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50 Jahre G7: Gipfeltreffen in Kanada unter schwierigen Vorzeichen

Die Staatsengruppe muss sich im Wettstreit mit Autokratien behaupten. Die Gemeinsamkeiten werden auf die Probe gestellt, besonders mit Trumps Amtszeit und neuen Konflikten.

Die kanadischen Rocky Mountains sind die Kulisse für den diesjährigen G7-Gipfel.
Foto: Sophia Weimer/dpa

Wofür existiert die G7 eigentlich? Seit dem Ausschluss Russlands im Jahr 2014 versteht sich die Gruppe als Wertegemeinschaft westlicher Demokratien, die sich im zunehmenden Wettbewerb mit Autokratien wie China und Russland behaupten muss. Wie viel von den gemeinsamen Werten nach dem Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump noch übrig ist, wird sich in den kommenden Tagen beim Gipfeltreffen in den kanadischen Rocky Mountains zeigen. Heute kommen die Staats- und Regierungschefs bereits zu ihrem Treffen in Kananaskis zusammen – zum 50-jährigen Bestehen der G7 unter äußerst ungünstigen Bedingungen.

Mit dem Ausbruch eines weiteren Krieges im Nahen Osten zwischen Israel und dem Iran stehen die G7-Chefs vor einer neuen Konfliktfrage. Die USA und Europa haben Israel zwar ihre Unterstützung zugesichert, aber ohne die Offensive gegen führende Militärs und Atomanlagen aktiv zu fördern. Es besteht durchaus die Möglichkeit einer weiteren Eskalation der Situation während des Treffens.

Mit dem Ukraine-Krieg und dem Welthandel stehen in der Abgeschiedenheit der kanadischen Natur außerdem zwei Themen auf dem Programm, bei denen Trump und seine europäischen Verbündeten inzwischen weit auseinandergedriftet sind. In der deutschen Delegation hofft man trotzdem auf ein «Signal der Einigkeit». Für den neuen Kanzler Friedrich Merz ist der Gipfel nach seinen Antrittsbesuchen bei den wichtigsten Bündnispartnern die erste größere Bewährungsprobe bei einem internationalen Treffen.

Wie geht Donald Trump in den Gipfel?

Kurz vor dem G7-Gipfel ließ der US-Präsident eine imposante Militärparade in Washington stattfinden – anlässlich des 250. Gründungstages der US-Armee, der zufällig auf Trumps 79. Geburtstag fiel. Es war eine eindrucksvolle Demonstration militärischer Stärke vor den Augen der Welt. Und mit genau diesem martialischen Bildmaterial im Gepäck reist er nach Kanada.

Der Republikaner ist seit fast fünf Monaten im Amt und hat in dieser Zeit in einem rasenden Tempo Maßnahmen ergriffen, die die Demokratie und das Verfassungssystem in den USA betreffen. Auch international hat er verschiedene Partner verärgert, darunter mit Strafzöllen.

Warum ist Trumps Kanada-Besuch besonders brisant?

Trump schockte mit öffentlichen Fantasien, fremde Territorien zu übernehmen. So drohte er an, dass sich die USA den Panamakanal «zurückholen» könnten, notfalls mit Militärgewalt. Außerdem erhob er Anspruch auf Grönland und den Gazastreifen – und er rief Kanada wiederholt dazu auf, Teil der USA zu werden. Nun besucht er das Nachbarland erstmals in seiner neuen Amtszeit und dürfte von der kanadischen Öffentlichkeit alles andere als freundlich empfangen werden. 

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt auf dem Weg zum Gipfel ein Zeichen, indem er einen Zwischenstopp auf der zu Dänemark gehörenden Insel Grönland einlegt – gemeinsam mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.

Worum geht es für Kanzler Merz bei dem Gipfel?

Merz setzte bei seinem ersten Treffen mit Trump im Weißen Haus in der vergangenen Woche darauf, mögliche Konfliktfelder zu umschiffen. Diesen Kurs will er auch in Kananaskis fortsetzen. Das erste Gespräch mit dem US-Präsidenten sei ja «harmonisch» verlaufen, heißt es in seiner Delegation. «Jetzt ist der nächste Test: Wie sieht es in einer Teamsituation aus und wie gut gelingt es den G7, diesen Teamgeist auch nach außen zu tragen.»

Für Merz ist es auch wichtig, sich unter den Europäern zu positionieren und eine bedeutende europäische Führungsrolle einzunehmen. Während seiner ersten Reisen – insbesondere nach Kiew und Washington – hat er Selbstvertrauen gesammelt. Als nächstes stehen wichtige Gipfeltreffen an. Nach dem G7-Treffen stehen für Merz noch in diesem Monat der Nato-Gipfel in Den Haag und sein erster EU-Gipfel in Brüssel an.

Wie stark wird der neue Krieg in Nahost den Gipfel bestimmen?

Es kommt auf die Entwicklung vor Ort an. Bisher scheinen die USA und die Europäer sich einig zu sein, nicht aktiv in den Konflikt eingreifen zu wollen. Dies könnte sich jedoch auf Seiten der USA schnell ändern. Es wird befürchtet, dass die Führung des Irans auch Vergeltungsmaßnahmen gegen amerikanische Stützpunkte im Nahen Osten anordnen könnte. Es wäre dann praktisch undenkbar, dass die USA nicht zurückschlagen würden – und die nächste dramatische Eskalationsstufe wäre erreicht.

Das würde auch gelten, wenn die USA aktiv militärische Unterstützung für Israel leisten würden, um bestimmte iranische Atomanlagen anzugreifen, die Experten zufolge tief unter der Erde liegen. Welchen Weg die USA letztendlich in dem Konflikt einschlagen, wird allein von Trump entschieden – ohne die G7-Partner.

Was kann die G7 in Sachen Ukraine erreichen?

Trumps großspuriges Versprechen, den Ukraine-Krieg schnell zu beenden, hat sich als leeres Versprechen erwiesen. Die Europäer hoffen nun, ihn davon überzeugen zu können, dass seine Bemühungen nur dann erfolgreich sein können, wenn der Druck auf Russland verstärkt wird.

Sie planen beispielsweise, die Einnahmen des russischen Staates durch Exporte weiter zu reduzieren, indem sie den Preis für den Verkauf von russischem Öl nach Ländern wie Indien oder China von derzeit 60 auf 45 US-Dollar pro Barrel (159-Liter-Fass) senken. Der Preisdeckel wurde 2022 eingeführt und beinhaltet Sanktionen gegen Akteure, die am Export von russischem Öl zu höheren Preisen beteiligt sind.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird in Kanada die Gelegenheit haben, erneut für weitere Unterstützung zu werben. Am Dienstagvormittag ist er zu einem Arbeitsfrühstück mit den Teilnehmern der G7-Gruppe eingeladen – ebenso wie Nato-Generalsekretär Mark Rutte.

Gelingt es, eine weitere Eskalation des Zollkonflikts abzuwenden? 

Das ist neben der Unterstützung der Ukraine die zweite Frage, die für die Europäer absolute Priorität hat. Wenn bis zum 9. Juli keine Einigung erzielt wird, greifen nach derzeitigem Stand neue hohe US-Zölle auf fast alle Exporte aus der EU in die Vereinigten Staaten – und die EU würde ihrerseits mit Zöllen auf Einfuhren aus den USA antworten.

Um dies zu verhindern, finden seit Wochen Gespräche zwischen Brüssel und Washington statt – ob sie erfolgreich sein werden, ist jedoch unklar. Trump betrachtet Zölle nicht nur als Mittel zur Reduzierung des amerikanischen Handelsdefizits, sondern auch als Einnahmequelle zur Finanzierung von Steuersenkungen.

Die EU hat den USA bisher angeboten, gegenseitig Zölle zu senken und nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen, zu denen unterschiedliche Vorschriften und Standards für Autos gehören. Darüber hinaus könnte die EU den USA den Kauf von noch mehr amerikanischem Flüssigerdgas und Rüstungsgütern in Aussicht stellen.

Wird es beim Gipfel weitreichende Entscheidungen geben?

Aufgrund der drastischen Abweichungen der USA unter Trump in Bereichen wie Klimaschutz, Entwicklungshilfe und Welthandel vom bisherigen Engagement der G7, planen die Staats- und Regierungschefs auf eine umfassende gemeinsame Abschlusserklärung zu verzichten. Auch die Erinnerung an den letzten G7-Gipfel in Kanada im Jahr 2018 dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Damals ließ Trump das Treffen spektakulär platzen, indem er kurz nach dem Ende die Zustimmung zur Abschlusserklärung zurückzog.

In diesem Jahr sind nur noch einzelne Erklärungen zu den Themen Migration, kritische Rohstoffe, künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, Waldbrände und ausländische Einflussnahme geplant. Alles Weitere – wie zum Beispiel eine Verständigung darauf, gemeinsam mit neuen Sanktionen den Druck auf Russland zu erhöhen – wäre ein großer Erfolg.

dpa