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Wie geht es jetzt mit Tiktok weiter?

Für Tiktok wird es ernst: Ein US-Gesetz, das einen Eigentümerwechsel bei der Kurzvideo-App erzwingen soll, ist nun in Kraft. Das Ultimatum könnte Tiktok für alle Nutzer verändern.

Mehr als 170 Millionen Nutzer hat Tiktok allein in den USA.
Foto: Monika Skolimowska/dpa

Die Uhr tickt für Tiktok: Die beliebte Kurzvideo-App wird in einem Jahr in den USA nicht mehr verfügbar sein, wenn sie immer noch im Besitz des in China ansässigen Unternehmens Bytedance ist. Tiktok kämpft zwar mit ähnlichen Problemen wie andere Online-Plattformen: extremistische Inhalte, potenziell gefährliche Trends und Vorwürfe der Suchtgefahr. In diesem Fall jedoch rückt die US-Politik das Risiko der Datensammlung und Propaganda durch China in den Vordergrund.

Was passiert jetzt?

Nichts passiert zunächst sofort. Das Gesetz erlaubt Bytedance, Tiktok neun Monate lang an einen von den USA akzeptierten Investor zu verkaufen. US-Präsident Joe Biden kann die Frist um drei weitere Monate verlängern, wenn er Fortschritte in den Verkaufsverhandlungen sieht. Tiktok hat jedoch bereits angekündigt, dass es zunächst vor Gericht gehen und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen wird. Als Erstes wird das Unternehmen wahrscheinlich eine einstweilige Verfügung beantragen, um den Countdown auszusetzen.

Wie stehen die Chancen, dass Gerichte das Gesetz stoppen?

Das ist keineswegs unrealistisch. Tiktok kritisiert den Plan als Verletzung der Redefreiheit, die in der US-Verfassung verankert ist. Ein ähnliches Gesetz im Bundesstaat Montana wurde von einem Gericht genau aus diesen Gründen vorläufig gestoppt. Als Bundesgesetz hat das gegenwärtige Vorgehen jedoch eine solide rechtliche Grundlage im Gegensatz zu Donald Trumps Drohung, die App im Jahr 2020 per Präsidentenerlass zu verbieten. Damals entschieden Richter auch, dass er seine Befugnisse überschritten hatte.

Warum soll Tiktok einen neuen Besitzer bekommen?

Befürworter des Eigentümerwechsels betonen hauptsächlich zwei Risiken: Chinesische Behörden könnten Zugang zu Informationen von mehr als 170 Millionen US-Nutzern erhalten – und China könnte die Plattform nutzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Tiktok hat immer darauf hingewiesen, dass sie nie solche Anfragen von Behörden erhalten haben und diesen auch nicht nachgekommen wären. Das Gesetz verbietet grundsätzlich Apps von Betreibern, die als feindlich betrachtet werden.

Gibt es Beweise für solche Tiktok-Gefahren?

Es gibt zumindest keine öffentlich zugänglichen Informationen dazu. Einige US-Kongressmitglieder äußerten nach vertraulichen Briefings durch das FBI und Geheimdienste zwar ihr Entsetzen über Chinas Fähigkeit, Tiktok für Datensammlung und Propaganda zu nutzen. Allerdings sind bisher keine Details dazu bekannt.

Was könnte man theoretisch aus Tiktok-Daten erfahren?

Es kann für rivalisierende Staaten sehr nützlich sein zu wissen, wofür sich Millionen von Menschen in einem Land interessieren. Noch wertvoller ist es, wenn man Profile einzelner Personen kennt – und Forscher haben mehrfach gezeigt, wie durch die Analyse von Daten aus verschiedenen Quellen auch anonyme Accounts Rückschlüsse auf konkrete Personen ermöglichen. Tiktok bestreitet, dass so etwas passiert. Gleichzeitig ist Online-Spionage aus China durchaus real. Mehrere große Daten-Hacks stammen nach Experten aus dem Land.

Wenn Tiktok so riskant ist, warum haben dann kürzlich das Wahlkampfteam von Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz die Plattform betreten?

Dort können junge Menschen erreicht werden. Vor der Präsidentschaftswahl im November ist das besonders wichtig für Biden – daher war ein Tiktok-Verbot in seiner Demokratischen Partei immer umstritten.

Was könnte das Gesetz für Nutzer in anderen Ländern bedeuten?

Eine Verbannung von Tiktok aus europäischen App-Stores ist nicht geplant. Allerdings könnte sich die App für alle ändern. Das Geheimnis des Erfolgs von Tiktok liegt im Algorithmus, der bestimmt, welcher Clip als nächstes angezeigt wird. Die Software analysiert auch, wie lange man sich ein Video ansieht, bevor man weiterscrollt.

Es ist unklar, ob der Algorithmus bei einem Verkauf von Tiktok beibehalten würde. In den USA wird eher versucht, ihn durch einheimische Technologie zu ersetzen. Die App könnte dadurch eine andere Benutzererfahrung bieten. Zudem könnten bekannte Tiktoker aufgrund des drohenden US-Verbots zu anderen Plattformen wechseln – schließlich bieten auch Instagram und YouTube eine Funktion für Kurzvideos.

Sind die USA das erste Land, in dem Tiktok das Aus droht?

Indien hat bereits 2020 Tiktok zusammen mit vielen anderen chinesischen Apps verboten. Nutzer und Videomacher sind hauptsächlich zu YouTube und Instagram gewechselt.

Leitete die EU-Kommission auch Ermittlungen gegen Tiktok?

Ja, aber es handelt sich um ein anderes Problem. Die Kommission war besorgt darüber, dass der Dienst in Frankreich und Spanien ohne eine Risikobewertung eine App namens Tiktok Lite gestartet hat, bei der Nutzer Punkte für das Anschauen von Videos sammeln können. Die Behörde befürchtet dadurch eine Suchtgefahr. Tiktok hat die Funktion ausgesetzt. Aufgrund der Risiken aus China hat die Kommission bereits im vergangenen Jahr ihre Mitarbeiter angewiesen, die App von Dienst-Telefonen zu löschen.

Sind Bytedance und damit auch Tiktok überhaupt chinesisch?

Das wird vom Unternehmen selbst bestritten. Die Hauptbegründung ist, dass Bytedance zu 60 Prozent im Besitz internationaler Investoren ist und der eingetragene Firmensitz sich auf den Cayman-Inseln in der Karibik befindet. Das Gegenteil wird argumentiert, dass die chinesischen Gründer mit einem Anteil von 20 Prozent die Kontrolle dank höherer Stimmrechte behalten und Bytedance eine große Zentrale in Peking hat, wodurch man sich dem Einfluss der Regierung nicht entziehen kann. Es wird unter anderem auf ein Gesetz hingewiesen, das die Zusammenarbeit bei Anfragen von Sicherheitsbehörden vorschreibt.

Wie geht Tiktok nach eigenen Angaben mit den Nutzerdaten um?

Der Dienst versicherte stets, dass Daten amerikanischer Nutzer nur in den USA und in Singapur gelagert würden. Um Vertrauen zu gewinnen, setzte Tiktok auf «Project Texas»: Datenspeicherung nur in den USA, Überwachung des Zugangs dazu sowie des Quellcodes der App durch Experten des US-Konzerns Oracle. Das überzeugte die US-Politik nicht. In Europa laufen ähnliche Maßnahmen mit «Project Clover» in Irland.

Könnte Tiktok auch ohne ein Geschäft in den USA überleben?

Es ist möglich, da die App mehr als eine Milliarde Nutzer hat. Allerdings sind die USA ein bedeutender Online-Markt – und das Wachstum konkurrierender Kurzvideo-Plattformen dort könnte sich auch auf andere Regionen der Welt auswirken.

Wer könnte Tiktok kaufen – und wie teuer könnte das werden?

Ein fairer Preis könnte sich auf mehrere Dutzend Milliarden Dollar belaufen. Die amerikanischen Tech-Giganten, die dies problemlos stemmen könnten, kommen aus Wettbewerbsgründen höchstwahrscheinlich nicht als Käufer in Frage. Der ehemalige US-Finanzminister Steven Mnuchin hat bereits angekündigt, dass er eine Investorengruppe zusammenstellt. Es ist unklar, wer daran teilnimmt.

dpa