Die Debatte über eine Ukraine-Friedenstruppe läuft international auf Hochtouren. Nur aus Deutschland heißt es, es sei viel zu früh, darüber zu reden. Wie viel hat das mit dem Wahlkampf zu tun?
Worum es in der Diskussion über eine Friedenstruppe geht
Sollten Soldaten aus europäischen Nato-Ländern in die Ukraine geschickt werden, sobald es dort einen Waffenstillstand gibt? In Frankreich wird bereits seit vielen Wochen darüber nachgedacht, ebenso in Großbritannien und Polen. Die Ukraine befürwortet dies und die USA fordern die Europäer offen auf, sich an einer Friedenstruppe zu beteiligen. Und Deutschland? Die Bundesregierung und die Union sind sich einig, dass dies noch kein Thema ist. Es ist noch zu früh, um darüber zu sprechen. Hier ist ein Überblick über die Debatte.
Was heißt eigentlich Friedenstruppe?
Der Begriff bezieht sich üblicherweise auf eine militärische oder zivile Einheit, die eingesetzt wird, um Frieden in einem Konfliktgebiet zu sichern oder wiederherzustellen. Die Truppen werden häufig von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der EU oder der Afrikanischen Union entsandt. Ihr Auftrag besteht darin, beispielsweise ausgehandelte Waffenstillstände zu überwachen und bei der Stabilisierung eines Landes zu unterstützen. Die NATO war in der Vergangenheit auch wiederholt an friedenssichernden Einsätzen beteiligt – beispielsweise mit der Kfor-Truppe im Kosovo oder über die Isaf-Mission in Afghanistan.
Warum könnte es eine Friedenstruppe in der Ukraine brauchen?
Die USA drängen darauf, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Kremlchef Wladimir Putin in Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine zu bringen. Es wird diskutiert, wie ein mögliches Friedensabkommen stabil gehalten und erneute Angriffe Russlands verhindert werden können. Die Entsendung internationaler Truppen in die Ukraine wird als Sicherheitsgarantie betrachtet. Sollte Russland erneut angreifen, würden auch internationale Truppen betroffen sein. Dies könnte das Risiko für Kremlchef Putin erhöhen.
Um wie viele Soldaten geht es?
Es ist unklar. Selenskyj hat zuvor erwähnt, dass möglicherweise mehr als 200.000 Soldaten für eine Friedenstruppe benötigt werden. In Brüssel wird es jedoch als absolut unrealistisch angesehen, dass so viele Streitkräfte verfügbar sein werden. Laut der Deutschen Presse-Agentur wird derzeit über fünfstellige Zahlen diskutiert. Zu Beginn der Debatte im Dezember wurde über etwa 40.000 Soldaten spekuliert.
Wo könnten die Soldaten stationiert werden?
Von ukrainischer Perspektive aus wäre es optimal, wenn europäische Soldaten direkt an der Waffenstillstandslinie stationiert wären, da dies Russland am ehesten von neuen Provokationen und Aggressionen abhalten könnte. Allerdings gilt es derzeit als unwahrscheinlich, dass dies geschieht. Der Grund dafür ist, dass die US-Regierung deutlich gemacht hat, dass die Nato nicht eingreifen soll. Somit könnten die Europäer im Falle eines russischen Angriffs nicht darauf zählen, dass ihnen die Amerikaner zu Hilfe kommen.
Was könnte die Alternative sein?
Diplomaten zufolge wurde kürzlich hauptsächlich darüber diskutiert, ob und gegebenenfalls wie viele europäische Soldaten im westlichen Teil der Ukraine stationiert werden könnten, um ukrainische Streitkräfte auszubilden. Eine solche Präsenz würde das Risiko einer direkten Konfrontation mit russischen Truppen verringern und gleichzeitig die Sicherheit im Westen der Ukraine erheblich erhöhen.
Welche Länder würden mitmachen?
Angestoßen hatte die Debatte der französische Präsident Emmanuel Macron bereits im vergangenen Dezember. Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot berichtete am Montag, dass inzwischen sehr konkrete Gespräche «auf verschiedenen Ebenen» geführt würden und nannte neben Frankreich auch Großbritannien und Polen als mögliche Truppensteller. Der britische Premierminister Keir Starmer hat öffentlich seine Bereitschaft zu einer Beteiligung erklärt. Der polnische Regierungschef Donald Tusk dementierte allerdings, entsprechende Pläne zu haben und sagte lediglich «politische und logistische» Unterstützung für ein solches Projekt zu.
Welche Länder zeigen sich offen?
Die Niederlande und Schweden haben sich offen für die Idee von Macron und Starmer gezeigt. Spanien und Dänemark schließen eine Entsendung von Truppen nicht mehr kategorisch aus.
Welche Länder wollen nicht mitmachen?
Ganz entscheidend für die Debatte: Die USA als Nato-Land mit der mit Abstand größten Armee sehen die Friedenssicherung in der Ukraine als Sache der Europäer an und wollen sich raushalten. «Um es klar zu sagen: Im Zuge von Sicherheitsgarantien werden keine US-Truppen in die Ukraine entsandt», stellte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth in der vergangenen Woche unmissverständlich klar. Zugleich will die US-Regierung aber von den Europäern wissen, wie die Vereinigten Staaten eine Friedenstruppe unterstützen könnten. Im Gespräch sind dabei unter anderem die US-Aufklärungsfähigkeiten. Aus Sicht von Starmer braucht es eine Absicherung der USA, um Russland wirksam von einem neuerlichen Angriff nach einem Waffenstillstand abzuhalten.
Was sagt der Kanzler?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält die Debatte über eine Friedenstruppe für «völlig verfrüht». Hier werde über die Köpfe der Ukrainer hinweg über mögliche Ergebnisse von Friedensgesprächen diskutiert, die noch nicht stattgefunden haben, sagte er am Montag nach dem Ukraine-Gipfel in Paris. «Das ist höchst unangemessen, um es ganz offen und ehrlich zu sagen.» Allerdings fordert auch der ukrainische Präsident Selenskyj eine Friedenstruppe, was die Argumentation von Scholz entkräftet.
Hat Scholz denn zumindest eine Tendenz?
Scholz hat immerhin ein klares Ausschlusskriterium für eine deutsche Beteiligung genannt: Wenn die Amerikaner nicht mitmachen, ist Deutschland auch raus. «Es darf keine Aufteilung der Sicherheit und der Verantwortlichkeit geben zwischen Europa und den USA», sagt er. Die Nato beruhe auf dem Prinzip, immer gemeinsam zu handeln und das Risiko zu teilen. «Das darf nicht infrage gestellt werden.» Der Kanzler sieht die Rolle Deutschlands und Europas eher darin, die ukrainische Armee zu finanzieren und auszurüsten, damit sie in die Lage versetzt wird, ihr Land selbst zu verteidigen.
Wie steht die Außenministerin dazu?
Auch Annalena Baerbock von den Grünen sagt, die Debatte sei verfrüht. Anders als der Kanzler betont die Außenministerin aber auch, dass die Friedenssicherung bei einem Waffenstillstand «eine europäische Aufgabe» sei. «Wenn es einen europäischen Frieden braucht, dann übernehmen die Europäer dafür natürlich auch Verantwortung», sagt Baerbock. Wie viel Verantwortung Deutschland bereit sein sollte zu übernehmen, sagt sie aber nicht.
Was ist mit der Union und den anderen Oppositionsparteien?
Auch die Union zeigt Zurückhaltung. «Voraussetzung für eine Friedenstruppe ist zunächst ein Frieden», sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul der dpa. Eine europäische Beteiligung an einer Friedenstruppe hält er für möglich. «Für Deutschland steht allerdings im Vordergrund, dass wir als einziger Nato-Staat eine kampfstarke Brigade im Baltikum aufstellen.» Eine eindeutige Position zur deutschen Beteiligung an einer Friedenstruppe haben dagegen Linke, BSW und AfD. Sie sagen dazu klar: Nein.
Was hat die Zurückhaltung von SPD, Grünen und Union mit dem Wahlkampf zu tun?
Die Bitte um Entsendung deutscher Soldaten in Kriegs- oder Krisengebiete wird allgemein als nicht besonders beliebt angesehen und wäre wenige Tage vor einer Bundestagswahl ein Risiko. Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins «Stern» zeigt jedoch, dass die Wähler bei diesem Thema gespalten sind. 49 Prozent sprechen sich sogar für eine deutsche Beteiligung an einem solchen Einsatz aus, 44 Prozent sind dagegen, 7 Prozent äußern sich nicht.