Norweger disqualifiziert, Skandal erschüttert Sportart. Kontrollsystem in Frage gestellt, mögliche Sperren noch unklar.
Skisprung-Skandal bei WM in Trondheim: Anzug-Manipulationen und Disqualifikationen
Skisprung-Rennleiter Sandro Pertile war die Wut deutlich anzusehen. Das Anzug-Chaos bei der WM setzte dem 56-Jährigen mächtig zu. «Ich bin geschockt», sagte Pertile in Trondheim. Statt sich über die Skisprung-Show des slowenischen Weltmeisters Domen Prevc und dessen Konkurrenten zu freuen, muss er den wohl größten Skandal in seiner Sportart seit Jahren moderieren.
Was ist passiert?
Im Einzelwettbewerb von der Großschanze wurden Marius Lindvik, Johann André Forfang und Kristoffer Eriksen Sundal aus Norwegen aufgrund nicht regelkonformer Anzüge disqualifiziert. Ein Protest von Österreich, Polen und Slowenien ging dem voraus. Auf mehreren Videos ist zu sehen, wie die Anzüge der Norweger absichtlich manipuliert wurden.
Lindvik hatte am Samstag eigentlich den zweiten Platz belegt. Aufgrund seiner Disqualifikation gewann der Österreicher Jan Hörl Silber anstelle von Bronze. Ryoyu Kobayashi aus Japan rutschte auf den dritten Platz. Lindvik hatte die Titelkämpfe in seinem Heimatland geprägt. Im Einzelwettbewerb von der Normalschanze am vergangenen Sonntag sicherte er sich die Goldmedaille.
Was ist auf den Videos zu sehen?
Die Aufnahmen zeigen, wie an einem Sprunganzug genäht wird. Sie wurden offenbar unbemerkt von den Beteiligten gemacht und durch eine Lücke in einem Vorhang aufgenommen. Für den Laien ist die Manipulation schwer zu erkennen, der Inhalt des Videos wirkt unscheinbar. Für den Experten sind die Bilder jedoch sehr verdächtig, erklärte der Trainer aus Österreich, Andreas Widhölzl.
Können nachträglich auch weitere WM-Ergebnisse geändert werden?
Es ist unwahrscheinlich. Pertile sagte, er rechne nicht mit weiteren Disqualifikationen. «Im Prinzip nicht. Wir haben ein System – wenn die Kontrolle fertig ist, ist sie fertig», sagte Pertile nach dem Wettbewerb in der Interview-Zone. Der Italiener erklärte auch, dass die Bilder, die die Manipulation zeigen sollen, aus der Nacht von Freitag auf Samstag stammen.
Müssen Beteiligte an der Manipulation weitere persönliche Strafen fürchten?
Was mögliche Sperren anging, hielt sich Pertile zurück. Für eine Antwort sei es zu früh. «Wir müssen in Ruhe die Situation klären. Das ist ein Thema für die ganze Skisprung-Familie, nicht nur für eine Mannschaft.»
Welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es bei den Kontrollen?
Das grundsätzliche Kontrollsystem und die Arbeit von Materialkontrolleur Christian Kathol stellten zunächst weder Athleten noch Trainer infrage. «Christian tut sein Bestes», sagte Österreich-Coach Widhölzl. «Er kann nicht alles sehen.» Einen Verbesserungsvorschlag hat der frühere Weltklassespringer aber auch. «Ich glaube, dass es sicher mehr Leute braucht. Das ist aber sicher eine finanzielle Frage», sagte er. Der Skandal von Trondheim könne der Sportart bei weiteren Verbesserungen auch helfen: «Ich finde es gut, weil jetzt passiert was.»
Wann gab es zuletzt große Aufregung rund ums Material?
2022 bei den Olympischen Winterspielen in Peking. Damals wurden beim Mixed gleich fünf Topspringerinnen wegen ihres Anzugs disqualifiziert, darunter auch Katharina Schmid (damals Althaus). Norwegen, Japan, Österreich und das deutsche Team kostete das alle Medaillenchancen. «Das heute war Kasperletheater», sagte Bundestrainer Stefan Horngacher nach dem Chaos von Peking.
Doch damals ging es nicht um den Vorwurf der Manipulation, sondern um die plötzlich strengeren Kontrollen. «Die vier größten Nationen sind ja nicht alle bescheuert und wollen manipulieren. So macht man die Sache ein Stück weit kaputt», schimpfte Sportdirektor Horst Hüttel.
Nach den Olympischen Spielen beruhigte sich die Aufregung schnell, aber bei der Fis gab es Konsequenzen. Der damals zuständige Kontrolleur Mika Jukkara aus Finnland wurde durch den Österreicher Kathol ersetzt. Elf Monate vor den nächsten Winterspielen in Italien müssen Rennleiter Pertile und Kontrolleur Kathol diesmal wohl tiefgreifendere Probleme lösen.