefin von der Leyen stimmt schon mal. (Archivbild)
Foto: Justin Tallis/Pool AFP via AP/dpa

Beim ersten Treffen zwischen Großbritannien und der EU seit dem Brexit wollen beide Seiten wieder näher zusammenkommen. Dies ist ein bedeutender symbolischer Akt. Der Konflikt in der Ukraine und die Ablehnung der US-Regierung unter Donald Trump lassen London und Brüssel kaum eine andere Möglichkeit.

Was ist von dem Gipfel zu erwarten?

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der EU-Ratspräsident António Costa, die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas und der mit Großbritannien befasste EU-Kommissar Maros Sefcovic sollen im prunkvollen Lancaster House in London empfangen werden.

Jedoch wird die Feierlichkeit des Rahmens angesichts des Wahlsiegs der Rechtspopulisten und Brexit-Befürworter Nigel Farage bei den Kommunalwahlen in England in Frage gestellt. In London besteht die Sorge, dass eine zu enthusiastische Annäherung an Brüssel auch bei US-Präsident Donald Trump auf Ablehnung stoßen könnte.

Trotzdem gab sich der britische Premierminister Keir Starmer wenige Tage vor dem Treffen optimistisch: «Ich bin zuversichtlich, dass wir wirklich große Fortschritte machen werden am Montag.»

Gibt es einen Verteidigungspakt?

Im Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit spielte das Thema Verteidigung keine Rolle. Damals war der Krieg in der Ukraine noch weit weg, die Briten wollten das Thema im Rahmen der Nato und bilateraler Beziehungen regeln. Doch seit Russlands großangelegtem Einmarsch in sein Nachbarland und der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus hat sich das geändert. Beide Seiten scheinen mehr denn je aufeinander angewiesen. «Großbritannien und die EU müssen in diesen geopolitisch schwierigen Zeiten zusammenhalten», sagte Kallas vor dem Treffen dem «Tagesspiegel».

Die EU beabsichtigt, einen Fonds in Höhe von 150 Milliarden Euro einzurichten, aus dem Mitgliedstaaten Rüstungsprojekte finanzieren können. London möchte, dass die einheimische Rüstungsindustrie von Aufträgen profitiert. Ein Verteidigungs- und Sicherheitsabkommen soll diesen Weg ebnen. Experten warnen jedoch davor, dass dies nicht umsonst für die Briten sein wird. Es wird auch erwogen, dass die Briten an EU-Missionen teilnehmen könnten.

«Die Vereinbarung wird voraussichtlich regelmäßigere Dialoge über Außenpolitik, Verteidigung und Sicherheit ermöglichen», sagte Jannike Wachowiak von der Londoner Denkfabrik UK in a Changing Europe bei einem Pressegespräch. Dabei könnten auch Bereiche wie hybride Bedrohungen, Cybersicherheit und der Nahe Osten zum Thema werden.

How much is the fish?

Fischerei war schon während des Brexit-Referendums ein großes Thema – obwohl die Branche nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht. «Wir haben unseren Fisch zurück. Es sind jetzt britische Fische und dafür umso bessere und glücklichere Fische», jubilierte der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, nachdem die Quoten für EU-Fischer in den fischreichen britischen Gewässern durch den endgültigen EU-Austritt Anfang 2021 deutlich sinken sollten.

Die aktuelle Verteilung läuft im nächsten Jahr aus und soll dann jährlich neu verhandelt werden. Insbesondere Frankreich möchte, dass die bisherige Regelung beibehalten wird. Es wird gemunkelt, dass Paris sich mit dieser Forderung durchgesetzt hat.

Dürfen EU-Bürger auf Visa-Erleichterungen hoffen?

Die Bundesregierung drängt seit langem auf ein Programm für junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren, um in Großbritannien zumindest für eine begrenzte Zeit zu studieren und zu arbeiten. Die Briten sind jedoch bisher dem Austauschprogramm Erasmus für Studierende nicht wieder beigetreten.

Die Labour-Partei lehnte den Vorschlag der EU-Kommission für ein Youth Mobility Scheme im April des vergangenen Jahres brüsk ab. Es wurde erklärt, dass man nicht zur Personenfreizügigkeit zurückkehren werde, die es EU-Bürgern ermöglichte, sich problemlos in Großbritannien niederzulassen. Allerdings zeigt sich nun mehr Flexibilität, da es wahrscheinlich nur um einen sehr begrenzten Umfang geht.

Was sind die roten Linien?

Die britische Regierung betont weiterhin die Bedeutung, möglichst wenig Angriffsfläche für Farage und seine Partei Reform UK zu bieten, die in Umfragen mittlerweile vor Labour und den Konservativen liegt. Sie betont daher konsequent, dass es keine Rückkehr in den Binnenmarkt oder die Zollunion geben wird – obwohl dies der Wirtschaft den größten Schub bringen würde.

Aufseiten Brüssels gibt es weiterhin die Sorge, Großbritannien könne durch «Rosinenpicken» Begehrlichkeiten bei anderen Partnern wecken, sich Privilegien zu verschaffen, ohne dafür Verpflichtungen einzugehen. Ohne Beiträge zum EU-Haushalt und Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfen sich die Briten kaum Hoffnungen auf weitreichende Erleichterungen beim Marktzugang zur EU machen. 

Welches No-Go dürfte fallen?

Es wird erwartet, dass Starmer trotz aller Vorsicht ein paar heilige Kühe der Brexit-Puristen schlachten wird, wie zum Beispiel das Nein zur dynamischen Angleichung an EU-Regeln für Tier- und Pflanzenhygiene und die Ablehnung einer Rolle für den Europäischen Gerichtshof bei gemeinsamen Vereinbarungen. Dies soll die Möglichkeit für ein Abkommen zur Lebensmittelsicherheit schaffen, das die durch den Brexit entstandene Bürokratie verringern und den Handel mit Lebensmitteln wieder erleichtern soll.

Wo ist noch engere Zusammenarbeit zu erwarten?

Es ist wahrscheinlich, dass es auch Fortschritte in den Bereichen Energie und Emissionshandel geben wird. Die EU-Seite hofft grundsätzlich darauf, dass beim Treffen zunächst die Grundlagen für eine tiefere zukünftige Zusammenarbeit gelegt werden.

dpa