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Experte erklärt: So bewältigt man den Vorweihnachtsstress

Geschenke, Familientreffen, dekorieren und Co. Die Adventszeit und Weihnachten selbst sind für viele eher ein stressiges Projekt als idyllisch. Im Interview gibt Psychiater Dr. Andreas Hagemann Tipps für weniger Stress und eine besinnliche (Vor-)Weihnachtszeit.

Die Weihnachtsvorbereitungen lösen nicht bei allen Menschen Vorfreude aus.
Foto: iStock via Getty/AaronAmat

Die Adventszeit sollte besinnlich sein, doch für viele Menschen verwandelt sie sich in ein regelrechtes Projekt: Geschenke organisieren, Familientreffen planen, dekorieren und backen – die To-do-Liste wächst täglich. Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt im Interview, wie wir die mentale Belastung mit gezielten Veränderungen und technischen Helfern reduzieren können, um die Adventszeit und Weihnachten zu genießen.

Herr Dr. Hagemann, Sie behandeln Menschen mit psychischen Belastungen. Bemerken Sie in der Vorweihnachtszeit eine Zunahme der Beschwerden?

Dr. Andreas Hagemann: Generell bemerke ich innerhalb eines Jahres immer wieder Schwankungen in der Nachfrage nach Behandlungen. Oft steigt diese nach den Ferien an, da viele Menschen versuchen, sich in den Urlaub zu retten. Sind die Beschwerden nach der (fehlenden) Erholung noch vorhanden, steigt die Nachfrage. In der Vorweihnachtszeit ist dies anders. Hier steigt bereits vor den Ferien die Stressbelastung und der Druck, sich in eine Behandlung zu begeben, nimmt zu.

Auch eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Forsa und Ring, einem Anbieter für intelligente Heimsicherheitslösungen, legt nahe, dass der Stress bei vielen Menschen vor Weihnachten zunimmt. 40 Prozent der Befragten gaben an, in der Vorweihnachtszeit gestresster zu sein als sonst. Das bestätigt also objektiv, was viele Menschen auch subjektiv wahrnehmen.

Viele Menschen fühlen sich vom Advent überfordert. Was macht diese Zeit psychisch so belastend?

Dr. Hagemann: Viele Termine und Verpflichtungen: Weihnachtsmärkte, Familientreffen, Weihnachtsfeiern – das kann anstrengend sein, noch bevor Weihnachten überhaupt ansteht. In der Studie von Forsa und Ring gab zum Beispiel ein Viertel der Befragten (25 Prozent) an, dass sie Weihnachtsfeiern vom Arbeitgeber oder Vereinen in der Vorweihnachtszeit stressen. Und ganze 40 Prozent fühlen sich durch Weihnachtseinkäufe und das Besorgen von Geschenken gestresst.

Zudem kann vor allem für Menschen, die allein sind oder kürzlich einen geliebten Menschen verloren haben, die besinnliche Zeit besonders schwer auszuhalten sein. Erinnerungen an vergangene, glückliche Momente machen die langen Feiertage oft zu einer emotionalen Belastung. Besonders Personen, die zu depressiven Verstimmungen neigen, empfinden den gesellschaftlichen Druck, fröhlich und ausgelassen zu sein, oft als zusätzliche Belastung. Das kann ihre Einsamkeit und ihren Stress sogar noch verstärken.

Aus medizinischer Sicht existiert der Begriff der “Weihnachts-Depression” streng genommen nicht. Dennoch stellen die Feiertage für viele Menschen aufgrund zwischenmenschlichen und sozialen Drucks eine erhebliche Herausforderung dar.

Welche Warnsignale zeigen an, dass die vorweihnachtliche Belastung zu groß wird?

Dr. Hagemann: Steigt das Stresslevel über einen gewissen Punkt hinaus an, entwickeln Menschen Symptome, wie sie auch bei einer depressiven Verstimmung auftreten können. Für sich genommen haben diese noch keinen richtigen Krankheitswert, können aber selbst zu einer weiteren Belastung werden. Häufig sind Schlafstörungen, eine Dünnhäutigkeit mit aggressiven Ausbrüchen oder Probleme, sich auf eine Sache zu fokussieren. Auch eine innere Unruhe und permanente Anspannung oder eine vermehrte Grübelneigung sind erste Warnsignale, ebenso wie der vermehrte Konsum von Alkohol um “herunterzufahren” oder die Vernachlässigung von Familie und Freunden.

Besonders Frauen übernehmen oft die Organisation der Feiertage. Wie lässt sich diese mentale Last besser in der Familie oder Partnerschaft verteilen?

Dr. Hagemann: Aus der genannten Studie geht hervor, dass doppelt so viele Frauen wie Männer Alltagsstress empfinden – bei den Frauen sind es zwei von fünf (40 Prozent), bei den Männern ist es einer von fünf (20 Prozent). Das verwundert nicht – denn die Ergebnisse zeigen auch, dass viele Alltagsaufgaben nach wie vor ungleich verteilt sind. Während beispielsweise acht von zehn Frauen die Hauptverantwortung für Putzen (83 Prozent), Kochen (83 Prozent) und Einkaufen (82 Prozent) tragen, kümmern sich Männer hauptsächlich um technische Geräte (85 Prozent) oder Reparaturen (84 Prozent).

Vor Weihnachten nimmt dieser Stress zu – schließlich steht neben den alltäglichen Verpflichtungen noch mehr Organisation auf dem Plan. Versuchen Sie sich bewusst zu machen, was Ihnen an Weihnachten wirklich wichtig ist: Ist es wichtig, dass jeder Winkel geputzt ist oder alle, inklusive Sie selbst, sich wohlfühlen? Was ist hierfür notwendig? Dann die Aufgaben priorisieren und die Verantwortung miteinander neu verteilen. Hierbei ist die Kommunikation miteinander wichtig. Einerseits die eigenen Erwartungen mitteilen und andererseits die Kontrolle abgeben. Akzeptieren Sie, dass der Partner Dinge anders erledigt und andere Vorstellungen hat, die auch schön sein können.

Viele haben ein idealisiertes Bild vom “perfekten Weihnachtsfest”. Wie wirkt sich dieser Druck auf die Psyche aus?

Dr. Hagemann: Durch meine Arbeit weiß ich, dass auch in scheinbar intakten Familien unrealistische Erwartungen an das “Fest der Liebe” oft zu Konflikten, Frustration und Enttäuschung führen. Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus, die sowohl an sich selbst als auch an ihr Umfeld hohe Ansprüche stellen, erleben häufig, dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden können, was zusätzlichen Stress verursacht. Wer die Feiertage im Kreis von Familie oder Freunden verbringt, sollte seine Wünsche und Vorstellungen im Vorfeld klar äußern. Eine offene Kommunikation kann helfen, überzogene Erwartungen zu vermeiden, den Druck zu mindern und Enttäuschungen vorzubeugen.

Welche konkreten Strategien, Routinen oder Rituale empfehlen Sie, um den Vorweihnachtsstress zu reduzieren?

Dr. Hagemann: Versuchen Sie, an den Adventswochenenden nicht möglichst viele Aktivitäten unterzubringen, sondern konzentrieren Sie sich auf einige bewusst ausgewählte Erlebnisse. Diese müssen keine spektakulären Höhepunkte sein, sondern sollten Momente sein, die leicht und unbeschwert Freude bereiten. So lässt sich der Spaß steigern, während der Stress gleichzeitig reduziert wird. Techniken zur Stressbewältigung und Methoden zur Entspannung können generell dabei helfen, mehr Gelassenheit in den Alltag zu bringen und entspannter auf Herausforderungen und Konflikte zu reagieren.

Es ist zudem eine gute Idee, sich kleine Highlights vorzunehmen, wie etwa gemütliche Spieleabende mit Familie oder Freunden oder ein besonders leckeres Lieblingsessen am Wochenende. Gerade an stressigen Tagen in der Vorweihnachtszeit lohnt es sich, bewusst einen Ausgleich zum beruflichen Alltag zu schaffen. Freizeitaktivitäten wie Sport oder soziale Kontakte wirken oft stimmungsaufhellend und helfen, Frust abzubauen. Auch ausreichender Schlaf sowie der maximal maßvolle Konsum von Alkohol, Nikotin und Kaffee tragen dazu bei, den Alltag entspannter zu gestalten.

Und nicht zuletzt können uns auch technische Helfer unter die Arme greifen. Das können Smart-Home-Geräte sein, wie etwa eine Videotürklingel, mit der ich Pakete auch von unterwegs annehmen kann und so keinem Weihnachtsgeschenk hinterherlaufen muss. Oder der Saugroboter, der mir im Back- und Kochchaos Arbeit abnimmt.

Die aktuelle Wirtschaftslage bereitet vielen zusätzliche (finanzielle) Sorgen. Wie kann man damit umgehen?

Dr. Hagemann: Auch hier ist die Kommunikation miteinander wichtig. Setzen Sie sich zusammen und reden Sie: Was erwarten wir voneinander, was brauchen wir wirklich (“must have”), was ist “nice to have”. Treffen Sie Absprachen, an die sich alle halten, äußern Sie Ihre Erwartungen und Wünsche. Wichtig vor allem für Eltern: Ein Wunschzettel ist keine Einkaufsliste. Anstelle vieler Geschenke ist oft ein einzelnes, mit Sorgfalt und Herz ausgewähltes Präsent die bessere Wahl. Selbstgemachte Geschenke sind dabei eine besonders persönliche Geste der Wertschätzung und Zuneigung. Sie vermitteln: “Du bist mir wichtig, und ich habe mir bewusst überlegt, wie ich dir eine besondere Freude bereiten kann.”

Was raten Sie Menschen, die unter Einsamkeit in der Weihnachtszeit leiden?

Dr. Hagemann: Kleine Highlights wie Spieleabende mit Familie oder Freunden können für Freude sorgen und den Alltag auflockern. Auch klassische Freizeitaktivitäten in der Adventszeit, wie Besuche auf dem Weihnachtsmarkt, bieten eine willkommene Gelegenheit, den Kopf freizubekommen und sich auf andere Gedanken zu bringen. Es ist hilfreich, nicht in Isolation zu verfallen, sondern aktiv zu bleiben und regelmäßig das Haus zu verlassen. Aktivitäten wie Spaziergänge, Wanderungen oder Fahrradtouren, sofern das Wetter mitspielt, können stimmungsaufhellend wirken und fördern das Wohlbefinden.

Wer die Feiertage allein verbringt, sollte versuchen, sich selbst Abwechslung und kleine Freuden zu gönnen. Ein schöner Weihnachtsfilm, das Lieblingsbuch oder ein entspannendes Bad sind nur einige Möglichkeiten, für Momente des Wohlbefindens zu sorgen. Auch sportliche Betätigung kann helfen, die Stimmung zu heben und den Feiertagen eine positive Note zu geben.

In der Umgebung gibt es möglicherweise spezielle Angebote für Menschen, die an den Feiertagen Gesellschaft suchen. Kirchen und soziale Einrichtungen bieten oft Unterstützung und Veranstaltungen an, die Anschluss und Gemeinschaft ermöglichen.

Wie kann man schon im Vorfeld verhindern, dass der Stress überhandnimmt – und im Optimalfall aus den Erfahrungen für das nächste Jahr lernen?

Dr. Hagemann: Eine Garantie, dass es keinen Stress gibt, gibt es nicht. Oft ist der Stress aber verbunden mit unausgesprochenen Erwartungen und Wünschen. Wenn ich mir dieser selbst bewusst bin und sie mitteile, können sie (eher) erfüllt oder beiseitegelegt werden. Reden Sie miteinander, teilen Sie sich mit und setzen Sie sich nach den Festtagen zusammen. Berichten Sie sich gegenseitig vom Fest. Dabei geht es nicht darum, was das Gegenüber gemacht oder getan hat, sondern darum, wie Sie selbst etwas erlebt und empfunden haben. Hat etwas gefehlt und wenn ja, war das Fest auch ohne dieses Detail schön? Was lohnt sich nicht beizubehalten und welche “neue Tradition” nehmen Sie mit?

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