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Flick blickt im WM-Kummer zurück nach vorn

Hansi Flick steckt noch in seiner WM-Aufarbeitung. Messi nur im Fernsehen zu sehen, schmerzt. Der Blick nach vorne fällt dem Bundestrainer schwer, weil das Warum für den WM-K.o. nicht einleuchtet.

Plant einen Übersee-Trip mit dem DFB-Team: Bundestrainer Hansi Flick.
Foto: Thomas Boecker/DFB/dpa

Dieser Fernseh-Nachmittag war das Letzte, was Hansi Flick wollte. Den bewunderten Lionel Messi aus nächster Nähe sehen, wahlweise auch Kylian Mbappé, im Goldstadion von Lusail aus der eigenen Coachingzone, versteht sich – und dann im WM-Finale besiegen.

Das war der mittlerweile total überambitioniert klingende Plan. Stattdessen: Fußball im TV. Argentinien gegen Frankreich. Im Wohnzimmer in Bammental. «Natürlich ist die Enttäuschung noch da», sagte der Bundestrainer in seinem ersten Interview nach der viel zu frühen WM-Rückkehr der Deutschen Presse-Agentur. Nach vorne schauen fällt noch schwer im Turnier-Kummer.

Schnupfen und Husten, die sich seit Katar einfach nicht dauerhaft vertreiben lassen, sind noch das geringste Problem für Flick. Ganz vorne auf der Stuhlkante sitzt er, als wäre er auf dem Sprung. Mit dem turboschnell ausgestellten Vertrauensstempel von DFB-Boss Bernd Neuendorf und Liga-Boss Hans-Joachim Watzke soll er den enttäuschten oder gar gelangweilten Fans der Fußball-Nationalmannschaft nach dem nächsten frühen Turnier-K.o. Aufbruch vermitteln Richtung Heim-EM in 18 Monaten. Doch Flick ist umzingelt vom Gestern.

Rechts hinter ihm hängt eine Karikatur an der Wand, ein Comic vom DFB-Campus mit dem krachend gescheiterten Motto «Zurück zur Weltspitze» als Überschrift. Links vor ihm ziert ein großes Foto aus dem Jubeljahr 2014 mit dem WM-Pokal in der Sicherheitsschleuse des Flughafens von Rio de Janeiro den kleinen Konferenzraum in der Verbandsakademie. Und Oliver Bierhoff, der durch das Katar-Desaster gestolperte Langzeit-Begleiter, ist auch noch überall optisch verewigt. Wie soll man da bloß diesen lästigen WM-Blues vertreiben? 

«Hätten wir da auch sein können?»

«Wenn man die Spiele sieht, kommt der Gedanke, „hätten wir da auch sein können?“ Die Frage muss man sich stellen», sagte Flick und man könnte meinen, er würde gerne anfügen: Ja, wir hätten auch im Finale sein können. «Aber es ist nun mal so, dass wir frühzeitig ausgeschieden sind, und dafür müssen wir die Verantwortung übernehmen. Es ist einfach sehr, sehr schade», beschreibt Flick seine Adventsstimmung. 

Sein großer Titel-Bonus aus der unfassbar erfolgreichen Zeit als Bayern-Trainer ist aufgebraucht. Doch eine Rauswurf-Atmosphäre gab es nie. Im Gegenteil: «Ich halte Hansi nach wie vor für einen hochqualifizierten Trainer, der auch der Richtige ist, diesen Neuanfang zu managen und zum Erfolg zu führen», sagte Karl-Heinz Rummenigge.  «Eine Trennung stand überhaupt nicht zur Diskussion», versicherte Watzke. Die Fans sind indifferent, aber eher freundlich gestimmt. 41 Prozent der Befragten im ZDF-Politbarometer trauen Flick eine Wende zum Guten zu. 28 Prozent haben Zweifel. 

Auf einem Beistelltisch liegt das Buch von U2-Frontmann Bono mit dem Titel «Surrender». Aufgeben. Nein. Das kam Flick nie in den Sinn. Und kommt es auch weiterhin nicht, egal wer von dem neuen Beraterkreis um Rummenigge und Matthias Sammer als Nachfolger von Bierhoff dann irgendwann im neuen Jahr ausgesucht wird. «Für mich war es nie ein Gedanke, zurückzutreten», versichert Flick und seine Stimme ist dabei fest und überzeugt. Wieso auch? Könnte er noch als Gegenfrage anfügen. 

Flicks Ursachenforschung geht weiter

Die Ursachenforschung geht für den Bundestrainer bis nach Weihnachten weiter. Gespräche mit seinem Trainerteam, dem «Staff» wie es im Flick-Deutsch heißt, sind geführt. Alle Assistenten bleiben. Jetzt kommen die Spieler dran. Auch Thomas Müller, der gleich nach dem Scheitern in Al-Chaur live im Fernsehen irgendwie schon seinen Rücktritt formuliert hatte und Minuten später wieder zurückruderte, wird einen Anruf bekommen. 

Sorgen muss sich der 33-Jährige wie auch der nach seinem Beinbruch lange verletzt fehlende Kapitän Manuel Neuer (36) als Teamsenior nicht machen. Flick sieht keine Veranlassung für Rücktritte oder gar einen radikalen Personalschnitt. Bis zum Neustart im März vergeht viel Zeit. Wer weiß, wie dann die alten Heroen in Bundesliga und Champions League aufspielen. Erstmal alles offen lassen, ist auch eine Taktik. Egal, wie weit die Weltspitze in Wahrheit entfernt ist.

Hier und da soll das Team mit jungen Hoffnungsträgern um den schon etablierten Jamal Musiala (19) ergänzt werden. Youssoufa Moukoko (18), Armel Bella Kotchap (21) und Karim Adeyemi (20) waren in Katar schon zum Lernen dabei. Florian Wirtz (19) kommt nach seinem Kreuzbandriss als EM-Hoffnung zurück. 

Aber: Italien sei auch mit den Ü-30-Routiniers Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini 2021 Europameister geworden, erklärt Flick seine Personallogik. «Deswegen kann man nie kategorisch sagen, jemand ist zu alt. Es geht um den Leistungsgedanken – und der ist bei uns vorhanden», versicherte Flick. Das klingt dann wieder nach diesem lähmenden Weiter so. Vom großen Potenzial seiner Spieler spricht der Bundestrainer schon seine ganze Amtszeit.

Leistung. Das ist ein natürlich ein Pflicht-Stichwort bei Flicks WM-Aufarbeitung. «Uns hat die Effizienz gefehlt. Und defensiv war es einfach nur Durchschnitt, weil wir da zu wenig Kompaktheit hatten», lautet das ernüchternde Fazit. Aber vor allem: 30 vermaledeite Minuten gegen Japan führten letztlich ins Aus. Wie Abhilfe geschaffen wird im Schnelldurchlauf zum nächsten Turnier, das 2024 zum Sommermärchen 2.0 werden soll, das bleibt noch im Vagen. 

Aufarbeitung in allen Bereichen

Die Aufarbeitung geht für Flick auch in andere Bereiche, die er nicht kontrollieren konnte. Politisierte WM, schlechte Stimmung bei den Fans daheim, zu viele Themen abseits des Fußballs, beklagt der 57-Jährige. Mit der «One Love»-Binde als Kulminationspunkt. Flick will den Fokus wieder auf den Fußball lenken. «Das ist unsere Aufgabe – es wäre schön, wenn man uns das zugesteht. Für die Politik sind andere ausgebildet», kritisierte er. 

Der französische Präsident Emmanuel Macron habe gesagt: «“Unsere Spieler sollen sich auf Fußball konzentrieren. Politik mach ich“. Das wäre ein gutes Zeichen gewesen, auch für uns.» Frankreich ist nicht nur sportliches Vorbild. 

In der Verpflichtung sieht Flick natürlich sich selbst und seine Spieler. «Wir sind in der Bringschuld. Wir müssen wieder Begeisterung erzeugen», sagte er. Die Grundstimmung sei durch das Turnier in Katar in den Keller gerauscht. «Wir wollen als Mannschaft den Fans zeigen: Wir haben es kapiert, wir wollen alles geben, wir wollen für Deutschland spielen, wir sind stolz darauf und wir freuen uns auf diese Heim-EM.» 

Geplant wird, auch wenn Chef-Planer Bierhoff weg ist. Flick setzt dabei auch auf eine Testspiel-Reise in die USA. «Das wäre denkbar, aber ich weiß nicht, ob es im Juni sein wird», sagte der Bundestrainer auf die Frage nach den Sommerplänen 2023. Durch den engen Terminplan stehen nur wenige europäische Top-Konkurrenten wie England, Frankreich oder Belgien für ausgewählte Länderspiel-Slots zur Verfügung. «Wir sind im Austausch, wir Trainer haben gewisse Wünsche, jetzt gucken wir, ob sie erfüllbar sind», sagte Flick. 

Dass das Bierhoff-Aus für einen Neuanfang notwendig war? «Das will ich nicht bewerten», sagt Flick. «Noch einmal: Oliver Bierhoff hat dem deutschen Fußball sehr viel gegeben. Er ist kein Hindernis, wenn man Erfolg haben will», meint Flick. Das soll auch für ihn selber gelten.

dpa