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Zum Wehrdienst gezwungen: Massenflucht aus Myanmar

Bereits 2010 hatte der Militärrat in Myanmar die Wehrpflicht beschlossen – das Gesetz wurde aber nie in Kraft gesetzt. Bis jetzt. In dem Krisenland geht die Angst um.

Hochrangige Soldaten während einer Zeremonie zum 76. Jahrestag der Unabhängigkeit Myanmars in Naypyitaw.
Foto: Aung Shine Oo/AP/dpa

Doe Doe ist erst 19 Jahre alt, aber in seinem jungen Leben hat er schon schwere und folgenreiche Entscheidungen treffen müssen. Als sich das Militär in seiner Heimat Myanmar 2021 an die Macht putschte, brach er kurz vor seinem geplanten Abschluss die Schule ab. Einem von der Junta kontrollierten Schulsystem wollte er sich nicht unterordnen. Nachdem die Generäle nun angekündigt haben, ein bisher inaktives Gesetz zur Wehrpflicht durchzusetzen, hat er sich in der Stadt Mandalay den «Volksverteidigungskräften» (PDF) angeschlossen, die in vielen Landesteilen die Armee bekämpfen.

«Meinen Eltern habe ich davon nichts erzählt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. «Jetzt nehme ich hier an einer Kampfausbildung teil – es ist Zeit, dass wir uns endlich wehren.» Noch während er spricht, sind plötzlich Kampfflugzeuge zu hören, die Bomben abwerfen. Durch das Telefon sind Schreie zu hören. 

Folgen der geplanten Pflichtrekrutierungen

Seit dem Putsch und der Entmachtung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kämpft das Militär in Myanmar erbarmungslos gegen das eigene Volk. Es ist daher nicht überraschend, dass die geplanten Zwangsrekrutierungen zu einer Massenflucht geführt haben. Viele Menschen sind in Panik, da sie befürchten, bald zum Militärdienst eingezogen zu werden und dann gegen ihre Überzeugungen für die verhasste Tatmadaw, wie die Streitkräfte im ehemaligen Birma genannt werden, kämpfen zu müssen.

Das Militär, das mittlerweile als geschwächt gilt, hat einen Mangel an freiwilligem Nachwuchs. In den letzten Monaten musste die Armee teilweise schwere Verluste hinnehmen, da bewaffnete Milizen in vielen Teilen des Landes zunehmend die Kontrolle übernehmen.

Besonders intensive Kämpfe fanden Ende des letzten Jahres im nördlichen Shan-Staat an der Grenze zu China statt, einer als gesetzlos geltenden Region, die für Drogenhandel und Glücksspiel bekannt ist. Innerhalb weniger Tage hatte die sogenannte Bruderallianz – ein Guerilla-Bündnis aus drei ethnischen Gruppen – die Kontrolle über wichtige Handelsrouten nach China sowie über mehr als 180 Stützpunkte und Außenposten erlangt.

Einführung der Wehrpflicht im April

Die Wehrpflicht wird ab April eingeführt. Männer im Alter von 18 bis 45 Jahren und Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren sollen für mindestens zwei Jahre dienen. Spezialisten wie Ärzte und Ingenieure müssen sogar drei Jahre im Militär verbringen. Gemäß dem Gesetz kann der Wehrdienst auf fünf Jahre verlängert werden. Wer sich verweigert, riskiert mehrere Jahre Haft.

Gemäß den Angaben des Militärs betrifft das Gesetz etwa 14 Millionen Bürger und Bürgerinnen: 6,3 Millionen Männer und 7,7 Millionen Frauen. Insgesamt hat Myanmar etwa 55 Millionen Einwohner. Zunächst sollen monatlich rund 5000 Menschen zum Wehrdienst eingezogen werden.

Derzeit versuchen Zehntausende vor allem junge Menschen, ihre Heimat zu verlassen – vor allem in Richtung Kambodscha oder Laos. Die meisten wollen jedoch nach Thailand, da dort viele Verwandte und Freunde Zuflucht gefunden haben, als sie vor dem Putsch in das Nachbarland geflohen sind.

Lange Schlangen für Ausreisepapiere

Vor der Visastelle der thailändischen Botschaft in der ehemaligen Hauptstadt Yangon (früher: Rangun) und anderen Behörden haben sich in den letzten Tagen lange Warteschlangen gebildet. In Mandalay sind vor Kurzem bei einer Massenpanik vor dem Passamt zwei Frauen gestorben. Andere versuchen illegal die Grenze zu überqueren.

Einer von ihnen ist der 27-jährige Kyaw Kyaw. Vor dem Putsch arbeitete er in einer staatseigenen Bank. Zuletzt war er Lehrer in einem privaten Internat in Myitkyina, der Hauptstadt des nördlichen Kachin-Staates an der Grenze zu China. Als er sich weigerte, für das Militär zu arbeiten, und sich stattdessen dem Protest der «Bewegung des Zivilen Ungehorsams» (CDM) anschloss, wurde ihm sein Reisepass abgenommen. Legal kann er das Land deshalb nicht verlassen.

Um dem Wehrdienst zu entkommen, ist Kyaw Kyaw mittlerweile ins Grenzgebiet zwischen Myanmar und Thailand geflohen, das von der mächtigen «Karen National Union» (KNU) kontrolliert wird. Die KNU ist die älteste bewaffnete Gruppe im Vielvölkerstaat Myanmar. Seit mehr als 70 Jahren kämpft sie für die Freiheit und bietet seit dem Putsch vielen Binnenvertriebenen Schutz.

«Ich habe mich in Myitkyina nicht mehr sicher gefühlt, weil die Behörden mich suchten», erzählt Kyaw Kyaw. «Deshalb habe ich beschlossen, zu fliehen. Ich will nicht für das Militär kämpfen.» Nun will der junge Mann versuchen, illegal ins thailändische Mae Sot auf der anderen Seite der Grenze zu gelangen und dort ein neues Leben zu beginnen. 

Warnungen des thailändischen Ministerpräsidenten Srettha Thavisin, der illegalen Flüchtlingen aus Myanmar mit rechtlichen Schritten drohte, schlägt er wie so viele andere in den Wind – kein Wunder, angesichts der Alternative, die ihn in der Heimat erwartet. «Anzeichen von Verzweiflung wie die Verhängung einer Wehrpflicht sind kein Hinweis darauf, dass die Junta und ihre Streitkräfte eine geringere Bedrohung für die Menschen in Myanmar darstellen», warnte zuletzt der UN-Sonderberichterstatter für Myanmar, Tom Andrews. Tatsächlich seien viele jetzt noch größeren Gefahren ausgesetzt.

Berichte über Missbrauch durch das Militär

So gibt es laut UN Berichte, wonach das Militär bereits jetzt junge Leute kidnappt und sie zwingt, als Träger zu arbeiten – oder sie sogar als menschliche Schutzschilde missbraucht. «Wir haben ständig Angst. Wir trauen uns nicht, nachts auf die Straße zu gehen», sagte ein 35-jähriger Grafikdesigner aus Yangon. 

Doe Doe hofft derweil, dass er vielleicht irgendwann doch noch seinen Schulabschluss machen kann. «Ich bin überzeugt, dass wir am Ende gewinnen werden. Das glauben alle hier», sagt er. «Die Junta kann so mit uns nicht umgehen, das Volk wird zurückschlagen.»

dpa