Die Zukunft der Ukraine und Europas hängt von den Gesprächen in Berlin ab. Können Europa und die USA Einfluss ausüben?
Entscheidende Gespräche in Berlin: Zukunft der Ukraine und Europas in der Balance

Bundeskanzler Friedrich Merz sagte vor Kurzem, dass das Schicksal der Ukraine das Schicksal Europas sei. In Berlin könnten in diesen Tagen wichtige Entscheidungen für die Zukunft des von Russland angegriffenen Landes getroffen werden. Es wird sich zeigen, ob Europa, das seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump weitgehend eine Zuschauerrolle zugewiesen bekam, seinen Einfluss geltend machen kann.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Berater begannen bereits am Sonntag Gespräche in der Bundeshauptstadt. Die US-Delegation wird von Sondergesandten Steve Witkoff und Trump-Schwiegersohn Jared Kushner geleitet. Nach ukrainischen Angaben sollen die Gespräche heute fortgesetzt werden.
Merz (CDU) hat nach Informationen der dpa am Sonntag außer einer kurzen Begrüßung nicht an den Gesprächen teilgenommen. Eine aktivere Rolle wird dem Kanzler heute zufallen. Neben einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum findet ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten europäischen Unterstützer Kiews statt.
Wie ist der Stand der Gespräche?
Es gab zunächst keine konkreten Ergebnisse. Selenskyj wollte hauptsächlich seine neuesten Vorschläge zum Friedensplan von US-Präsident Donald Trump besprechen. Laut Kiew handelt es sich um einen 20-Punkte-Plan, der in einem Waffenstillstand enden soll.
Trumps ursprünglicher Plan wurde als Wunschliste Moskaus kritisiert. Die heikelsten Punkte sind die Frage nach Sicherheitsgarantien, d.h. wie man Russland davon abhalten kann, die Ukraine erneut anzugreifen, sowie die Frage nach möglichen Gebietsverzichten.
Es hängt davon ab, wie selbstbewusst Selenskyj bei den Gesprächen mit den US-Vertretern auftreten kann, ob die Europäer ihm Unterstützung zusichern können. Dies beinhaltet die Frage, ob Kiew auf Milliarden aus russischen Vermögenswerten hoffen kann, die in der EU eingefroren sind. Brüssel plant, das Geld für Kiew verfügbar zu machen, während Washington andere Ideen dazu hat. Nach dem ursprünglichen US-Vorschlag sollten die Gelder nicht nur der Ukraine, sondern auch den USA und Russland zugutekommen.
Welche Rolle spielt Bundeskanzler Merz?
Kanzler Merz kann bereits einen Erfolg verbuchen: Es war keineswegs selbstverständlich, dass sich eine hochrangige US-Delegation stundenlang mit dem ukrainischen Präsidenten im Kanzleramt zusammensetzt.
Das Treffen bekräftigt auch die wachsende Führungsrolle, die Deutschland in der Unterstützung der Ukraine in Europa spielt. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer streben eine solche Rolle für ihre Länder an. Beide Politiker werden am Abend zusammen mit etwa einem Dutzend europäischer Staats- und Regierungschefs in Berlin erwartet.
Was ist aus EU-Sicht das schwierigste Thema?
Die schwierigste Frage aus europäischer Sicht betrifft die Sicherheitsgarantien. In Brüssel wird davon ausgegangen, dass die Ukraine in Gebietsfragen möglicherweise schmerzhafte Zugeständnisse gegenüber Russland machen würde, wenn sie im Gegenzug von den Amerikanern und europäischen Nato-Partnern rechtlich verbindliche Zusagen für umfassende militärische Unterstützung erhält.
Die Sicherheitsgarantien müssen aus ukrainischer Perspektive so umfassend sein, dass sie Russland effektiv von einem erneuten Angriff abschrecken. Die Europäer und Amerikaner müssen entscheiden, wie weit sie bei den Sicherheitsgarantien gehen möchten und ob sie im Ernstfall bereit wären, der Ukraine mit eigenen Streitkräften beizustehen.
Berlin strebt hier nach einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung, die von den europäischen Nato-Partnern und den USA unterstützt wird.
Was will die EU mit dem russischen Vermögen machen?
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, schlägt vor, russische Vermögenswerte als Sicherheit für Darlehen an die Ukraine zu verwenden. Die Rückzahlung an Moskau soll nur erfolgen, wenn Russland nach Kriegsende Wiedergutmachung für die entstandenen Schäden leistet.
Idealerweise wird die Umsetzung des Plans bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten an diesem Donnerstag beschlossen. Belgien ist jedoch ein wichtiger Akteur, der bisher bremst. Die belgische Regierung sieht erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken und befürchtet die Existenz des belgischen Finanzinstituts Euroclear. Der sogenannte Zentralverwahrer verwaltete zuletzt etwa 185 Milliarden Euro der russischen Zentralbank, die nun zumindest vorläufig für die Ukraine genutzt werden sollen.
Wie ist die Haltung der Ukraine?
Die Haltung der Ukraine lässt sich auf die Formel reduzieren «Ja, aber …». Für Kiew besteht weiter die Kunst darin, einerseits Washington das Gefühl zu geben, dass die Hauptpunkte des Friedensplans unterstützt werden, jedoch gleichzeitig zusätzliche Bedingungen zu stellen, die eine Annahme von russischer Seite ausschließen. Augenscheinlich ist dies bei der Schlüsselfrage möglicher Gebietsabtretungen. So ließ Selenskyj zuletzt zu, dass die ukrainischen Truppen sich aus den noch verbliebenen Teilen des Donbass zurückziehen könnten. Doch verlangt er gleichzeitig einen für Moskau inakzeptablen Rückzug der russischen Einheiten aus der Region.
Ähnlich ist es mit dem zweiten für Kiew wichtigen Punkt – dem Nato-Beitritt. Selenskyj könnte sich vorstellen, darauf zu verzichten, wenn die USA gleichzeitig ähnliche bilaterale Sicherheitsgarantien bieten. Kiew erwartet jedoch mehr als nur Geld und Waffenlieferungen. Die Garantien sollten zumindest eine abschreckende Truppenpräsenz beinhalten.
Wie ist die Haltung Russlands zu den Friedensverhandlungen?
Russland sieht die Beteiligung der Europäer an den Verhandlungen aus Sicht des Kremls skeptisch. Kremlchef Wladimir Putin kritisiert die EU dafür, dass sie den Krieg durch Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt. Russland warnt davor, das in Belgien eingefrorene Milliardenvermögen für die Finanzierung des Krieges zu verwenden. Obwohl Putin Verhandlungen zugestimmt hat, betont er, dass Russland seine Kriegsziele auch auf dem Schlachtfeld erreichen kann, falls die diplomatischen Bemühungen scheitern.
Putin betont vor allem, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine dauerhaft und rechtlich verbindlich ausgeschlossen wird. Das Streben der Ukraine nach der Nato wird aus Sicht des Kremls als Auslöser für Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 angesehen.
Zweiter großer Knackpunkt sind Russlands Gebietsforderungen. Der Kreml verlangt, dass Kiew seine Truppen auch aus jenen Teilen in der umkämpften Industrieregion Donbass abzieht, die Russland bisher nicht erobern konnte und die von der Ukraine weiter kontrolliert werden. Russland lobte dabei vor den Gesprächen in Berlin den Einsatz der USA. «Die Amerikaner kennen nicht nur unsere Position, sondern verstehen sie auch», sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow nach Gesprächen mit dem US-Gesandten Steve Witkoff, der in Berlin auch die Kreml-Haltung überbringen soll.
Wie ist die Lage an der Front?
An der Front verschlechtert sich die Lage für die ukrainischen Truppen fast überall. Pokrowsk, eine strategisch wichtige Bergarbeiterstadt, wurde erobert, und die verbleibenden ukrainischen Einheiten in Myrnohrad sind von einer Einschließung bedroht. In Kostjantyniwka wird bereits gekämpft, und nach dem Fall von Siwersk könnte sich die Front auch bald Slowjansk nähern.
Auch in der Region Saporischschja im Süden der Ukraine gerät die ukrainische Verteidigung zunehmend ins Wanken. In Huljapole konnte vorerst ein russischer Durchbruch nur knapp gestoppt werden. Der Hauptgrund für die Probleme der Ukraine, der Mangel an Soldaten, zeigt sich überall. Die kürzlich erlassene Anordnung, Statistiken zur Fahnenflucht geheim zu halten, wird voraussichtlich wenig daran ändern können.








