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Appelle für Waffenruhe – Angriffe in Nahost gehen weiter

Trotz des internationalen Aufrufs für eine Waffenruhe bekämpfen sich Israel und die Hisbollah weiter. Die Sorge vor einer Eskalation wächst. Sendet Netanjahu vor den UN ein Zeichen der Entspannung?

Das israelische Luftabwehrsystem Iron Dome fängt Raketen ab. (Archivbild)
Foto: Baz Ratner/AP/dpa

Die Chancen auf Erfolg für den von den USA, Deutschland und anderen Ländern geforderten Waffenstillstand im Konflikt zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz sind ungewiss. Viele Regierungsvertreter warnen eindringlich vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten, aber die gegenseitigen Angriffe dort gehen unvermindert weiter. Im Libanon wurden laut Behördenangaben innerhalb eines Tages fast 100 Menschen getötet, auch im Gazastreifen sterben weiterhin praktisch stündlich Menschen. Mit Spannung wird die Rede des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu am Freitag vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York erwartet.

Eine Staatengruppe um die USA und Deutschland sowie einflussreiche arabische Länder fordert eine Kampfpause von 21 Tagen, um in der Zeit eine diplomatische Lösung des Konflikts zu erreichen. Laut der israelischen Zeitung «Haaretz» sollen die angestrebten Verhandlungen zu einem Ende des Kriegs in der Region und auch zur Freilassung der noch immer von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln aus Israel führen. Der Aufruf zur Waffenruhe war nach US-Darstellung mit der israelischen Seite abgestimmt. Netanjahu machte allerdings schnell deutlich, dass man die Hisbollah weiter angreifen werde. Viele Staaten haben dennoch die Hoffnung, dass er bei den UN ein Signal der Entspannung senden könnte. 

Internationale Stimmen dringen auf Annahme des Vorschlags

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin haben davor gewarnt, dass es verheerende Konsequenzen haben könnte, wenn sich Israel und die Hisbollah nicht einigen. Scholz betonte bei einem Treffen mit dem israelischen Oppositionspolitiker Benny Gantz, dass er eine diplomatische Lösung für möglich halte. Auch Außenministerin Annalena Baerbock warnte in New York vor einer umfassenden regionalen Eskalation.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte mit Blick auf Israel, es sei absolut unverantwortlich, den Libanon in die Spirale hineinzuziehen. Das palästinensische Volk habe das Recht auf einen eigenen Staat. Ihm diesen zu verwehren, werde «die Sicherheit Israels und aller Juden untergraben». Libanons Außenminister Abdullah Bou Habib forderte ein internationales Eingreifen. 

Israels Militär soll im Libanon «weitere Missionen erfüllen»

Unterdessen kündigte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant weitere Militäreinsätze im Libanon an. «Wir müssen noch weitere Missionen erfüllen», um die sichere Rückkehr vertriebener Israelis in ihre Häuser im Norden zu ermöglichen, sagte er nach Angaben seines Büros. Israels Regierung hat dies zu einem ihrer Kriegsziele erklärt und will die Hisbollah deshalb dazu zwingen, sich aus dem Grenzgebiet zurückzuziehen.

Israelische Bodentruppen haben laut Militärberichten eine Übung für Kampfeinsätze in bergigem Gelände mit dichter Vegetation nahe der libanesischen Grenze abgeschlossen. Die Armee Israels bereitet sich auf eine potenzielle Bodenoffensive im nördlichen Nachbarland vor. Möglicherweise handelt es sich jedoch auch um militärische Drohgebärden, um die Hisbollah zu einer diplomatischen Lösung zu zwingen.

Angriffe dauern an – viele Tote an nur einem Tag

Die israelische Armee hat laut eigenen Angaben 220 Ziele im Nachbarland angegriffen, die der Hisbollah zugeordnet werden – darunter einzelne Milizionäre, Waffenlager und Raketenwerfer. Im Gegenzug wurden etwa 170 Geschosse aus dem Libanon auf israelisches Gebiet abgefeuert. Laut dem libanesischen Gesundheitsministerium kamen bei israelischen Bombardements innerhalb eines Tages mindestens 92 Menschen ums Leben, mehr als 150 wurden verletzt.

Bei einem Angriff in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut wurde erneut ein bedeutendes Mitglied der Hisbollah getötet. Der Leiter der Drohnen-Einheit der Miliz, Mohammed Hussein Srur, hat viele Angriffe mit Drohnen und Marschflugkörpern auf Israel geleitet, erklärte das Militär. Die Hisbollah bestätigte seinen Tod.

Laut eigenen Angaben feuerte die vom Iran unterstützte Schiiten-Miliz unter anderem 80 Raketen auf die israelische Stadt Safed ab. Israelischen Berichten zufolge traf eine Rakete ein Haus in einem benachbarten Ort, wobei ein Mann durch Granatsplitter verletzt wurde.

In mehreren Bereichen im Zentrum Israels und in der Küstenstadt Tel Aviv wurde in der Nacht erneut Raketenalarm ausgelöst. Die Warnsirenen wurden laut Armee als Reaktion auf ein – letztlich abgefangenes – Geschoss aus dem Jemen aktiviert, wo die islamistischen Huthi-Rebellen regelmäßig Raketen auf Ziele in Israel abfeuern. Zuletzt wurde am Mittwoch Raketenalarm ausgelöst, als erstmals ein von der Hisbollah abgefeuertes Geschoss bis in den Großraum Tel Aviv gelangte.

Menschen flüchten selbst ins Bürgerkriegsland Syrien

Aufgrund der intensiven israelischen Luftangriffe mit über 700 Toten seit Montag suchen im Libanon Zehntausende Zuflucht in Notunterkünften. Laut Angaben des Innenministeriums wurden dort bisher über 70.000 Vertriebene aufgenommen.

Es ist derzeit schwierig, die genaue Anzahl der Binnenvertriebenen zu bestimmen. Einige sind bei Verwandten untergekommen, andere schlafen auf der Straße. Laut dem libanesischen Gesundheitsminister Firass Abiad geht man von 400.000 bis 500.000 Binnenvertriebenen aus.

Syrer im Libanon vor schwerer Entscheidung

Laut dem libanesischen Innenministerium sind seit Montag rund 13.500 Menschen nach Syrien geflohen, hauptsächlich syrische Staatsbürger. Das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtet jedoch auch von libanesischen Flüchtlingen, die in das Nachbarland geflohen sind, in dem seit 2011 Bürgerkrieg herrscht.

Im Libanon, mit nur etwa sechs Millionen Einwohnern, leben laut Regierungsangaben 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. In den vergangenen Tagen kamen bei israelischen Bombardements mehr als 100 von ihnen ums Leben, wie die Syrische Beobachtungsstelle mit Sitz in London berichtete. Die Menschen, die vor dem Krieg in ihrem Land geflohen sind, stehen vor schwierigen Entscheidungen: entweder im Libanon bleiben und dem israelischen Beschuss ausgesetzt sein oder in von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete zurückkehren, wo ihnen Festnahme und Verschleppung drohen.

Auch Kämpfe im Gazastreifen gehen weiter

Die Kämpfe im Gazastreifen dauern weiter an, während im Libanon Bombardements stattfinden. Laut palästinensischen Angaben kamen bei einem israelischen Angriff auf ein ehemaliges Schulgebäude im Norden mindestens elf Menschen ums Leben, 22 weitere wurden verletzt. Unter den Toten waren angeblich auch Minderjährige, wie die Hamas-Gesundheitsbehörde im Gazastreifen berichtete. Das Gebäude im Flüchtlingsviertel Dschabalija soll Vertriebene beherbergt haben.

Israels Armee hat mitgeteilt, dass Terroristen der islamistischen Hamas das Gebäude der ehemaligen Schule als Kommandozentrale genutzt und dort Anschläge auf den jüdischen Staat geplant haben. Vor dem Angriff hat die Armee zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr für Zivilisten zu minimieren. Israel beschuldigt die Hamas, sich gezielt in zivilen Gebäuden zu verstecken und Unschuldige als menschliche Schutzschilde zu benutzen. Die Informationen beider Seiten sind in der Regel schwer unabhängig zu überprüfen.

dpa