Die Schauspielerin wird 70 und bleibt ein Symbol gegen Klischees und Anpassung. Bekannt für ihre facettenreichen Rollen, beeindruckt sie in Dramen und Komödien gleichermaßen.
Corinna Harfouch: Die Unangepasste des deutschen Films
Sie wird oft als unnahbar beschrieben, ebenso wie kühl, spröde und distanziert. Fast alle Darstellungen von Corinna Harfouch (70) scheinen Enttäuschungen des ersten Eindrucks zu sein, der nur das Oberflächliche wahrnimmt. Aber Vorsicht, diese Frau ist Schauspielerin und zählt zu den besten im deutschsprachigen Raum!
Bereits 1996 erschien der legendäre Filmkritiker Michael Althen (1962-2011) sie als eine „Sphinx hinter dem Katzengesicht“, was auf den ersten Blick rätselhaft wirkt. Dabei ist jedoch offensichtlich, wofür diese Frau steht: gegen alles Angepasste und gegen jedes Klischee.
Das ist unverändert geblieben, sondern nur noch klarer und deutlicher geworden: Sie ist eine hervorragende Schauspielerin, jedoch das Gegenteil eines Stars mit der in der Branche üblichen Everybody’s-Darling-Haltung. Am 16. Oktober wird sie 70 Jahre alt.
Über 100 Kino- und TV-Filme
„Corinna Harfouch also: Ein Name, der wie eine kühle Brise über die Lippen kommt, der sich flüstern lässt und doch eine gewisse Kantigkeit besitzt, was man exotisch nennen würde, wenn ihre Erscheinung das nicht verbieten würde…“, urteilte Michael Althen einst im „Spiegel“ hellsichtig und beschrieb ihre „ziemlich kräftige Nase im breitwangigen, fast scharfkantigen Gesicht; der blassblaue Blick, dem nichts zu entgehen scheint und der von Erstaunen bis Verachtung so ziemlich alles widerspiegeln kann; das leise Lächeln, das ihre Mundwinkel mal mild, mal spöttisch und immer wieder herausfordernd umspielt. Mit mir, verkündet ihr Ausdruck, ist nicht zu spaßen. Umso überraschender ist es, wie viel Spaß sie in ihren Filmen hat.“
Das ist bis heute so geblieben, obwohl ihre Arbeit nichts mit der traditionellen Unterhaltung im Stil von Rosamunde Pilcher zu tun hat. Einer der letzten ihrer über 110 Kino- und TV-Filme trug den Titel „Sterben“. In diesem Film geht es um eine völlig zerrüttete Familie: Die Mutter Lissy (Corinna Harfouch) ist todkrank und offenbart ihrem Sohn Tom (Lars Eidinger), der als Dirigent an dem Musikstück „Sterben“ arbeitet, nach dem Tod des demenzkranken Vaters, dass sie ihn nie geliebt habe. Tom entgegnet, dass er sie nicht ertragen könne, weil er genauso kalt sei wie sie.
Dieses berührende und mehrfach ausgezeichnete Drama, bei dem die Familienmitglieder trotz Krankheit und Tod letztendlich zueinanderfinden, hat durchaus lustige Momente. Man könne ihn auch als Hymne an das Leben verstehen, fand eine Kritikerin des NDR. Bei der Premiere in Berlin hat das Publikum stellenweise herzlich gelacht. Corinna Harfouch fand das „so schön“. Der Film trage ja auch den Tschechows „Möwe“ zitierenden Untertitel „Auch eine Komödie“. „So wie das Leben ja immer auch Komödie ist“, sagte sie der „Augsburger Allgemeinen“.
Stereotypen mag sie nicht mehr spielen
Für ihre Darstellung erhielt sie den Deutschen Filmpreis 2024. Dies ist lediglich eine von vielen Ehrungen und Auszeichnungen, die Corinna Harfouch verliehen wurden. Sie legt darauf jedoch keinen großen Wert, sondern es ist ihr vor allem wichtig, sinnvoll arbeiten zu können. Für sie bedeutet das, das Leben in all seinen Facetten zu zeigen: den Schmerz und das Wohlbefinden, die Trauer und die Freude, das Weinen und das Lachen, das Gute und das Böse.
Sie lässt sich nur noch auf Rollen ein, die vom richtigen Leben handeln und hat ihrer Agentur gesagt, alle Anfragen abzulehnen, die auf das Klischee hinauslaufen „Frau, verlassen von Mann, Kinder aus dem Haus, dadurch kein Sinn im Leben mehr und furchtbar traurig“, wie sie der „Augsburger Allgemeinen“ sagte. Diese Stereotypen mag sie nicht mehr spielen.
Dieses Frauenbild findet sie „furchtbar altmodisch“, ihre Lebensbeobachtung sei „eine völlig andere“, sagt sie. Das habe nichts mit unserem Leben zu tun. Das Leben schreibe so spannende Geschichten, sie habe „keine Ahnung, warum Autoren immer wieder auf diese Stereotype zurückgreifen“.
An Schauspielschule wurde sie zuerst abgelehnt
Schon immer hat sie sich etwas einfallen lassen. Geboren in Suhl, Thüringen, und aufgewachsen in der Kleinstadt Großenhain bei Dresden, wollte die Tochter einer Erzieherin und eines Lehrers nach dem Abitur unbedingt Schauspielerin werden. Die Verantwortlichen der Schauspielschule lehnten sie jedoch ab mit der Begründung, sie habe zu wenig Leidenschaft.
Die junge Frau hat ihr Schicksal angenommen und eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Im Jahr 1975 begann sie ein Studium zur Textilingenieurin, das sie jedoch 1978 zugunsten einer Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin abbrach.
Beide Söhne sind Künstler
In Dresden lernte sie den syrischen Informatiker Nabil Harfouch aus Damaskus kennen, der ihr erster Ehemann wurde und mit dem sie eine Tochter hatte. Nach der Trennung begann sie eine Beziehung mit dem Gitarristen und Lautenspieler Stefan Maass, aus der ein Sohn hervorging. 1985 heiratete sie den bekannten Schauspieler und Regisseur Michael Gwisdek (1942-2020), von dem sie sich 1999 trennte und 2007 scheiden ließ. 1984 wurde ihr Sohn Robert Gwisdek geboren. Sein Vater adoptierte auch Johannes Gwisdek, der aus Harfouchs Beziehung mit Stefan Maass stammt. Beide Söhne sind als Musiker und Schauspieler tätig, und Robert stand mit seiner Mutter in dem Film „Sterben“ vor der Kamera.
Nachdem sie sich von Michael Gwisdek getrennt hatte, verbrachte Corinna Harfouch fünf Jahre mit dem unvergessenen Produzenten und Drehbuchautor Bernd Eichinger (1949-2011). Unter seiner Regie übernahm sie die Hauptrolle in dem Film „Der große Bagarozy“. Seit 2004 ist sie mit dem Leipziger Schauspieler, Regisseur und Autor Wolfgang Krause Zwieback (73) zusammen, und das Paar wohnt in der Schorfheide bei Berlin.
Corinna Harfouch brilliert in allen Bereichen
Die Schauspielerin Corinna Harfouch sorgte bereits in der DDR für Aufsehen, unter anderem an der Volksbühne Berlin. Dem Theater ist sie bis heute treu geblieben und trat zuletzt im Maxim-Gorki-Theater in Berlin auf. Ihre erste Hauptrolle im Film „Die Schauspielerin“ (1988) wurde von den Kritikern sehr gelobt.
Corinna Harfouch wird heute als die wandlungsfähigste Schauspielerin des deutschen Films angesehen. Sie glänzt sowohl in Komödien wie „Jetzt oder nie – Zeit ist Geld“ und „Was man von hier aus sehen kann“ als auch im Kinderfilm „Bibi Blocksberg und das Geheimnis der blauen Eulen“. Ebenso setzt sie der Tragikomödie wie „Whisky mit Wodka“ und „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ ihre besonderen Akzente, genauso wie dem Drama, darunter „Lara“ und „This Is Love“.
Besonders eindrucksvoll sind ihre dramatischen Frauenfiguren, zum Beispiel in dem TV-Zweiteiler „Vera Brühne“, (2001), in dem sie die verurteilte Mörderin spielt. In „Der Untergang“ (2004) stellt sie Magda Goebbels dar, Ehefrau des NS-Chefpropagandisten Joseph Goebbels, die vor ihrem Selbstmord ihre sechs Kinder vergiftet. „Ich versuche, diesen kühlen, garstigen oder grausamen Frauen meine ganze Liebe zu geben“, sagte sie vor wenigen Wochen auf einer Veranstaltung, bei der ihr der Hannelore-Elsner-Preis 2024 für ihre Rolle in „Sterben“ verliehen wurde.
Schauspielerin mag „schwere Kost“
Ihre kühle Ausstrahlung sieht sie als „eine Art Gefängnis, in dem ich mich befinde. Ich interessiere mich eben für spröde Figuren“. Sie mag laut „Augsburger Allgemeine“ auch lieber „schwere Kost. Wenn mich ein Film nicht berührt oder beschäftigt, dann interessiert er mich nicht. Ich bin jemand, die möchte nicht nur unterhalten werden, indem sie die ganze Zeit lacht und sich nur die Zeit vertreibt. Ich mag schon den Begriff Zeitvertreib nicht. Das ist wie ein Marshmallow, das man in sich reinstopft: Man hat nichts davon, wird nicht genährt.“
Sollte wirklich mal eine Flaute eintreten oder die angebotenen Rollen nicht mehr passen – auch gut, wie sie der „Berliner Zeitung“ sagte: „Ich lebe diesen Beruf nicht in völliger Abhängigkeit von meinen Angeboten für Kino und Fernsehen. Ich spiele Theater, und wenn ich keine Rolle im Theater und kein Filmangebot habe, mache ich halt Lesungen, und wenn es davon auch gerade keine geben sollte, mache ich was anderes, dann gehe ich zum Beispiel in ein Altersheim und lese dort.“
Keine Angst vor dem Sterben
Seit 2023 ist Corinna Harfouch „Tatort“-Kommissarin, sie ermittelt als ehemalige Kriminaldozentin Susanne Bonard. Für sechs Folgen hat sie unterschrieben, zwei sind bereits gelaufen, dann ist Schluss. „Es wäre auch absurd, wenn ich mit 75 immer noch ‚Tatort‘-Kommissarin wäre und im Rollstuhl die Verbrecher jage“, sagt sie der „Augsburger Allgemeinen“.
Dass sie jetzt 70 wird, sieht sie gelassen: Altern sei eine Selbstverständlichkeit. „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich habe wie jeder Mensch Angst vor Leiden und schweren Krankheiten.“ Sie achte darauf, beweglich zu bleiben, geistig wie körperlich. Allerdings müsse sie schon etwas tun, damit sie „weiter gut aus den Knien“ kommt. Ihr 100-jähriger Vater sei ihr Vorbild: „Der denkt nicht daran, zu sterben. Ich habe ihn gefragt: ‚Vater, was sind deine nächsten Pläne?‘ Und er hat gesagt: ‚Erst mal älter werden.'“
[Corinna Harfouch: Die Unangepasste des deutschen Films],[Die Schauspielerin wird 70 und bleibt ein Symbol gegen Klischees und Anpassung. Bekannt für ihre facettenreichen Rollen, beeindruckt sie in Dramen und Komödien gleichermaßen.]