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Margit Auer rät “Handys weglegen!”: So lernen Kinder das Lesen lieben

Kinder, die lesen, sind kreativer und ausgeglichener. Wie man beim Nachwuchs die Freude an Büchern weckt, verraten prominente Kinderbuchautoren im Interview.

Bestsellerautorin Margit Auer bei einer Lesung.
Foto: imago/Agentur 54 Grad / 54° / Felix Koenig

Wie wecken Eltern beim Nachwuchs die Lust am Lesen? Der Tipp von Kinderbuchautorin Margit Auer (57, “Die Schule der magischen Tiere”) lautet: “Handys weglegen!” Der Nachrichtenagentur spot on news verrät die Bestsellerautorin zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen Kirsten Boie (74, “Dunkelnacht”), Silke Schlichtmann (geb. 1967, “Mattis”), Nils Mohl (53, “Henny & Ponger”) sowie Michael Gerard Bauer aus Australien (69, “Nennt mich nicht Ismael!”), mit welchen Büchern sie selbst das Lesen lieben gelernt hat.

Zum 75. Geburtstag der Internationalen Jugendbibliothek, der unter anderem mit einem Familienfest am 15. September im Schloss Blutenburg in München gefeiert wird, erklären die Starautoren zudem, wie sie mit ihren Geschichten Brücken bauen- frei nach dem Motto des Jubiläums “Mit Kinderbüchern Brücken bauen”.

Mit welchen Büchern und Geschichten haben Sie als Kind das Lesen lieben gelernt?

Margit Auer: Das erste Buch, an das ich mich erinnern kann, ist “Mein Esel Benjamin”. Ein kleines Mädchen lebt mit seinem Esel auf einer griechischen Insel. Der Esel wohnte im Haus. Ich wäre gern dieses kleine Mädchen gewesen. Als ich selbst lesen konnte, war es Astrid Lindgren rauf und runter. Michel aus Lönneberga war am besten. Der war frech und lieb zugleich. Das Kapitel, wie er die Lehrerin küsst – haha, einfach köstlich. Ich liebe die Geschichten bis heute.

Kirsten Boie: Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen – damals gab es noch längst nicht so viele Bücher. Aber wichtig waren für mich Astrid Lindgren und Erich Kästner. Die vielen anderen Bücher, die ich gelesen habe, haben nicht dieselbe Rolle gespielt und ich erinnere mich nicht. Nur ein anderes Buch würde ich wirklich gerne noch einmal lesen – aber ich weiß weder Autorin noch Titel. Dabei ging es um ein Mädchen, das erblindet. Sollte also jemand eine Idee haben…

Nils Mohl: Die Klassiker erinnere ich besonders gut. Lindgren und Kästner. Was habe ich “Karlsson vom Dach” geliebt. Und den Emil. Aber ich hatte auch eine enorme Sammlung von Petzi-Büchern und ein dickes Buch von Wilhelm Busch. Mit elf Jahren bekam ich zu Weihnachten “Die Chronik des 20. Jahrhunderts” geschenkt. Ein Wälzer, in den ich mich versenkt habe wie in kein zweites Buch. Ich mochte die Art, wie man darin las. Kreuz und quer. Die Geschichten von Tim und Struppi waren auch eine große Leidenschaft an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend.

Mit Kindern in die Bibliothek zu gehen, gilt als einer der wichtigen Tipps, wie Eltern ihre Kinder für das Lesen begeistern können. Welche Erinnerungen und Erlebnisse verbinden Sie mit Bibliotheken?

Kirsten Boie: Die erste Bibliothek, eine Hamburger Bücherhalle, habe ich mit zehn Jahren kennengelernt. Bis zum Abitur bin ich einmal die Woche mit der grün-blau-karierten Einkaufstasche meiner Mutter dorthin gegangen und habe, oft stundenlang, in den unzähligen Büchern gelesen. Für mich war das in vielen Wochen der schönste Nachmittag.

Nils Mohl: Jeden Samstag ist mein Vater mit mir und meiner Schwester in der Hamburger Bücherhalle gewesen – und wir sind immer mit gefüllten Taschen nach Hause gekommen. Dieser Ort war geradezu ein Wunderort. Es gab zwar ein Ausleihlimit, wenn ich mich richtig erinnere, aber im Grunde konnte man sich austoben. Diese Büchermengen hätten wir uns nie und nimmer kaufen können. Und ich fand auch die Ausleihkarten in den Büchern rätselhaft und spannend. Das Zurückgeben war allerdings oft traurig.

Silke Schlichtmann: Meine Mutter ist mit meinem großen Bruder und mir regelmäßig in die 15 Kilometer entfernt liegende Stadtbibliothek nach Stade gefahren. Ich weiß noch genau, wie ich damals durch die Regalreihen streifte und welch ein Glücksgefühl es war, wieder zehn neue Bücher aussuchen und dann zur Theke schleppen zu dürfen, wo die Bibliothekarin hinten in jedes Buch eine Lochkarte steckte…

Studien haben gezeigt, dass Kinder, die gerne lesen, in vielen Bereichen davon profitieren: Nicht nur kognitive Fähigkeiten und Kreativität werden gefördert, auch die mentale Gesundheit verbessert sich. Haben Sie neben dem Besuch der Bücherei noch weitere Tipps für Eltern, wie man die Lesefreude beim Nachwuchs weckt?

Margit Auer: Es gibt nur einen Einzigen: Handys weglegen! Die Eltern sind als erste dran. Handys sind die Killer der Fantasie.

Kirsten Boie: Unbedingt ganz früh gemeinsam Bücher gucken – und sich dabei auf das Tempo des Kindes einlassen. Und sobald das Kind selbst liest, es vorlesen lassen – ganz wenig zu Anfang, dann immer mehr. Als Erwachsener dann aber immer noch selbst vorlesen. So wird das Kind allmählich selbst zum Leser.

Michael Gerard Bauer: Es ist so wichtig, Kindern so früh wie möglich vorzulesen. Kinder jeden Alters lieben es, wenn ihnen vorgelesen wird. Ich denke, es ist auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Menschen nicht das Lesen an sich lieben. Sie lieben es, die Bücher und Geschichten zu lesen, die sie ansprechen und ihnen Freude bereiten. Wenn sie älter werden, ist es wichtig, den Kindern zu helfen, die richtigen Bücher für sie zu finden. Die Bücher sollten sich mit ihren besonderen Anliegen, Interessen und Leidenschaften befassen. Die Eltern können ihnen diese Bücher in die Hand geben oder ihnen Passagen vorlesen, die ihr Interesse wecken könnten. Es ist oft nicht so, dass Kinder nicht gerne lesen, sondern dass sie einfach noch nicht das richtige Buch für sich gefunden haben. Dieses Buch zu finden, ist der Schlüssel, der viele Türen öffnen wird. Wenn Eltern zudem zu ihrem eigenen Vergnügen lesen und Bücher als vertrautes und geliebtes Element zuhause angesehen werden, wird automatisch die Botschaft vermittelt, dass Lesen Spaß macht und zu den großen Freuden des Lebens gehört.

Nils Mohl: Vorlesen. Wann immer es geht. Ich habe unseren Kindern oft während Autofahrten vorgelesen. Auch dann noch, als sie aus dem klassischen Lesealter raus waren. Später dann hatten wir einen Deal. Sie mussten ein von mir ausgesuchtes Buch pro Monat lesen, im Gegenzug haben wir die Nutzung der Smartphones zeitlich nicht groß eingeschränkt. Zwölf Bücher im Jahr klingt nach nicht viel. Aber der eigene Kanon wächst stetig an. Das hilft. Und steigert die Chance, dass Lust auf mehr geweckt wird.

Silke Schlichtmann: Durch gemeinsames (Vor)lesen, Erzählen, zusammen Bilderbücher anschauen, darüber sprechen, zusammen lachen und weinen, Szenen nachspielen, Kinderbuchfiguren und -situationen mit in andere Gespräche hineinnehmen, von Anfang an – natürlich am besten in ruhiger, warmer Atmosphäre. Und als Eltern dies auf keinen Fall als einen weiteren Punkt auf einer endlosen To-do-Liste ansehen, sondern als eine gemeinsame Auszeit vom oft doch stressigen Alltag. Einfach mal ausprobieren, es ist schön. Ach ja, ganz besonders lässt sich Lesefreude beim Nachwuchs natürlich durch Selbstlesen der Erwachsenen wecken – Kinder ahmen nach und wenn sie ihre Eltern immer wieder lesend und dabei zufrieden sehen, ist es zwar keine hundertprozentige Garantie, aber doch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie das auch unbedingt können und machen wollen.

Die Internationale Jugendbibliothek feiert 75-jähriges Jubiläum unter dem Motto: Mit Kinderbüchern Brücken bauen. Was bedeutet dieses Motto für Sie persönlich und für Ihre Arbeit als Autor/in?

Margit Auer: Mit Büchern reist man in ein anderes Universum. Und ich baue dieses Universum zusammen. Ist das nicht genial? Ich erfinde Geschichten, Figuren, Handlungen, und dann kommt es uns vor, als gäbe es das alles wirklich. Ich baue eine Brücke von der Realität in die magische Welt – und brauche nur 26 Buchstaben dafür.

Michael Gerard Bauer: Ich mag das Motto, weil ich glaube, dass es bei Büchern im Allgemeinen um Verbindung geht. Geschichten, die Eltern mit ihren Kindern teilen und ihnen vorlesen, können Brücken bauen und Bindungen schaffen, die ein Leben lang halten. Bücher bauen auch Brücken zwischen jungen Lesern und der Welt im Allgemeinen – einer Welt, in der es oft Leben und Erfahrungen gibt, die sich von ihren eigenen unterscheiden. Bücher bauen Brücken, über die Verständnis, Mitgefühl und Empathie wandern können. Ich hoffe, dass meine Bücher dies leisten können.

Nils Mohl: Wir alle sind begrenzt in unseren Möglichkeiten und Handlungsspielräumen. Jedes gute Buch ist eine Brücke in eine neue Welt, eröffnet andere Perspektiven und erweitert unseren Horizont. Der Mensch hat als Spurenleser angefangen – und offenbar schnell verstanden, was für einen Vorteil es hat, sich Weltwissen auf die Art anzueignen. Säbelzahntiger oder Perlhühnchen? Gefahr und Chance? Das Lesen ist immer auch eine Brücke zwischen Realität und Vorstellungskraft.

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