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Die Drohnenrevolution in der Kriegsführung

Experten sind sich einig: Drohnen verändern die Kriegsführung grundlegend, doch ihr volles Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft.

Eine US-amerikanische Drohne vom Typ MQ-9 (Archivbild).
Foto: Massoud Hossaini/MH/AP/dpa

Es ist Herbst 1916. In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs toben verlustreiche und festgefahrene Gefechte. Unter strenger Geheimhaltung setzten die Briten in der Schlacht an der Somme erstmals Panzer ein. «Alle waren verblüfft, als sie dieses außergewöhnliche Monster über den Boden kriechen sahen», erinnert eine Zeitzeugenstimme im Podcast des Imperialen Kriegsmuseums in London. Zwar führt der Einsatz damals nicht zum erhofften Durchbruch, die Schlachtfelder sind jedoch für immer verändert.

Ähnlich dürfte auch die Drohnentechnologie die Kriegsführung revolutioniert haben. Während viele Länder bisher auf hochmoderne und teils bewaffnete Aufklärungsdrohnen gesetzt haben, werden immer mehr Kamikaze-Modelle mit vergleichsweise kostengünstiger Bauweise eingesetzt. Die iranischen Drohnen des Typs Shahed 136 beispielsweise durchkreuzen den Himmel, bevor sie auf ihre Ziele zusteuern und explodieren. Laut Experten befindet sich die Kriegsführung mit Drohnen jedoch noch in einem frühen Stadium.

Experte: Drohnentechnologie in Kriegsführung in frühem Stadium

«Was Drohnen anbelangt, steht man immer noch relativ nah am Anfang, was die Frage der Einsatz- und Designkonzepte anbelangt», sagt der Militärexperte Fabian Hinz vom Internationalen Institut für Strategische Studien in Berlin. Mit Drohnen seien Staaten in etwa so weit, wie mit Panzern Anfang der 1920er Jahre. «Drohnen funktionieren bereits sehr gut, aber niemand weiß so richtig, wie man sie am besten einsetzt. Vielleicht ist man mittlerweile ein bisschen weiter durch den Krieg in der Ukraine.»

Insbesondere die iranischen Kamikaze-Drohnen seien eine ganze Weile als sehr spezielle Fähigkeit wahrgenommen worden. «Die Iraner haben versucht, billige Systeme zu bauen, weil sie keine besonders gute Luftwaffe haben», erklärt Hinz. Mittlerweile sei das Konzept der Langstrecken-Kamikaze-Drohnen für den Einsatz durch den Krieg in der Ukraine jedoch Mainstream geworden. Andere Staaten wie China versuchen, diesen Drohnentyp zu kopieren. Und auch mit dem Iran verbündete militante Gruppen nutzen Drohnen, um Angriffe auf Ziele in Hunderten Kilometern Entfernung zu fliegen.

Lange Zeit hat Luftüberlegenheit in Konflikten eine entscheidende Rolle gespielt. War die eigene Luftwaffe überlegen, galten Gebiete jenseits der Frontlinien in alten Konflikten als sicher. «Drohnen, ballistische Raketen und auch Cruise Missiles ändern diese Kalkulation», sagt Hinz. Ein Beispiel sei die Huthi-Miliz im Jemen, die Saudi-Arabien und jüngst seit Beginn des Gaza-Kriegs auch Ziele im Roten Meer mit Drohnen angegriffen hat. «Dass sie über so eine große Reichweite verfügen und störende Angriffe durchführen können, ist einfach nur der Tatsache bedingt, dass man jetzt diese Technologien hat.»

Drohnen gehören im Ukraine-Krieg zu den wichtigsten Waffen

Im Ukrainekrieg sind Drohnen bereits zu den wichtigsten und allgegenwärtigen Waffen geworden. Täglich beschießen sich die Kriegsparteien massenhaft mit den unbemannten Flugkörpern, die vor allem die Flugabwehr auf beiden Seiten herausfordern – und weniger Ziele zerstören. Immer wieder verursachen Trümmer abgeschossener Drohnen Schäden an Wohnhäusern, Industriegebäuden und Energieanlagen.

In beiden Ländern gibt es einen Aufschwung bei Erfindungen und Herstellern, die Vielzahl an verschiedenen Drohnen, Unternehmen und Start-ups in diesem Bereich ist kaum noch zu überblicken. In Russland berichten Staatsmedien auch über die Volksdrohne Upyr (Deutsch: Blutsauger), die Bürger und Kriegskorrespondenten ohne staatliche Unterstützung selbst entwickelt haben – zum Preis von etwa 500 Euro pro Stück. Es herrscht mittlerweile ein regelrechter Wettlauf um die Produktion neuer, leistungsfähiger Drohnen.

Es gibt Drohnen für die Luft, für das Wasser; welche, die kleine, andere, die größere Sprengsätze mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Reichweiten haben. Nicht zuletzt werden viele für die militärische Aufklärung genutzt. Es gebe immer bessere Neuentwicklungen, sagt der russische Militärexperte Andrej Klinzewitsch. «Je mehr davon an der Front sind, desto schneller kommen wir dem Sieg näher.»

Schnelle Tests in der Kampfzone möglich

Auch weitere Experten für Militär betonen, dass sich die Entwicklungen vor allem nach den Anforderungen an der Front richten. Vieles kann schnell in der Kampfzone getestet und angepasst werden. Die Flugkörper werden auch mit Nachtsichtgeräten und künstlicher Intelligenz ausgestattet. Es werden demnach neben Drohnen, die militärische Ziele wie Flugplätze oder Treibstoffdepots zerstören, auch einfache und kostengünstige Flugkörper benötigt, die vor allem die mit teuren Raketen bestückte Flugabwehr des Gegners entlasten sollen.

Beide Konfliktparteien veröffentlichen regelmäßig Videos davon, wie Drohnen in Panzer eindringen oder einzelne Soldaten in Schützengräben attackieren. Laut russischen Behörden wurden mittlerweile Hunderttausende der von einer Person mit Videobrille gesteuerten kleinen FPV-Drohnen produziert, an die einfach Sprengsätze montiert oder geklebt werden, sowie Zehntausende der schweren Kampfdrohnen.

Trotz der westlichen Sanktionen kommen fertige Drohnen oder Bauteile aus China und anderen Ländern nach Russland. Der Minister für Industrie und Handel, Denis Manturow, gab kürzlich bekannt, dass die Regierung in den nächsten drei Jahren etwa eine Milliarde Euro für die Entwicklung von Drohnen ausgeben möchte. Auch Kremlchef Wladimir Putin hat eindringlich zu verstärkten Bemühungen aufgerufen.

Selenskyj: Eine Million Drohnen als Jahresziel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betrachtet Drohnen auch als einen Weg, um Russland zu besiegen. Er hat seiner Rüstungsindustrie das Ziel gesetzt, in diesem Jahr mindestens eine Million davon herzustellen. Drohnen vom Typ UJ-22 Airborne haben kürzlich bis tief ins russische Landesinnere vorgedrungen, wobei eine davon im letzten Jahr über dem Kreml abgeschossen worden sein soll. In der Ukraine sorgten zuletzt Drohnenangriffe auf Ziele im russischen Hinterland für Aufsehen. Es war zunächst unklar, ob dabei die Kampf- und Aufklärungsdrohne Sokil-300 (Deutsch: Falke) mit einer Reichweite von bis zu 3000 Kilometern eingesetzt wurde, mit der sogar Ziele in Sibirien erreicht werden können.

Auch bei dem massiven Angriff der iranischen Revolutionsgarden auf Israel Mitte April kamen Dutzende Drohnen begleitet von Raketenschlägen zum Einsatz. Der Militärexperte Hinz bewertet die Attacke als Versuch, die Verteidigungssysteme mit der Masse verschiedener Systeme zu überwältigen. «Der Angriff ist weit oben am Spektrum dessen angesiedelt, wozu sie fähig sind», erklärt Hinz. Er habe aber nicht die Resultate gebracht, die sich Teheran erhofft habe. «Wenn Sie einen so massiven Angriff ausführen, der erfolgreich abgewehrt wird, dann wirft das ein schlechtes Licht auf die eigenen Abschreckungsfähigkeiten.»

dpa