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Debatte um Migrationspolitik vor Bundestagswahl eskaliert

Union und SPD ringen um Lösungen für Migrationsfragen und Sicherheitsmaßnahmen vor wichtiger Abstimmung im Bundestag

Das Thema Migration spielt teilweise auch in den Wahlkampagnen eine Rolle.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Kurz vor der Bundestagswahl verschärft sich erneut der langjährige Streit über den richtigen Kurs in der Migrationspolitik. Mehrere tödliche Attacken, zuletzt in Aschaffenburg, bei denen die Tatverdächtigen Zuwanderer sind, haben dies ausgelöst. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welche Vorschläge liegen auf dem Tisch?

Diese Woche plant die Union, zwei Anträge und einen Gesetzentwurf im Bundestag zur Abstimmung zu bringen. Die Anträge beinhalten unter anderem eine generelle Zurückweisung aller Asylsuchenden an den deutschen Grenzen sowie eine dauerhafte Inhaftierung von Ausreisepflichtigen, die nicht abgeschoben werden können und nicht freiwillig ausreisen. Eingebürgerte Doppelstaatler, die schwere Straftaten begehen, sollen die deutsche Staatsangehörigkeit wieder entziehen können.

Der Entwurf für ein «Gesetz zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland» soll den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden. Die Bundespolizei soll, wenn sie in ihrem Zuständigkeitsbereich Ausreisepflichtige antrifft, aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen dürfen. 

Die SPD drängt darauf, das längst überfällige Bundespolizeigesetz zu reformieren. Außerdem fordert sie eine Abstimmung über die nationale Umsetzung der EU-Asylreform und zusätzliche Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Auch die Grünen haben betont, die Voraussetzungen für das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu schaffen, das Asylverfahren für Menschen aus Staaten mit niedriger Schutzquote an den EU-Außengrenzen vorsieht.

Wer könnte den einzelnen Vorschlägen zustimmen?

Eine einfache Mehrheit der gültigen abgegebenen Stimmen ist in jedem Fall erforderlich. Dies bedeutet, dass mehr Ja- als Nein-Stimmen erforderlich sind und Enthaltungen nicht berücksichtigt werden.

Die Union beabsichtigt nach Angaben aus Fraktionskreisen, eine Sofortabstimmung über ihre Anträge zu beantragen. Auch dafür reicht eine einfache Mehrheit. Auf Stimmen von FDP und BSW kann sie dabei wohl zählen. Die AfD-Fraktion tut sich mit einer Zustimmung zu den Anträgen schwer, weil diese auch Kritik an ihrer Partei enthalten. Das «Zustrombegrenzungsgesetz» will sie aber in jedem Fall unterstützen. Wie sie sich zu den Anträgen verhält, will sie kurzfristig entscheiden, wenn die Dokumente offiziell vorliegen.

Falls es bei CDU/CSU, FDP, AfD und BSW keine Abgeordneten gibt, die sich enthalten, dagegen stimmen oder abwesend sind, würden sie insgesamt 372 Stimmen erreichen. Der Bundestag hat derzeit 733 Abgeordnete. Das würde also ausreichen. Sollten nicht alle Abgeordneten dieser Parteien mit Ja stimmen, könnte das Abstimmungsverhalten der neun Fraktionslosen entscheidend sein. Die Mehrheit von ihnen waren früher Mitglieder der AfD-Fraktion.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Initiativen der SPD eine Mehrheit finden werden.

Würde sich auch praktisch etwas ändern?

Es ist zwar möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Die Anträge, die am Mittwoch auf der Tagesordnung stehen sollen, haben nur appellativen Charakter. Anders verhält es sich mit dem Gesetzentwurf, der im November vom Innenausschuss behandelt wurde und der laut bisheriger Planung am Freitag im Plenum abschließend diskutiert werden könnte. Da der Entwurf vorsieht, die Kompetenzen der Bundespolizei zu erweitern und dies die Interessen der Länder betrifft, müsste der Bundesrat zustimmen. Ob dies passiert, ist zumindest fraglich. In schwarz-grünen Landesregierungen würde es auf jeden Fall Diskussionen auslösen.

Gibt es rechtliche Bedenken?

Ja. Insbesondere gegen einige Punkte, die in den beiden Anträgen enthalten sind – wie die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft und generelle Zurückweisungen. Allerdings gibt es unter Experten unterschiedliche Meinungen zu beiden Fragen.

Möglicherweise setzt die Union bei den Zurückweisungen auch auf die Macht des Faktischen. Anders ausgedrückt könnte die Bundesregierung entsprechende Maßnahmen zunächst umsetzen und dann prüfen, ob eine Klage dagegen vor einem Verwaltungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erfolgreich ist.

Müsste die jetzige Bundesregierung das Gesetz umsetzen? 

Sollte der Bundesrat zustimmen, ja. Der Bundesrat könnte jedoch – falls keine Fristverkürzung beschlossen wird – erst nach der Bundestagswahl über den Entwurf entscheiden. Anschließend müsste der Bundespräsident das Gesetz noch unterzeichnen. Entscheidend ist die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Aufgrund von Sondierungen und Koalitionsverhandlungen nach der Wahl könnte es theoretisch sein, dass die rot-grüne Regierung dann noch als amtierende Bundesregierung agieren müsste.

Wem nutzt die aktuelle Debatte im Wahlkampf?

Es ist noch nicht entschieden. Umfragen deuten darauf hin, dass viele Bürger die aktuelle Migrationspolitik als problematisch betrachten. Die Tatsache, dass die Union jetzt den Druck erhöht, könnte einigen Wählern gefallen, ebenso wie der Inhalt ihrer Vorschläge. Allerdings könnte die Ankündigung ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU), die eigenen Ideen notfalls auch mit Stimmen von AfD und BSW durchzusetzen, andere Wähler abschrecken. Die Grünen sind der Meinung, dass Merz in eine Falle getappt ist, die ihm von der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel gestellt wurde – mit dem Ziel, den Eindruck zu erwecken, dass die AfD nicht radikal, sondern eine rechtskonservative Partei ist und somit Teil des demokratischen Spektrums.

Was tun die zuständigen Innenminister von Bund und Ländern?

Die Vorfälle in Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg verdeutlichen, dass Maßnahmen erforderlich sind – sowohl bei Abschiebungen als auch bei der Überstellung von Asylbewerbern in das jeweils zuständige EU-Land. Es ist ebenso wichtig, Ausländer, die durch Bedrohungen oder Gewalttaten auffallen, nicht aus den Augen zu verlieren. In einer Videokonferenz haben die Innenminister von Bund und Ländern am Montag Maßnahmen im Umgang mit psychisch kranken Straftätern angekündigt. Verdächtige müssen frühzeitig erkannt und Informationen zwischen den Behörden besser ausgetauscht werden, erklärte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), der derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz (IMK) innehat.

Auch am Mittwoch beschäftigt sich der Innenausschuss des Bundestages erneut damit, wie sichergestellt werden kann, dass potenzielle Gewalttäter ohne deutschen Pass rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen oder außer Landes gebracht werden können.

dpa