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Wird Scholz jetzt zur «lahmen Ente» Europas?

Nur 24 Stunden nach dem Ampel-Crash lässt sich Kanzler Scholz wieder auf der europäischen Bühne blicken. Gilt er dort jetzt als Kanzler auf Abruf?

Dringt auf schnelle politische Klarheit in Deutschland: EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz setzt seine Arbeit fort, als ob nichts passiert wäre. Am Freitagmorgen tritt er auf der Dachterrasse seines Hotels hoch über der Donau vor der Kulisse der Budaer Burg vor die Kameras. Obwohl er noch etwas mitgenommen vom Ampel-Crash in Berlin aussieht, spult er das Programm des EU-Gipfels routiniert wie gewohnt ab.

Es geht um den Wahlsieg Trumps, Europa muss jetzt enger zusammenrücken, seine Wettbewerbsfähigkeit stärken, sagte Scholz. Zwei Minuten und 40 Sekunden, keine Fragen, dann geht’s ins Puskas-Stadion zu den Beratungen mit den anderen 27 Staats- und Regierungschefs der EU.

Scholz ist aufgrund der Regierungsturbulenzen mit Verspätung in der ungarischen Hauptstadt Budapest angekommen. Den vorherigen Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat er aufgrund der Turbulenzen in Berlin verpasst. Am Donnerstag musste er noch die notwendigen Reparaturen an seiner geplatzten Regierung abschließen und kam erst zum Abendessen, wo die instabile Situation in Deutschland zumindest am Rande diskutiert wurde.

Scholz habe geschwächt gewirkt, sagt ein Diplomat, der dabei war. Das internationale Medienecho auf den Ampel-Crash war angesichts der fragilen weltpolitischen Lage von Beunruhigung geprägt. Ausgerechnet an dem Tag, an dem in den USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt wird, zerlegt sich die Regierung der größten europäischen Volkswirtschaft selbst, so der Tenor. «Gestern Abend ist Deutschland politisch zur lame duck, zur lahmen Ente, geworden, mit einer Regierung, die wahrscheinlich nicht regierungsfähig ist und deren Schicksal besiegelt scheint», schrieb etwa die italienische «La Stampa» nach dem denkwürdigen Mittwochabend, an dem die Regierungskoalition zerbrach.

Außenpolitisches Tagesgeschäft läuft normal weiter

Sind die Auswirkungen auf die Rolle und das Ansehen in der Welt wirklich so dramatisch? Scholz regiert weiterhin mit einer rot-grünen Minderheitsregierung und kann ohne die Opposition keine Gesetze mehr verabschieden. Für das außenpolitische Tagesgeschäft benötigt Scholz jedoch keine Mehrheit im Parlament. Seine Regierung kann beispielsweise Migrationsabkommen mit anderen Ländern beschließen, Waffenlieferungen an Israel genehmigen oder die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland initiieren, ohne den Bundestag zu konsultieren.

Ohne das Parlament ist jedoch nichts möglich, wenn es um Geld geht – beispielsweise wenn es um zusätzliche Milliarden für die Ukraine geht. In den Ampel-Verhandlungen wollte Scholz erneut die Schuldenbremse aussetzen. Am Ende scheiterte die Koalition.

EU-Partner dringen auf Tempo bei Neuwahlen

Das Ampel-Aus wird von der EU in Brüssel und anderen Hauptstädten der Mitgliedstaaten weitgehend bedauert. In den letzten drei Jahren war man dort oft frustriert darüber, dass Deutschland sich zu wichtigen Themen erst nach langen internen Diskussionen zwischen den Regierungsparteien SPD, FDP und Grünen positionieren konnte – oder am Ende überhaupt nicht.

Das machte schnelle Fortschritte bei EU-Projekten schwer, wie zum Beispiel bei der großen Asylreform, dem Lieferkettenkettengesetz oder strengeren Klimaschutz-Auflagen für die Autoindustrie. «German Vote» heißt es in Brüssel etwas abfällig, wenn sich Deutschland wegen Streitigkeiten in der Koalition bei Abstimmung enthält.

Dementsprechend offen wird nun von konservativen europäischen Spitzenpolitikern Druck auf Scholz gemacht, eine lange Hängepartie zu vermeiden. «Ich rufe zu politischer Stabilität auf und appelliere an alle Akteure, verantwortungsvoll zu handeln», sagte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in Budapest. «Europa ist nicht stark ohne ein starkes Deutschland. Das ist wichtig für uns.» Staats- und Regierungschefs äußerten sich ähnlich. «Ich hoffe (…) auf eine deutsche Lösung, so schnell wie möglich», sagte Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson. Innenpolitische Turbulenzen seien in jedem Land problematisch.

Scholz gilt nicht als Brückenbauer – Von der Leyen kann auf Merz hoffen

Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, wird Scholz schon seit einiger Zeit nicht nur von konservativen Politikern kritisch betrachtet. Im Unterschied zu seiner Vorgängerin Angela Merkel von der CDU wurde Scholz nicht als großer Brückenbauer bei schwierigen Themen angesehen.

Die Diplomaten berichteten, dass die Kanzlerin sich häufig viel Zeit nahm, um auch kleinere Mitgliedstaaten in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, die gemeinsam mit Frankreich angestoßen wurden. Im Gegensatz dazu war Scholz nicht dafür bekannt, seine Position eher undiplomatisch und direkt vorzutragen.

Auch das Verhältnis des Kanzlers zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird von Gipfelteilnehmern regelmäßig als schwierig und wenig konstruktiv beschrieben. Von einem starken «deutsch-französischen Motor» für europäische Projekte könne keine Rede sein, heißt es in Brüssel – auch wenn Scholz und Macron gerne das Gegenteil behaupteten.

Das Aus für die Ampel weckt in Brüssel nun die Hoffnung, dass große EU-Projekte wie eine weitere Verschärfung des Asylsystems und die Aufstellung des nächsten langfristigen Gemeinschaftshaushalts deutlich früher angegangen werden können als erwartet.

Es war sehr wahrscheinlich, dass die zuständige EU-Kommission aufgrund der Streitigkeiten in der deutschen Regierung erst nach der nächsten Bundestagswahl konkrete Vorschläge vorlegt – also voraussichtlich erst im Spätherbst oder Winter des kommenden Jahres, entgegen der ursprünglichen Erwartung.

Falls es zu Neuwahlen kommt, könnten wichtige Projekte bereits im Frühsommer in Angriff genommen werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kann außerdem darauf hoffen, dass mit Friedrich Merz ein Parteifreund neuer Kanzler in Deutschland wird.

Vertrauensfrage fünf Tage vor Trump

Laut dem Scholz-Plan wird es jedoch noch eine Weile dauern. Er plant, die Vertrauensfrage gemäß dem aktuellen Stand erst am 15. Januar zu stellen – fünf Tage bevor Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Was danach passiert, ist noch unklar. Wird die Ukraine-Hilfe ausgesetzt? Werden Friedensgespräche mit Putin geführt? Entsteht ein Handelskrieg mit der EU? Wie wird er sich gegenüber China verhalten?

Europa wird darauf reagieren müssen und mit Deutschland wäre das größte und bevölkerungsreichste Land mit einer Regierung ohne Rückhalt des Parlaments politisch nur noch bedingt handlungsfähig. Scholz würde dann tatsächlich als «lame duck» gelten und das Land hätte die heiße Wahlkampfphase vor sich. 

Der voraussichtlichste Wahltermin wäre der 30. März. Wenn Scholz die Wahl verliert, könnte er nach der Konstituierung des neuen Bundestags als dann nur noch geschäftsführender Kanzler wichtige Entscheidungen ohne Absprachen mit seinem Nachfolger gar nicht mehr treffen. So ist es jedenfalls üblich. Die Koalitionsverhandlungen könnten ein bis zwei Monate dauern oder auch noch länger. Dann landet man ganz schnell im Mai oder Juni.

Die Opposition macht deswegen Druck, den Termin vorzuziehen. Sie strebt den 19. Januar an, den Tag vor der Trump-Vereidigung. Am Ende des EU-Gipfels zeigte Scholz sich überraschend verhandlungsbereit. Gemeinsam mit einer Einigung im Bundestag darüber, welche Gesetze noch beschlossen werden sollen, könne man auch über den Termin für die Neuwahl sprechen. «Für mich ist das so, dass wir hier ein großes demokratisches Fest haben, und das gelingt am besten, wenn alle gemeinsam zur Party schreiten», sagte er.

dpa