Millionen von Beschäftigten profitieren vom gesetzlichen Mindestlohn. Wie geht es weiter mit der Lohnuntergrenze, worum geht es im aktuellen Streit?
Worum es beim Streit um den Mindestlohn geht
Die neue Koalition hat noch nicht begonnen – und schon diskutieren Union und SPD über das Einkommen von Millionen Arbeitnehmern. Der gesetzliche Mindestlohn und eine mögliche Erhöhung auf 15 Euro stehen im Hintergrund. Das ist der Kern der Debatte:
Was ist der Mindestlohn?
Der gesetzliche Mindestlohn wurde 2015 eingeführt, ein zentrales Projekt der SPD in der damaligen großen Koalition zur Bekämpfung von Dumpinglöhnen. Zu Beginn 2015 betrug der Mindestlohn 8,50 Euro. Laut Gesetz muss eine unabhängige Kommission alle zwei Jahre über Anpassungen entscheiden. Dies geschah zuletzt im Juni 2023. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) setzte den Vorschlag der Kommission um, wodurch der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro und zum 1. Januar 2025 auf 12,82 Euro stieg. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schätzt, dass insgesamt sechs Millionen Menschen in Deutschland den Mindestlohn erhalten.
Die Mindestlohnkommission plant, den nächsten Beschluss zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns bis Ende Juni 2025 zu treffen. Dadurch soll der Mindestlohn für die Jahre 2026 und 2027 festgelegt werden.
Was genau steht im Koalitionsvertrag?
Eines der zentralen Versprechen der SPD im Wahlkampf war es, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. Die Union dagegen betonte die Rolle der unabhängigen Kommission. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es, die Entwicklung des Mindestlohns müsse einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten. «An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest.»
Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns werde sich die Kommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. «Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.»
Worum geht es in der aktuellen Debatte?
In erster Linie geht es darum, wie die Sätze aus dem Koalitionsvertrag interpretiert werden und wann genau der Mindestlohn auf 15 Euro steigt. Der wohl neue Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz sagte der «Bild am Sonntag», möglicherweise komme man auch erst 2027 auf den Betrag von 15 Euro. In einem Papier der SPD zum Koalitionsvertrag heißt es: «Der Mindestlohn wird bis 2026 auf 15 Euro steigen.»
Stefan Körzell, Mitglied des DGB-Vorstands, erklärte der Deutschen Presse-Agentur, dass der DGB nach einer Gesamtabwägung der Mindestlohnkommission davon ausgehe, dass rechnerisch die Voraussetzungen für einen Mindestlohn von rund 15 Euro im kommenden Jahr gegeben seien.
Was ist die Mindestlohnkommission?
Körzell ist Mitglied der Kommission. Diese besteht aus einer Vorsitzenden, sechs stimmberechtigten ständigen Mitgliedern aus dem Kreis der Sozialpartner und zwei beratenden Mitgliedern aus der Wissenschaft ohne Stimmrecht. 2023 gab es großen Ärger, denn die Empfehlung in der Kommission wurde erstmals nicht im Einvernehmen getroffen. Die Arbeitnehmervertreter hielten die Anhebung für zu niedrig, wurden aber überstimmt und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Arbeitgeberseite. In der Geschäftsordnung der Kommission heißt es nun, sie solle «im Regelfall» einen einstimmigen Beschluss herbeiführen.
Warum ist der Union die Unabhängigkeit der Kommission wichtig?
Im Einklang mit den Arbeitgebern sagen CDU und CSU: Es ist besser, sich an der tatsächlichen konjunkturellen Lage zu orientieren – statt Einkommen politisch vorzugeben. Großen Streit gab es 2022. Denn die damalige Ampel aus SPD, Grünen und FDP erhöhte den Mindestlohn außerplanmäßig zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro. Die Arbeitgeber kritisierten dies damals als «staatliches Lohndiktat».
Was sind die Kriterien der Kommission?
Die Vorsitzende Christiane Schönefeld betont mit Blick auf die Kommission: «Ihre Mitglieder unterliegen bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit keinen Weisungen.» Das Gremium wende für seine Beschlussfassung über die Anpassung des Lohns die gesetzlichen Kriterien an, die sie auch in ihrer Geschäftsordnung verankert habe. «Im Rahmen einer Gesamtabwägung orientiert sie sich unter anderem nachlaufend an der Tarifentwicklung sowie am Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten.» Genau so ist es im Koalitionsvertrag formuliert.
Welche Rolle spielt die EU-Mindestlohnrichtlinie?
Die Richtlinie sieht vor, dass der Mindestlohn nicht weniger als 60 Prozent des sogenannten Medianlohns eines Landes beträgt – das ist eine statistische Rechengröße, auch «mittlerer» Lohn genannt. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat vorgerechnet, dass sich auf Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes ein Mindestlohn von 14,88 bis 15,02 Euro im Jahr 2026 und von 15,31 bis 15,48 Euro im Jahr 2027 ergibt.
Verwende man Berechnungen der OECD, wäre schon für das laufende Jahr ein Mindestlohnniveau von 15,12 Euro erforderlich, um das Ziel von 60 Prozent zu erreichen. Körzell sagte, in der Vergangenheit habe Deutschland den Referenzwert von 60 Prozent regelmäßig unterschritten. «Entsprechend groß ist nun der Nachholbedarf.»
Wie sieht die Wirtschaft die Debatte?
Die Mindestlohnkommission kann von ihren Kriterien abweichen – wenn «besondere ökonomische Umstände» vorliegen. Die deutsche Wirtschaft ist in einer Krise. Nach zwei Rezessionsjahren in Folge wird für das laufende Jahr allenfalls ein Mini-Wachstum erwartet. Die aktuelle Wirtschaftslage gebe eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro nicht her, sagte bereits im Februar der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest. Der Mindestlohn könne nicht deutlich stärker steigen als Tariflöhne.
In einer Erklärung mehrerer Wirtschaftsverbände von Montag heißt es, der Mindestlohn sei seit 2022 um mehr als 30 Prozent gestiegen. «Viele Arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, können das finanziell bereits heute nicht mehr stemmen.»