Auch ohne eigenes Tor steht Cristiano Ronaldo beim 3:0 Portugals gegen die Türkei im Mittelpunkt. Der Hype um den Superstar nimmt bei der EM teilweise verrückte Züge an – sein Trainer warnt.
Fixpunkt mit 39: Ronaldo als Selfie-Model und EM-Rekordmann
Teamkollege Bernardo Silva nahm den Selfie-Hype um seinen Kapitän Cristiano Ronaldo locker. «Das ist einfach der Preis, wenn man in der Welt des Fußballs so anerkannt ist», sagte der Torschütze und Spieler des Spiels beim 3:0 gegen die Türkei. «Ihn bei uns zu haben, ist großartig.» Gleich mehrere Fans waren während und nach der Partie auf den Platz gestürmt, um ein Foto mit Weltstar Ronaldo zu machen. Ähnliche Szenen hatte es schon nach dem ersten Portugal-Sieg in Leipzig und beim öffentlichen Training gegeben.
Ronaldo ist auch bei dieser EM allgegenwärtig und der wohl am meisten polarisierende Spieler. Schon eine kurze Einblendung auf den Videowänden löste ohrenbetäubende Pfiffe bei den türkischen und Jubel bei den portugiesischen Fans aus. Auf dem Platz hat Ronaldo nicht mehr ganz die Klasse früherer Tage, gönnt sich auch mal Pausen. Der 39-Jährige zeigt jedoch, wie wichtig er trotzdem noch für seine Mannschaft sein kann.
Nächste Bestmarke und ein Sonderlob
Der beste EM-Torschütze der Geschichte legte uneigennützig das dritte portugiesische Tor von Bruno Fernandes auf und sicherte sich damit den nächsten Rekord. Es war bereits seine achte Torvorbereitung bei einer Europameisterschaft. Der 39-Jährige stellte somit die Bestmarke des Tschechen Karel Poborský ein – und erhielt für seinen Assist ein Sonderlob seines Trainers.
Eigentlich sei Ronaldo ein Torjäger durch und durch, sagte Roberto Martinez. «Er schaut aber auch auf die Möglichkeit, einen Pass zu spielen. Pässe zu spielen, bedeutet teilweise sehr viel mehr, als Tore zu schießen.» Mit Blick auf das Abspiel auf Bruno Fernandes, als Ronaldo frei vor dem türkischen Torwart Altay Bayindir auch selbst hätte abschließen können, ergänzte er: «Es ist ein Beispiel, das in jeder Akademie in Portugal und in der Welt des Fußballs gezeigt werden sollte, es zeigt, dass das Team das Wichtigste ist.»
Und dieses Team hat bei diesem Turnier – der wohl letzten EM Ronaldos – Großes vor. Der Gruppensieg ist den Portugiesen nicht mehr zu nehmen. Die Seleção spielte sich spätestens in Dortmund in den Kreis der heißen Titelanwärter. Bernardo Silva sprach von einem weiteren Schritt und ergänzte sogleich: «Das Ziel ist aber noch weit weg. Das Ziel ist, Europameister zu sein.»
Ronaldo vor der EM umstritten
Solche Aussagen werden Ronaldo gefallen. Er sei «stolz auf dieses Team» schrieb er bei Instagram, wo Ronaldo 632 Millionen Follower hat. Sein Ehrgeiz ist auch im hohen Fußballer-Alter ungebrochen. Bei Fehlpässen seiner Mitspieler oder aus seiner Sicht falschen Entscheidungen des Schiedsrichters ist sein Ärger bis auf die Tribüne sichtbar. Gegen die Türkei drängte er unermüdlich auf weitere Tore, auch als die Partie längst entschieden war.
Ronaldo ist immer noch ein wichtiger Bestandteil des portugiesischen Teams, auch wenn sie jetzt weniger von ihm abhängig sind. Sein Einfluss als Spieler ist nicht mehr so stark wie früher in seiner besten Zeit bei Real Madrid. Er profitiert auch von der Qualität seiner Offensivkollegen wie Bernardo Silva oder Bruno Fernandes.
Er profitiert jedoch auch von ihm als Zielspieler in der Spitze, der Gegner bindet und in Sachen Technik und Abschlussstärke wenig verlernt hat. Vor dem Turnier gab es hitzige Debatten, ob Ronaldo das portugiesische Spiel störe. Nach zwei Partien und zwei Siegen sind die kritischen Stimmen sehr leise geworden.
Ronaldo möchte unbedingt seinen zweiten EM-Titel. Im Finale von Portugals Triumph 2016 musste er bereits in der ersten Halbzeit verletzt ausscheiden und feuerte sein Team von der Seitenlinie aus an. Diesmal strebt er danach, noch mehr im Rampenlicht zu stehen.
Pause für Ronaldo?
Ob er das auch im letzten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Georgien sein wird, ist zumindest fraglich. Trainer Martinez deutete angesichts des sicheren Gruppensiegs bereits Rotationsgedanken an. Womöglich gibt er auch seinem Topstar eine Pause. «Viele in der Kabine haben es verdient, in der Startelf zu sein. Wir sollten zeigen, wie stark die Kabine ist», sagte der 50-Jährige.
Den Selfie-Hype um Ronaldo sah er weniger locker als Bernardo Silva, fand sogar warnende Worte. «Heute haben wir gesehen, dass die Absichten der Fans gut sind. Wenn diese Absichten schlecht sind, dann muss man vorsichtig sein. Das sollte nicht passieren auf dem Spielfeld», sagte Martinez. «Man sollte auch den Fans eine Nachricht übermitteln: Es ist nicht der richtige Weg.»
Gegen Ende des Spiels vermittelte auch der Kapitän diese Botschaft. Er belohnte den ersten Fan – einen Jungen – noch lächelnd mit einem Foto. Bei teilweise deutlich älteren Nachahmern zeigte sich Ronaldo dann zunehmend genervt.