Die Kontrolle der Herzfrequenz kann beim Joggen oder Schwimmen dabei helfen, das Konditionstraining zu optimieren. Wie das funktioniert, erklären zwei Sportwissenschaftler im Doppelinterview.
Ausdauertraining an die Herzfrequenz anpassen? Warum das sinnvoll ist
Die einen lieben Kraftsport, andere wiederum sind Ausdauer-Fanatiker. Wer sein Konditionstraining nachhaltig optimieren möchte, kann dieses übrigens an die eigene Herzfrequenz anpassen. Denn diese ist “ein spezifischer Beanspruchungsmarker, der Aussagen über die körperliche Reaktion in Bezug zur Ausdauerbelastung zulässt”, verraten Trainingswissenschaftler Thomas Gronwald und Sportwissenschaftler Alexander Törpel, Autoren von “Voll im Takt” (Riva Verlag), im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Welche Rolle spielt die Herzfrequenz bei Ausdauersport?
Thomas Gronwald: Die Herzfrequenz ist ein spezifischer Beanspruchungsmarker, der Aussagen über die körperliche Reaktion in Bezug zur Ausdauerbelastung zulässt. Die Herzfrequenz kann seit über 50 Jahren zeitsynchron zur Belastung mit verschiedenen Messprinzipien erfasst und analysiert werden. Über einen solchen beanspruchungsorientierten Ansatz können wir die körperliche Reaktion in den Mittelpunkt der Interpretation von akuten Trainingswirkungen setzen.
Wie misst man die Herzfrequenz? Sollte man dafür einen Trainer zurate ziehen?
Alexander Törpel: Die Herzfrequenz lässt sich genau über einen Brustgurt mit Sensor erfassen. Dieses elektrophysiologische Messprinzip bedient sich einer vereinfachten elektroden-basierten Messung, die sich aus dem Goldstandard einer EKG-Registrierung abgeleitet hat. Ein weiteres mittlerweile weitverbreitetes Messprinzip stellt die Photoplethysmografie (PPG) über ein optisches Verfahren dar. Hier ist eine Applikation des Sensors am Unterarm oder Oberarm zu empfehlen, um die Messgenauigkeit, die stark auch von der Durchblutung des erfassten Gewebes abhängig ist, zu erhöhen. Die Gerätschaften sind mittlerweile sehr einfach zugänglich und anwendbar, auch ohne Expertise eines Trainers oder einer Trainerin.
Ist das Tragen einer Pulsuhr im Alltag ratsam?
Törpel: Je nachdem welche Zielstellung verfolgt wird, kann das Tragen einer Pulsuhr durch die tatsächlich gemessene Herzfrequenz Aufschlüsse über das Aktivitätslevel in Beruf und Freizeit geben, zum Beispiel in Bezug zur maximalen Herzfrequenz, gemessen in einem Belastungstest, oder zur Ruheherzfrequenz, gemessen am Morgen nach dem Aufwachen.
Wie können wir Herzfrequenzwerte interpretieren?
Gronwald: Zur Interpretation der Herzfrequenzregulation sind diagnostische Vergleichswerte erforderlich. Die schon angesprochene maximale Herzfrequenz oder die Ruheherzfrequenz können genutzt werden, um einen hohen und einen tiefen Anker bzw. Bezugspunkt zu ermitteln, der zumeist von Individuum zu Individuum abweichen kann. Zudem können diese Werte wiederholt gemessen und verglichen werden. Die maximale Herzfrequenz verändert sich nur sehr gering mit veränderter Leistungsfähigkeit, sinkt jedoch im Alternsgang. Die Ruheherzfrequenz sinkt mit steigender spezifischer Ausdauerleistungsfähigkeit und reagiert sensitiv auf die aktuelle allgemeine Beanspruchungssituation.
Unter submaximaler vergleichbarer Belastung (z.B. Laufen bei 12 km/h) kann die mittlere Belastungsherzfrequenz genutzt werden, um Aussagen über das Verhältnis von Belastung und Beanspruchung zu treffen. Hierbei kommt es ebenfalls mit steigender Leistungsfähigkeit zu einer Ökonomisierung der Herzkreislauftätigkeit, also zu einem Absinken der Belastungsherzfrequenz bei gleicher Belastung und wiederholter Messung.
Wie können wir die Herzfrequenz ggf. verbessern?
Törpel: Durch ein regelmäßiges spezifisches Ausdauertraining, vor allem durch das Trainieren mit der niedrig-intensiven Dauermethode sowie dem hochintensiven Intervalltraining kommt es zu einer Ökonomisierung der Herzkreislauftätigkeit. Für die gleiche Belastung bzw. Umweltsituation (z.B. in Ruhe früh nach dem Erwachen, oder Laufen bei gleicher Geschwindigkeit und Außentemperatur) werden weniger Herzschläge benötigt, die Herzfrequenz sinkt. Das hängt vor allem zunächst mit funktionellen und später mit strukturellen Anpassungserscheinungen zusammen (z.B. durch ein erhöhtes Schlagvolumen).
Wie passe ich mein Ausdauertraining durch das Messen meiner Herzfrequenz an?
Gronwald: Anhand der Herzfrequenz kann ich meine Trainingsintensität nachvollziehen bzw. definieren, wodurch das Training seitens der Intensität gesteuert werden kann. Die Herzfrequenz hat eine gewisse Trägheit, bis sie sich an aktuelle Belastungssituationen oder Belastungswechsel anpasst. Vor diesem Hintergrund sind durch das Messen der Herzfrequenz insbesondere Intensitäten im niedrigen bis moderaten und zum Teil auch intensiven Intensitätsbereich, ab einer Belastungsdauer von 1 bis 2 Minuten gut durch die Herzfrequenz zu kontrollieren und zu steuern. Um nun Intensitätszonen der Herzfrequenz für das Ausdauertraining zu definieren, stehen unterschiedliche Ansätze zur Verfügung – diese beschreiben wir umfassend in unserem Buch, um einen Überblick zu bieten, den individuell passenden Ansatz auszuwählen. Sind Intensitätszonen für die Herzfrequenz einmal festgelegt, kann das Ausdauertraining gemäß einer Ausdauertrainingsmethode starten und die Belastung ggf. angepasst werden, um einen optimalen Trainingsreiz zu setzen.
Wie wichtig ist das für jene, die keinen Leistungssport betreiben?
Törpel: Auch für Breiten- und Fitnesssportler und Sportlerinnen sowie im Gesundheitssport ist ein beanspruchungsorientiertes Ausdauertraining zu empfehlen. Das heißt nicht, dass immer mit Herzfrequenz-Orientierung trainiert werden muss, aber es sollte für eine individuelle und spezifische Reizsetzung regelmäßig überprüft werden, ob die Trainingsreize, gesetzt durch die Belastungsmarker (z.B. Geschwindigkeit, Wattleistung, Dauer, Strecke), auch planungsgerecht im Rahmen der Trainingssteuerung im Organismus ankommen.
Warum kann man mit einem auf die Herzfrequenz angepasstem Training die eigene Leistung steigern?
Törpel: Der Erfolg von Training steht immer in der Abhängigkeit zu einer wirksamen Reizsetzung. Die genaue Vorgabe eines Trainingsreizes ist für besser trainierte Personen bedeutsamer als bei wenig oder untrainierten Personen. Für wenig oder untrainierte Personen geht es beim Ausdauertraining zunächst erstmal darum sich regelmäßig und kontinuierlich zu bewegen. Dabei kann die Kontrolle und Steuerung der Intensität anhand der Herzfrequenz hilfreich und unterstützend sein. Für besser trainierte Personen steht wiederum die genaue Definition von Intensitätsbereichen für eine adäquate Reizsetzung in Verbindung mit Ausdauertrainingsmethoden im Fokus. Hierbei kann die Herzfrequenz ebenfalls ein treuer Begleiter sein – quasi der Coach am Handgelenk.
“Voll im Takt” ist das neue Buch von Thomas Gronwald und Alexander Törpel. / Riva Verlag
Um das wichtigste noch einmal zusammenzufassen: Welche Vorteile hat das Trainieren nach Herzfrequenz?
Gronwald: Die Vorteile sind:
- Individuelle Trainingssteuerung gemäß der Beanspruchung des Organismus
- Kontinuierliche Kontrolle von Intensitätsbereichen während des Ausdauertrainings
- Berücksichtigung des Ermüdungszustandes, wodurch Überlastungen / Fehlbeanspruchung vermieden werden können
- Außerhalb des Trainings kann mir bereits die Ruheherzfrequenz Aufschluss über meinen aktuellen Zustand von Beanspruchung und Ermüdung geben
- Sportartunabhängige Verfügbarkeit einer einfach verständlichen Information zur Abgrenzung von Intensitätsbereichen
Über die Experten
Prof. Dr. phil. habil. Thomas Gronwald leitet das Department Performance, Neuroscience, Therapy and Health an der MSH Medical School Hamburg und ist Trainingswissenschaftler und -methodiker mit dem Schwerpunkt Belastungs- und Beanspruchungssteuerung.
Dr. phil. Alexander Törpel ist Sportwissenschaftler und arbeitet seit Ende 2019 als Bundestrainer Diagnostik für den Deutschen Schwimm-Verband e. V. (DSV).