Alkohol ist in der Weihnachtszeit fester Bestandteil vieler sozialer Zusammenkünfte. Was wäre, wenn man darauf verzichtet? Felix Hutt hat das ein ganzes Jahr lang getan. Im Interview berichtet er von der Erfahrung und erklärt, weshalb wir als Gesellschaft unseren Alkoholkonsum überdenken sollten.
Glühwein und Gruppenzwang: Ein Plädoyer für alkoholfreie Weihnachten
Weihnachten, eine Zeit der Besinnung, Familie, des Feierns – und nicht selten auch des übermäßigen Alkoholkonsums – vom Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt über den obligatorischen Sekt bei der Firmenfeier bis hin zum Champagner an den Festtagen: Alkohol scheint in dieser Jahreszeit allgegenwärtig. Doch was passiert, wenn man sich bewusst entscheidet, darauf zu verzichten? Reporter und Autor Felix Hutt hat genau das getan: Am Abend seines 44. Geburtstags entschloss er sich, seinen Alkoholkonsum radikal zu ändern und ein Jahr keinen Alkohol zu trinken. Seine Erfahrungen hat er im Buch “Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol” (ab 18. Dezember erhältlich, Goldmann Verlag) festgehalten.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news beschreibt Hutt, wie tief Alltagsalkoholismus in unserer Gesellschaft verankert ist, welche sozialen Reaktionen er erlebte und warum gerade in der Weihnachtszeit Gruppenzwang oft überwiegt. Zudem gibt er nützliche Tipps, wie man selbstbewusst “Nein” sagen kann.
Was hat Sie persönlich dazu motiviert, ein Jahr komplett auf Alkohol zu verzichten?
Felix Hutt: Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich keinen Alkohol brauche, nicht abhängig bin. Mir haben die Schattenseiten des Trinkens, – der schlechte Schlaf, die Gereiztheit, die Kater – mehr zu schaffen gemacht, als mich die Räusche erfreut haben. Und ich habe mich mit der omnipräsenten Prosterei in meinem Leben nicht mehr wohlgefühlt.
Ihr Buch “Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol” thematisiert Alltagsalkoholismus. Wie würden Sie diesen definieren und wie verbreitet ist dieses Phänomen Ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft?
Hutt: Alltagsalkoholiker sind für mich Menschen, die regelmäßig trinken, aber glauben, noch alles im Griff zu haben, weil sie in ihrem Alltag einigermaßen funktionieren. Sie reden sich ein, dass sie kein Problem haben, dabei können sie längst nicht mehr ohne Alkohol leben. Alltagsalkoholismus ist in der Gesellschaft so fest verankert, dass als Exot gilt, wer nicht mittrinkt. Paradoxerweise wird nicht das Ruinieren der eigenen Gesundheit durch Alkoholkonsum, sondern die Abstinenz von vielen hinterfragt oder gar kritisiert.
Was ist die kreativste “Ausrede”, die Sie in ihrem alkoholfreien Jahr benutzt haben?
Hutt: Ich habe meine Abstinenz zwischen Aschermittwoch und Ostern mit der Fastenzeit erklärt, erzählt, ich könne da aus religiösen Gründen keinen Alkohol konsumieren. Dabei bin ich gar nicht gläubig. Der liebe Gott möge mir verzeihen.
Gerade in der Weihnachtszeit gehört Alkohol bei Weihnachtsmärkten, Feiern und Familientreffen für viele Menschen dazu. Wie erleben Menschen, die keinen Alkohol trinken möchten, diese Situationen?
Hutt: Es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund, sich mit Glühwein zu betrinken, außer man steht auf Kopfschmerzen am Tag danach oder braucht wieder einmal einen Grund, um zu rauschen. Ich habe meine erste alkoholfreie Weihnachtszeit seit meiner Jugend als sehr angenehm empfunden, weil ich mich auf das besonnen habe, was Weihnachten doch sein soll: ein Fest der inneren Einkehr, der Freude über das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahres.
“Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol” (256 Seiten, ca. 18 Euro) ist ab 18. Dezember beim Goldmann Verlag erhältlich. / Goldmann Verlag
Was denken Sie: Warum verbinden so viele Menschen die Weihnachtszeit mit Alkoholkonsum? Ist es Tradition, Stressbewältigung oder Gruppenzwang?
Hutt: Unabhängig von Weihnachten ist Alkoholkonsum als Stressbewältigung kontraproduktiv, weil er einem psychisch und physisch neuen Stress bereitet.
Es gibt übers Jahr verteilt sehr viele Anlässe, die dazu missbraucht werden, an ihnen Alkohol zu konsumieren. Die Weihnachtszeit gehört dazu. Ich habe im Buch dem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet, das “Ihr Trinkerlein kommet” heißt. Das Wiedersehen mit Freunden, die in anderen Städten leben. Die Weihnachtsfeiern. Die Familien, die tagelang aufeinander sitzen, obwohl sie sich zum Teil nicht ausstehen können. Da wird dann schon vormittags der Champagner oder der Rotwein aufgemacht, natürlich nur wegen des Genusses und der Geselligkeit. Und dann gibt es Trinktraditionen, die man mal eingeführt hat und unbedingt beibehalten muss. Den Frühschoppen an Heiligabend, das Bier nach den Weihnachtseinkäufen, aus dem nicht selten ein Absturz wird. Freunde von mir treffen sich jeden Dezember zum Jägermeister-Bowling, bei dem es einzig darum geht, wer am meisten Fläschchen stürzt. Und kaum ist die Weihnachtsgans mit Hilfe von vielen Schnäpsen verdaut, steht schon das trunkene Silvester vor der Tür. Das alles hat natürlich mit dem eigentlichen Fest nichts mehr zu tun, man betrinkt sich im Dezember im Kontext von Weihnachten, das gehört sich für viele einfach so und wird nicht hinterfragt.
Auf Weihnachtsfeiern hört man oft Sprüche wie “Ach komm, nur ein Gläschen!” Was entgegnen Sie Menschen, die solche gut gemeinten, aber hartnäckigen Aufforderungen machen?
Hutt: Denen sage ich: “Nein danke, heute nicht.” Wenn man das beharrlich macht, gilt man irgendwann als Langweiler, wird aber nicht mehr so oft gefragt.
Sie sprechen in Ihrem Buch von einem sozialen Druck, mittrinken zu müssen. Warum übt die Gesellschaft, vor allem in geselligen Runden, so viel Druck aus?
Hutt: Man kann sein eigenes Trinkverhalten besser legitimieren, wenn sich die Menschen um einen herum auch betrinken. Wenn es alle machen, kann es ja nicht so falsch sein. Ist da aber jemand in der Gruppe, der nicht mitmacht, stört der die trunkene Übereinkunft und erinnert die anderen daran, dass das, was sie da machen, ungesund ist. Dieser Fremdkörper wird attackiert, mal eher subtil, mal offen aggressiv. Aus demselben Grund haben viele Väter, die regelmäßig trinken, nichts dagegen, wenn ihre Söhne es ihnen nachmachen. Lebten ihre Kinder abstinent, würde ihnen jeden Tag vor Augen geführt, dass sie ein Alkoholproblem haben.
Welche Veränderungen haben Sie in Ihrem sozialen Umfeld erlebt, als Sie anfingen, Nein zum Alkohol zu sagen? Gab es mehr Widerstand oder Verständnis?
Hutt: Ich bin glücklicherweise von liberalen Menschen umgeben, die mich nicht ausgegrenzt haben. Aber natürlich gab es Diskussionen und Kritik, und ich habe mich manchmal gefragt, ob ich einigen meiner Freunde tatsächlich betrunken lieber bin als nüchtern. Erstaunlicherweise überwog nicht das Lob für mein neues, gesünderes Leben, sondern das Hinterfragen meines Alltags ohne Alkohol.
Wie hat der bewusste Verzicht auf Alkohol Ihre Wahrnehmung von gesellschaftlichen Normen verändert?
Hutt: Ein Leben ohne Alkohol ist wie ein Leben ohne Filter, man nimmt alles klarer wahr, macht sich nichts mehr vor. Wenn eine Abendrunde langweilig ist, ein Date nicht funktioniert, dann gibt es keine Droge, mit der man sich das schön trinkt, sondern dann ist es eben so. Gleichzeitig weiß man, wenn eine Abendrunde lustig war, ein Rendezvous amüsant, dass man das nicht aufgrund der Promille so empfunden hat. Man setzt nüchtern neue Prioritäten, erlebt mit geschärften Sinnen eine Wahrhaftigkeit, die ich nicht mehr missen möchte. Auf einmal liegt das Glück nicht mehr darin, sich bis morgens um vier an der Bar zu betrinken, sondern morgens um sieben ausgeruht aufzustehen und Sport zu treiben. Neue, gesündere Räusche lösen die alten ab. Sie gefallen mir viel besser.
Was hat Sie an Ihrem alkoholfreien Jahr am meisten überrascht – positiv und negativ?
Hutt: Mich hat positiv überrascht, dass ich es aus eigener Kraft geschafft habe aufzuhören und trotzdem gesellig zu bleiben, sogar das Oktoberfest kann ohne Alkohol Spaß machen. Mich begeistern die gesundheitlichen Verbesserungen, dass chronische Entzündungen verschwunden sind, ich nur noch sehr selten krank bin. Negativ überrascht hat mich, wie vehement häufig der Widerstand gegen mein Vorhaben war, dass so viele eine kritische Haltung gegenüber meiner Abstinenz hatten.
Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit der Verzicht auf Alkohol gesellschaftlich mehr akzeptiert wird?
Hutt: Darüber könnte ich noch ein Buch schreiben, da gibt es so viele Aspekte. Im ersten Schritt muss in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür entstehen, dass wir Deutschen ein massives Alkoholproblem haben, das uns als Gesellschaft gesundheitlich und finanziell sehr schadet. Man muss über die Verfügbarkeit von Alkohol reden. Wann und wo wird er verkauft, und an wen, Stichwort Jugendliche. Man kann zum Beispiel nach Schweden schauen, wo es deutliche Einschränkungen gibt, die dafür sorgen, dass es weniger Alkoholabhängigkeit gibt. Aber am Ende lässt sich eine so populäre Droge, die die milliardenschwere Alkoholindustrie im Rücken hat, natürlich nicht verbieten. Am Ende liegt die Entscheidung mitzutrinken bei jedem selbst.