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Letzte EM in Amtszeit von Ceferin: Vorfreude und Sorgen

Die EM in elf Ländern war kompliziert. Jetzt klassisches Fußball-Turnier in Deutschland mit guter Infrastruktur und Sicherheit. Fußball-Fest erwartet!

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin sorgt sich bei der EM um die Sicherheit.
Foto: Tom Weller/dpa

Am Freitag startet in Deutschland die letzte Fußball-EM während der Amtszeit des UEFA-Präsidenten Aleksander Ceferin. Der 56-jährige Slowene hat an der Spitze des europäischen Verbandes viele Krisen wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg erlebt.

In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht er über Vorfreude und auch Sorgen im Hinblick auf die EM.

Antwort: Die vergangenen drei Welt- und Europameisterschaften fanden erst in Russland, dann während der Corona-Pandemie und zuletzt als Winter-WM unter viel kritisierten Menschenrechts-Bedingungen statt. Freuen Sie sich mal wieder auf ein gutes, altes und hoffentlich stimmungsvolles Fußball-Turnier?

Aleksander Ceferin: Ja. Die vorherige EM in elf Ländern war bereits kompliziert. Ich bin der Meinung, dass ein solches Turnier in Zukunft nicht mehr stattfinden sollte. Es ist entscheidend, dass die Fans das Gastgeberland, die Menschen und die Kultur kennen. Eine EM in elf Ländern war anstrengend und auch kostspielig. Zudem mussten wir sie auch noch während der Corona-Zeiten ausrichten. Jetzt haben wir endlich wieder ein klassisches Fußballturnier in einem Land mit vielen Vorteilen. Die Infrastruktur ist gut. Die Deutschen sind stets gute Organisatoren. Zudem ist es einfach, nach Deutschland zu gelangen. Ich denke, es wird ein Fußballfest! Und das Wichtigste ist die Sicherheit.

Frage: Sie sagten schon zu Beginn des Jahres: Die Sicherheit bei dieser EM sei Ihre «größte Sorge». Was befürchten Sie konkret?

Ceferin: Es gibt keine konkreten Sicherheitsbedenken. Aber das Problem ist für mich die geopolitische Situation in der Welt. Mehr und mehr Gewalt. Mehr und mehr Aggression. Die Weltlage ist nicht ideal. Aber ich möchte nicht zu viel darüber sprechen. Ein so großes Event wie eine Europameisterschaft zu organisieren, ist prinzipiell eine Herausforderung. Da ist es für uns als UEFA natürlich einfacher, nicht mehr mit mehreren Ländern zusammenzuarbeiten so wie vor drei Jahren. Sondern nur mit einem Ministerium und einem Sicherheitsapparat. Und das klappt mit den deutschen Behörden sehr gut. Ich habe die Innenministerin Nancy Faeser in Berlin getroffen und davor schon mehrere Male mit ihr gesprochen. Alle arbeiten gut zusammen.

Antwort: Der Slogan dieser EM ist: «United by football» – Vereint durch Fußball. Ist das in diesen Zeiten eines Krieges und der politischen Konflikte auf dem Kontinent eine Anmaßung – oder ist diese EM gerade jetzt auch eine Chance?

Ceferin: Fußball ist eines der wenigen Dinge, die Menschen noch zusammenbringen kann. Da bin ich mir wirklich sicher. Die Leute sind patriotisch und enthusiastisch, wenn sie Sport-Ereignisse schauen. Ansonsten kritisieren wir doch alles, überall und zu jeder Zeit (lacht). Ich glaube wirklich, dass diese EM ein Festival der Freundschaft werden kann. Irgendjemand hat mir mal gesagt: Wenn man die Europäische Union auf ein anderes Level bringen will, müsste man ein gemeinsames Fußball-Team der EU aufstellen. Fußball ist mit großem Abstand die Sportart Nummer eins in Europa. Wir haben 52 Millionen Anfragen für 2,7 Millionen Tickets bekommen. Dieses Turnier hat eine Kraft.

Antwort: “Meine persönlichen Pläne für die EM sind, alle Spiele meiner Lieblingsmannschaft live im Stadion anzuschauen.”

Ceferin: Ich habe verschiedene Spielorte und verschiedene Teams ausgewählt, die ich mir ansehen möchte. Auf diese Weise werde ich alles sehen. Die Ausnahme ist mein Heimatland Slowenien. Von meinem Team werde ich mir alle drei Gruppenspiele ansehen. Ich befürchte, dass wir danach nach Hause fahren müssen (lacht). Aber im Ernst: Ich bin sehr stolz auf den bisherigen Erfolg der slowenischen Mannschaft und freue mich darauf, sie spielen zu sehen.

Antwort: Mit den Vorrunden-Gegnern Dänemark, Serbien und England hatten Sie wirklich kein Losglück.

Ceferin: Ja, es handelt sich um eine äußerst starke Gruppe. Aber wir spielen ebenfalls gut. Schon allein um sich zu qualifizieren, bedarf es einer gewissen Fähigkeit. Und der Reiz des Fußballs liegt darin, dass David immer Goliath schlagen kann. Italien ist in der WM-Qualifikation an Nordmazedonien gescheitert. Alles ist denkbar! Deutschland steht bei dieser EM unter wesentlich größerem Druck als Slowenien.

Antwort: “Ich erwarte von der deutschen Mannschaft, dass sie bei der Weltmeisterschaft ihr Bestes gibt und bis zum Ende kämpft.”

Ceferin: Ich habe einigen Freunden bereits gesagt: Keine Ahnung warum, aber ich halte Deutschland für einen der Topfavoriten. Sie haben in den letzten Jahren ziemlich schlecht gespielt. Aber sie haben ein starkes Team. Seit dem Testspiel gegen Frankreich sehe ich auch einen anderen Spirit. Ich sage immer: Unterschätze niemals Spanien. Und dann hast du immer Kroatien, Belgien, die Niederlande, vielleicht Dänemark. Aber Deutschland, Frankreich, England und Portugal: Das sind meiner Meinung nach die Favoriten bei dieser EM.

Antwort: “Ja, ich teile die Befürchtung, dass junge Menschen das Interesse an Fußball und an großen Sport-Ereignissen im Fernsehen zunehmend verlieren.”

Ceferin: Es ist ein häufiges Argument, dass die junge Generation angeblich nicht mehr so sehr am Fußball interessiert ist. Aber immer mehr junge Menschen spielen Fußball und schauen Fußball. Und wir haben auch Daten, die darauf hinweisen: Die Zeiten, in denen Kinder angeblich nur noch am Computer sitzen und keinen Sport treiben, ändern sich langsam. In meiner Heimat Slowenien spielen über 70 Prozent aller jungen registrierten Sportler Fußball. Das EM-Finale 2021 zwischen England und Italien wurde in den USA von mehr Menschen gesehen als die NBA-Finals. Ich mache mir also keine Sorgen um den Fußball. Wir dürfen nur nicht zulassen, dass das große Geld ihn kauft und zerstört.

Antwort: “Wie lange wird der Fußball Ihrer Meinung nach noch seine eigenen Regeln bestimmen und seine eigenen Sportgerichts-Urteile fällen können?” Der Europäische Gerichtshof hat sich bereits mit dem Streit um die Super League beschäftigt. In Deutschland untersucht das Bundeskartellamt die sogenannte 50+1-Regel.

Ceferin: Ich möchte keine einzelnen Gerichtsentscheidungen kommentieren. Aber es ist wirklich ein Problem, dass in Europa immer mehr Regierungen in den Sport eingreifen wollen. Und das wird sich negativ auswirken. Der Fußball ist so stark aufgrund unseres Systems. Man kann von der vierten in die dritte und dann in die erste Liga aufsteigen und sich dort für jeden europäischen Wettbewerb qualifizieren. Wenn das nur noch etwas für Eliten ist, dann ist der Fußball weg. Deshalb sage ich: Das Sport-System funktioniert seit 100 Jahren. Sport zu organisieren, ist etwas anderes als Pepsi-Cola oder Coca-Cola zu verkaufen. Alle sagen immer: Ihr habt so viel Geld. Aber wir investieren 97 Prozent unserer Einnahmen wieder in den Fußball. Sport fördert die Gesundheit und vermittelt Kindern Werte. Er sollte also anders behandelt werden. Als Anwalt denke ich: Sportrecht und europäisches Recht sind kompatibel. Europa ist derzeit nicht in einer großartigen Situation. Die Regierungen Europas haben so viele Probleme zu bewältigen – sie sollten sich nicht auch noch in den Sport einmischen.

Frage: Wie bewerten Sie die Teilnahme der Ukraine an der EM vor diesem Hintergrund? Sehen Sie dies als starkes Signal? Oder bereitet Ihnen die Sicherheit Sorgen?

Ceferin: Es bestehen keine Sicherheitsbedenken. Das Entscheidende ist doch: Wer sich qualifiziert hat, sollte auch bei der EM spielen. Und das ukrainische Team zeigt beeindruckenden Fußball. Als Team sind sie wirklich stark. Sie könnten eine der Überraschungen dieser Euro werden, man weiß nie.

Frage: Liegt irgendein Druck auf Ihnen oder gibt es Diskussionen darüber, russische Teams trotz des Angriffs auf die Ukraine wieder bei UEFA-Wettbewerben zuzulassen?

Ceferin: Es besteht kein Druck und wir haben nie einen Druck verspürt, sie wieder zuzulassen. Tatsächlich bin ich gegen jeden Boykott. Aber in diesem Fall mussten wir es einfach nach dem Kriegsbeginn tun. Und wir waren unter den Ersten, die es taten. Ich denke nicht, dass Fußball in diesem Fall viel bewirken kann. Aber jeder von uns kann etwas beitragen.

Antwort: “Ein solcher Einfluss könnte auch von Verbänden innerhalb der UEFA kommen, die die Russen gerne wieder in ihren Reihen sehen würden.”

Ceferin: Es wurde bereits diskutiert, ob die russischen Jugendteams wieder in unseren Wettbewerben zugelassen werden sollten. Kinder, die in ihrem Land noch nicht wahlberechtigt sind, sollten nicht darunter leiden. Leider gibt es derzeit keinen Weg, da einige Verbände stark von ihren Regierungen beeinflusst werden. Dennoch behaupte ich: In Russland werden Kinder gerade unter der Propaganda erzogen, dass wir sie nicht mögen, sie hassen und nicht akzeptieren. Wenn sie jedoch hierherkommen und vielleicht andere 15- oder 16-Jährige aus Deutschland, Slowenien oder einem anderen Land treffen, könnten sie dies vielleicht anders sehen. Derzeit wird jedoch eine ganze Generation in Russland erzogen, noch mehr zu hassen. Die gesamte Situation in Europa ist beängstigend. Sie macht mir Angst.

Antwort: Beeinflusst dies die Position der UEFA zu politischen Statements? Das Thema begleitete die gesamte WM in Katar. Der Verband wurde auch während der EM 2021 stark kritisiert, als er die Beleuchtung des Münchner Stadions in Regenbogen-Farben verbot.

Ceferin: Ich hoffe, dass die Politik daraus gelernt hat. Sie sollte nicht in Fußballangelegenheiten eingreifen. Wenn sie uns wie 2021 auffordert, gegen die Regierung eines EU-Mitglieds zu protestieren, dann fordert sie uns eindeutig auf, eine politische Situation zu beeinflussen. Wir werden uns jedoch niemals in politische Fragen einmischen und bitten Politiker bescheiden darum, das auch im Sport nicht zu tun. Was den Umgang mit Teams oder Spielern betrifft, ist unsere Position klar: Wir werden niemals bei Kapitänsbinden oder ähnlichen Dingen eingreifen. Wir erlauben alles, wir werden nichts bestrafen. Wir respektieren die Meinungsfreiheit, solange sie nicht offensiv ist.

Antwort: “Ich habe noch keine konkreten Pläne für die Zeit nach meiner Amtszeit als UEFA-Präsident. Es ist noch zu früh, um über eine mögliche Zukunft als FIFA-Chef oder einen Rückzug aus dem Fußball nachzudenken.”

Ceferin: In meinen 56,5 Jahren habe ich gelernt, nie zu viel über die Zukunft zu sprechen! Das Leben ist wunderbar und bietet viele interessante Dinge. Alles ist möglich. Alles! Aber jetzt konzentriere ich mich auf die EM.

Antwort: “Was sind die größten Herausforderungen für den europäischen Fußball in den nächsten Jahren?”

Ceferin: Die größte Herausforderung besteht darin, Clubs davor zu schützen, von Gruppen oder Hedgefonds übernommen zu werden, die keine transparente Besitzerstruktur haben. Zudem erschwert Multi-Club-Ownership, also die Eigentümerschaft an mehreren Vereinen, die Einhaltung des Fairplays. Es muss noch eine endgültige Lösung gefunden werden. Da das Interesse an Investitionen in den Fußball weiter steigt und diese Investitionen für das Wachstum des Sports entscheidend sind, stellt sich die Frage: Wie können wir so klug sein, dass wir solche Investitionen grundsätzlich zulassen? Dabei müssen wir jedoch darauf achten, dass der Sport nicht darunter leidet. Investoren müssen sich an Regeln halten, aber dies ist ein komplexes Thema. Wir haben nicht die Befugnisse von Strafverfolgungsbehörden. Wir können von den Clubs Dokumente anfordern, aber ihre Computer können wir nicht beschlagnahmen, um ihre Aktivitäten zu untersuchen.

Zur Person: Der Slowene Aleksander Ceferin (56) war als Rechtsanwalt tätig und fungierte als Präsident des slowenischen Fußballverbands, bevor er 2016 zum UEFA-Chef gewählt wurde. Sowohl 2019 als auch 2023 wurde er jeweils für vier Jahre im Amt bestätigt. Für das Jahr 2027 hat er keine erneute Kandidatur geplant.

dpa