Nagelsmanns Salami-Nominierung: Oma Lotti, Dortmund und Sané

Nico Schlotterbeck in der Tagesschau, Jonathan Tahs Bild auf einer Torte im Social-Media-Clip. Julian Nagelsmann geht erneut einen ungewöhnlichen Weg. Mit der Vergabe der EM-Tickets nach dem Salami-Prinzip überrascht der Bundestrainer. Spätestens am Donnerstag (13.00 Uhr) mit dem offiziellen Termin in Berlin werden dann alle Kandidaten für das Heimturnier bekannt sein. Einige personelle Fragen nimmt Nagelsmann jedoch trotzdem mit in die EM-Vorbereitung – und möglicherweise sogar ins Turnier.

Warum werden die EM-Tickets vorab in Häppchen-Form vergeben?

Die Veröffentlichung der WM- und EM-Kader war immer ein großes Geheimnis. Die Kader wurden mit mehr oder weniger Aufwand bekannt gegeben. Die Entscheidung, mehrere Spieler einzeln und im Voraus zu benennen, ist ein kluger Schachzug von Nagelsmann und dem DFB. Über mehrere Tage wird die Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt, das EM-Fieber wird weiter angeheizt. Verschiedene Plattformen von Tagesschau bis Instagram sprechen zudem verschiedene Interessengruppen an. Der berührende Clip mit Altenpfleger Rashid Hamid und Oma Lotti zur Torten-Nominierung von Tah erhielt am Montag schnell tausende bunte Kommentar-Herzchen.

Nagelsmann behält somit die Kontrolle über das Geschehen. Es ärgerte den Bundestrainer und den Verband mächtig, dass seine brisanten Personalien im März mit der Ausbootung von Mats Hummels und Leon Goretzka sowie dem Schwung an Neulingen vom VfB Stuttgart vorab durchsickerten.

Was macht Nagelsmann mit Mats Hummels und den anderen Dortmunder Champions-League-Helden?

Nico Schlotterbeck ist dabei. Allerdings kann Hummels sich keine großen Hoffnungen auf eine Reaktivierung machen. Im Gegensatz zu seinem elf Jahre älteren BVB-Kollegen passt der 24 Jahre alte Schlotterbeck gut zur ausgerufenen Änderung der Personalphilosophie. Er ist ein geeigneter Ersatz und ein integrativ wirkender Herausforderer für die Stammkräfte Tah und Antonio Rüdiger. Wenn Nagelsmann jetzt schon wieder von diesem Prinzip abweichen würde, würde er bei seinen Spielern unglaubwürdig erscheinen.

Nagelsmann berücksichtigt das Dortmunder Momentum mit dem Triumphzug ins Champions-League-Finale durch die Berufung von Schlotterbeck und vermeidet einen großen öffentlichen Aufschrei. Für Hummels scheint der Glanz der Königsklasse jedoch nicht ausreichend zu sein. Das könnte auch für Julian Brandt gelten. Wahrscheinlich wird Niclas Füllkrug neben Schlotterbeck der einzige BVB-Profi im DFB-Kader bleiben.

Hat Leon Goretzka noch eine Chance?

Noch ist ein leises Münchner Werben zu vernehmen. «Wenn er spielt, ist er verlässlich, er gibt immer alles, ist torgefährlich. Die Saison ist noch nicht vorbei, die Nominierung ist noch nicht gemacht, mal schauen», sagte Trainer Thomas Tuchel. Doch was für Hummels gilt, gilt auch für Goretzka (29). Die Stammplätze auf der Sechserposition sind an Toni Kroos und Robert Andrich vergeben. England-Legionär Pascal Groß ist in der Hierarchie dahinter und in Aleksandar Pavlovic steht ein junger Typ mit Perspektive parat. 

Ist da überhaupt noch ein Platz für Goretzka? Kaum. Alle Versicherungen Goretzkas, jede EM-Rolle und sei es eine als Randfigur, anzunehmen, könnten für den Power-Spieler, der mit dem Herz-Jubel gegen Ungarn vor drei Jahren noch für den schönsten EM-Moment sorgte, vergeblich sein.

Haben die März-Newcomer ihr EM-Ticket sicher?

Bleibt Nagelsmann bei seinem Personalkonzept, dann hat nicht nur März-Gewinner Maximilian Mittelstädt sehr gute EM-Aussichten. Auch die VfB-Kollegen Deniz Undav und Waldemar Anton bekamen vom Bundestrainer ihren EM-Job zumindest schon skizziert. Chris Führich ist als Vierter im Quartett ohnehin schon länger dabei. «Wir haben im März einen Grundstein gelegt für die EM und uns schon ein gutes Team aufgebaut», drückte Mittelstädt das Selbstbewusstsein der Schwaben-Combo aus. 

Es könnte knapp werden für Jan-Niklas Beste vom 1. FC Heidenheim oder Maximilian Beier von der TSG Hoffenheim. Auch Robin Koch von Eintracht Frankfurt ist nach der Schlotterbeck-Berufung ein Wackelkandidat. Aber: Nagelsmann hatte im März gesagt, er plane nur noch mit einer oder zwei Änderungen.

Wie viele Spieler nimmt Nagelsmann überhaupt mit zur EM?

Nagelsmann findet den UEFA-Beschluss, wieder 26 statt 23 Spieler im Kader zu erlauben, nicht gut. Der Bundestrainer meint, dass eine zu große Gruppe auch Gefahren birgt. Trotzdem wird er sein Kontingent voll ausnutzen. Eine Möglichkeit wäre, dass Nagelsmann zunächst mit etwa 20 Spielern in die Vorbereitung geht. Die vier aktuellen Teilnehmer des Champions-League-Endspiels mit EM-Garantie von Dortmund und Real Madrid (Kroos, Rüdiger, Füllkrug, Schlotterbeck) würden später hinzustoßen. Spätestens am 7. Juni um Mitternacht muss Nagelsmann sein Turnier-Aufgebot bei der UEFA melden.

Geht das Turnier-Leiden für Leroy Sané weiter?

Schon seit Wochen kann Flügelstürmer Sané wegen Problemen am Schambein beim FC Bayern nur eingeschränkt spielen und trainieren. «Leroy ist aktuell wieder in Schmerzbehandlungen», sagte Trainer Tuchel, der keine EM-Prognose stellen konnte. «Leroy wird alles für die EM tun.» Das ist verständlich, wäre ein EM-Aus doch besonders bitter für den 28-Jährigen. 

Große Turniere sind für ihn wirklich eine Herausforderung. Nach seinem ersten Auftritt als Jungstar bei der EM 2016, wurde er überraschend für die WM 2018 aus dem Kader gestrichen, bei der EM 2021 blieb er ohne Glanz und Tore, und kurz vor Beginn der missglückten WM-Mission 2022 in Katar verletzte er sich am Knie, was ihn zurückhielt. Nagelsmann wird genau abwägen müssen, welchen Nutzen ein angeschlagener Sané für ihn haben kann.

Wie ernst ist der Zustand der Hoffnungsträger Musiala und Wirtz?

Dauerhafte Knieschmerzen bei Jamal Musiala, Oberschenkelblessur bei Florian Wirtz. Die gesundheitlichen Probleme seines Wirbel-Duos können Nagelsmann nicht unbesorgt lassen. Die EM-Teilnahme von beiden 21-Jährigen scheint derzeit nicht in Gefahr. Doch wie fit werden die «Zauberer» beim Heimturnier sein? «Ich spiele die letzten Monate mit Schmerztabletten und Spritzen», sagte Musiala. Immerhin kann er sich nach dem Bayern-Aus in der Champions League bis zum Start der Vorbereitung komplett schonen. 

Wirtz will hingegen noch zwei Endspiele spielen mit Bayer Leverkusen. Am 22. Mai in der Europa League gegen Atalanta Bergamo, drei Tage später im DFB-Pokal gegen den 1. FC Kaiserslautern. «Wir haben einen Plan mit Flo. Wenn es gut läuft, kommt er am Mittwoch oder Donnerstag wieder ins Training», sagte Club-Trainer Alonso. Nagelsmann wird die Entwicklung genau verfolgen.