Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

DFB kritisiert FIFA: «Zensur» und «Machtdemonstration»

Das WM-Streitthema um die mehrfarbige «One Love»-Kapitänsbinde für mehrere europäische Nationen eskaliert. Wegen angedrohter Sanktionen verzichten auch der DFB und Kapitän Manuel Neuer.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf spricht auf einer Pressekonferenz.
Foto: Federico Gambarini/dpa

Die Eskalation um die «One Love»-Binde der europäischen WM-Kapitäne mit Manuel Neuer reichte weit über die Grenzen Katars hinaus bis in höchste politische Kreise. Neben der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes kritisierten Bundestags- und EU-Abgeordnete die kaum nachvollziehbare scharfe Drohung der FIFA.

Diese wollte die an der symbolträchtigen Kampagne beteiligten Verbände sportlich sanktionieren – wenn diese das «Eine Liebe»-Zeichen in die Welt schicken würden. Politischer kann diese WM kaum werden.

«Es handelt sich aus meiner Sicht um eine Machtdemonstration der FIFA», sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf am Trainingsplatz der deutschen Nationalmannschaft im Norden Katars. «Das ist aus unserer Sicht mehr als frustrierend und auch ein beispielloser Vorgang der WM-Geschichte.» DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff äußerte, es fühle sich «schon stark nach Zensur an».

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schaltete sich aus Paris ein und kritisierte, jedes Kind lerne «in der F-Jugend, dass Fußball nur mit Fair Play und Vielfalt funktioniert. Wenn internationale Sportfunktionäre das wegzensieren – auf dem Rücken der Spieler – dann machen sie den Fußball kaputt.» Das Europaparlament stimmt am Donnerstag in Straßburg über eine gemeinsame Stellungnahme zur Katar-WM ab.

«Das Verhalten der FIFA ist frustrierend»

Neben dem DFB verzichten wegen des massiven FIFA-Drucks auch die weiteren sieben europäischen Verbände auf die Kapitänsbinde. Der erste betroffene Profi war Englands Kapitän Harry Kane am Montagnachmittag im Spiel gegen Iran. Statt des Stürmers trug die ehemalige Nationalspielerin Alex Scott am Spielfeldrand bei einer Live-Übertragung im englischen Fernsehen die «One Love»-Binde und wurde in den sozialen Medien gefeiert. Kane und auch der Niederländer Virgil van Dijk führten ihre Teams jeweils mit der FIFA-Binde mit dem Slogan «No Discrimination» («keine Diskriminierung») aufs Feld.

«Das ist total lächerlich, mit einer Strafe zu drohen wegen eines Armbands», sagte van Djik hinterher, und auch Kane war bedient: «Die Entscheidung wurde aus meinen Händen genommen. Ich bin enttäuscht.»

Nicht nur er. «Das Verhalten der FIFA ist natürlich frustrierend, diese Eskalation führt auch dazu, dass es nicht mehr um den Sport geht», sagte Bierhoff. Die Ex-Nationalspieler Christoph Kramer und Michael Ballack nutzten ihre Reichweite als TV-Experten. «Die FIFA ist momentan wirklich unzurechnungsfähig», sagte Kramer im ZDF. «Die FIFA darf bestimmen und du bist machtlos.» Ballack äußerte bei MagentaTV: «Die FIFA hat total versagt, also in Gänze. Sie fährt hier einen Kurs, der ist absolut nicht nachvollziehbar und auch inhaltlich nicht zu vertreten.»

Sportliche Sanktionen wie eine Gelbe Karte wegen des Tragens einer nicht regelkonformen Binde sind durch die FIFA-Statuten nicht eindeutig gedeckt. Den Verbänden war das Risiko am Ende zu hoch. «Wir wollen nicht, dass der Konflikt, den wir zweifellos haben, auf den Rücken der Spieler ausgetragen wird. Wir stehen zu unseren Werten», sagte Neuendorf. Bierhoff berichtete, es sei auch für Neuer «eine schwierige Situation. Wir sind beide ins Bett gegangen mit der Überzeugung, dass wir beim Spiel die Binde tragen können.» Der DFB-Kapitän sei «natürlich enttäuscht».

Eine Geldstrafe hätten die Verbände – neben Deutschland und England waren in Katar die Niederlande, Belgien, die Schweiz, Wales und Dänemark noch an Bord – in Kauf genommen. «Wir teilen die Frustration der (englischen Verbands) FA über die Entscheidung der FIFA, die die Spieler in eine sehr schwierige Position bringt», sagte ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak.

FIFA beruft sich auf WM-Regularien

Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte im ZDF: «Ich fand es ein gutes Signal, dass viele der Nationalmannschaften die «One Love»-Binde tragen wollten, die für Offenheit und Toleranz steht. (…) Dass das jetzt von der FIFA so untersagt wird, finde ich nicht in Ordnung und sehr befremdlich.» Die SPD-Politikerin wird am Dienstagabend in Katar erwartet, am Mittwoch will sie beim ersten Spiel der DFB-Auswahl gegen Japan auf der Tribüne sitzen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann twitterte: «Ein Trauerspiel».

Die FIFA begründete das Verbot mit von allen Teilnehmern anerkannten WM-Regularien. Explizit hob der Verband in einer Mitteilung vom Montag den Artikel 13.8.1 der Ausrüstungsregeln hervor: «Für FIFA Final-Wettbewerbe muss der Kapitän jeder Mannschaft eine von der FIFA gestellte Armbinde tragen.» Die FIFA unterstütze Kampagnen wie «One Love», aber dies müsse im Rahmen der allen bekannten Regeln erfolgen.

Nach dpa-Informationen steht auch der Regelparagraf für (verbotene) politische Botschaften im Fokus. «Bei einem Verstoß gegen diese Bestimmung wird der Spieler und/oder das Team durch den Wettbewerbsorganisator, den nationalen Fußballverband oder die FIFA sanktioniert», heißt es in den internationalen Regeln. Inwieweit der streng muslimische WM-Gastgeber Katar in die Entscheidung involviert war, blieb offen.

Wird eine WM der politischen Botschaften

Dass es die WM der politischen Botschaften bleiben wird, zeigten die Iraner. Die Profis sangen vor der Partie gegen England ihre Nationalhymne nicht mit. Iranische Aktivisten sehen darin eine Geste der Unterstützung für die landesweiten Proteste im Land. Der iranische Staatssender unterbrach die Live-Übertragung bei der Hymne. Den Spielern könnten nun Konsequenzen aus ihrem Heimatland drohen.

Den Kapitänsbinden-Eklat kritisierte auch die Fan-Organisation «Football Supporters‘ Association» scharf. «Heute empfinden wir Verachtung für eine Organisation, die ihre wahren Werte unter Beweis gestellt hat, indem sie den Spielern die Gelbe Karte und der Toleranz die Rote Karte gezeigt hat», twitterte die «FSA».

Die «One Love»-Kampagne war eine im September angekündigte gemeinsame Aktion der sieben jetzt mit Sanktionen bedrohten Teams und Frankreich sowie Norwegen und Schweden, die beide nicht für die WM qualifiziert sind. Die beteiligten Verbände hatten mehrfach erklärt, dass sie keine lange Antwort der FIFA auf ihren Plan erhalten hätten. Frankreichs Kapitän Hugo Lloris hatte frühzeitig angekündigt, die Binde nicht zu tragen.

Die FIFA hatte erst am 18. November eigene neue Kapitänsbinden vorgestellt – zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel. «Die teilnehmenden Mannschaften erhalten während der Spiele über die Armbinden der Mannschaftskapitäne die Möglichkeit, Botschaften zu übermitteln», teilte der Weltverband mit. Eine Binde mit der Aufschrift «No Discrimination» (Keine Diskriminierung) können die Teams nun auch während des kompletten Turniers anstatt, wie zuvor geplant, nur im Viertelfinale tragen. Die Botschaften hat die FIFA laut Mitteilung gemeinsam mit drei Organisationen der Vereinten Nationen erdacht.

dpa