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Trudeau-Nachfolger: Mark Carney soll Kanada führen

Ein Wirtschaftsfachmann wird Vorsitzender der Liberalen Partei in Kanada – und damit auch Premierminister. Auf Mark Carney warten enorme Herausforderungen und wohl eine baldige Neuwahl.

Carney tritt einen Job an, der ihm nicht nur Freude bereiten dürfte.
Foto: Chris J Ratcliffe/PA Wire/dpa

Mark Carney, der ehemalige Zentralbankchef, wird voraussichtlich Kanada durch wirtschaftlich turbulente Wochen und anstehende Neuwahlen führen, nachdem er sich bei der Wahl zum Vorsitzenden der Liberalen Partei mit 85,9 Prozent der Stimmen der Mitglieder deutlich gegen Chrystia Freeland durchgesetzt hat, die mit acht Prozent auf dem zweiten Platz landete.

Mit der Übernahme der Parteiführung übernimmt der ehemalige Chef der britischen und kanadischen Zentralbanken vorläufig auch das Amt des Ministerpräsidenten von Trudeau. In einigen Wochen werden voraussichtlich Neuwahlen in dem zweitgrößten Flächenland der Welt stattfinden, das aufgrund der aggressiven Zollpolitik und Annexionsdrohungen von US-Präsident Donald Trump stark unter Druck steht.

«Wir haben das hier zum besten Land der Welt gemacht und nun wollen unsere Nachbarn uns übernehmen. Auf keinen Fall!», hatte Carney kurz vor der Bekanntgabe der Ergebnisse zu diesem Streit gesagt. Auch andere Kandidaten hatten sich in ihren Abschlussreden deutlich gegen die USA positioniert. Justin Trudeau sagte: «Wir sind ein diplomatisches Land, wenn wir können, aber wenn wir müssen, kämpfen wir – Ellenbogen nach oben!»

An der Abstimmung haben sich knapp 152.000 der etwa 400.000 Mitglieder der Liberalen Partei beteiligt, die seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als 50 Jahre lang in Kanada regiert hat.

Krisenerfahrener Bankmanager

Carney war mit einer wirtschaftsorientierten, zentristischen Agenda ins Rennen um den Parteivorsitz gegangen. Im Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten will er den Trudeau-Kurs des entschlossenen Widerstands fortsetzen. Einer Umfrage des Senders «CTV News» zufolge glauben 40 Prozent der Kanadier, dass Carney der beste Politiker für Verhandlungen mit Trump wäre – deutlich mehr als die 26 Prozent Zuspruch für den Vorsitzenden der Konservativen und seinen größten innenpolitischen Gegenspieler, Pierre Poilievre. 

Carney wird auch deshalb als kompetent angesehen, weil er reichlich Erfahrung im nationalen und internationalen Krisenmanagement hat: Während der Finanzkrise leitete der in der Provinz Alberta im Westen Kanadas groß gewordene Hundefreund ab 2008 die Zentralbank seines Heimatlandes. Die verhältnismäßig gute Erholung Kanadas in den Folgejahren wird auch Carney zugeschrieben. Während des Brexits war er Zentralbankchef in Großbritannien, bis zum Januar dieses Jahres dann UN-Sondergesandter für Klimafinanzierung.

Der Liberale verspricht, dass eine umfassende Wirtschaftsreform mit Steuererleichterungen für die Mittelschicht, dem Abbau bürokratischer Hürden sowie einer verstärkten Förderung von Innovation und Investitionen bevorsteht. Carney betont die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit mit Europa und Asien, um die Handelsabhängigkeit von den USA zu reduzieren.

Wie es nun weitergeht

Als nächstes muss Premierminister Trudeau mit Carney ein Datum für die Übergabe der Regierungsgeschäfte festlegen und formell zurücktreten. Dies dürfte in den kommenden Tagen passieren. Der neue Premier wird möglicherweise das Kabinett anpassen wollen, wobei bestehende Minister angesichts der bald erwarteten Neuwahl auch im Amt bleiben könnten. Das Parlament in Ottawa tagt wieder am 24. März. Für diesen Tag plant die Opposition ein Misstrauensvotum, was Neuwahlen in den kommenden Monaten auslösen dürfte.

Carney könnte jedoch auch bereits vor diesem Termin seine Minderheitsregierung für gescheitert erklären und Neuwahlen ausrufen. Taktisch betrachten Beobachter dies als möglicherweise klugen und proaktiven Schachzug, da die Liberalen in den Umfragen zuletzt deutlich zulegten.

Über einen längeren Zeitraum hinweg galt ein Machtwechsel zu den Konservativen unter Poilievre als sehr wahrscheinlich. Die Ankündigung von Trudeaus Rücktritt und die außergewöhnliche Bedrohungslage durch Trump haben jedoch die Stimmung im Land deutlich verändert. In Umfragen zur Wahl verzeichnete die Liberale Partei einen starken Anstieg und hat den Abstand zu den Konservativen signifikant verringert.

Ära Trudeau geht zuende

Die Wahl von Carney markiert auch das Ende der Ära von Trudeau, der nach mehr als neun Jahren als Premierminister zurücktritt. Trudeau war in den vergangenen Jahren aufgrund steigender Preise, knappen Wohnraums und nicht eingehaltener Wahlversprechen zunehmend unbeliebt geworden, trotz einer Reihe von Reformen und der Modernisierung Kanadas.

Trudeau war seit rund elf Jahren Chef der liberalen Partei und seit Ende 2015 Premierminister. Anfangs hatte er «positive Politik» und «sonnige Wege» versprochen und war von vielen als Hoffnungsträger gefeiert worden.

Mit seiner Frau Sophie Grégoire – von der Trudeau inzwischen getrennt ist – und den drei gemeinsamen Kindern bildete der Sohn des früheren Premierministers Pierre Trudeau (1919-2000) eine «First Family» mit jungem und dynamischem Image – ähnlich wie US-Präsident John F. Kennedy bei seinem Amtsantritt 1961.

Der Premierminister stand zuletzt unter zunehmendem Druck: Seine Umfragewerte fielen, die Rufe nach seinem Rücktritt wurden lauter – insbesondere nach dem lautstarken Rücktritt der Vize-Premierministerin Freeland als Finanzministerin, der Trudeau zusätzlich schadete.

dpa