Das EM-Abschneiden des Frauen-Nationalteams wird die zwei Jahre bis zur nächsten WM stark beeinflussen. In der Pflicht steht neben dem Bundestrainer vor allem Sportdirektorin Nia Künzer.
Frankreich-Spiel als «Gradmesser» für Fußballerinnen und DFB
Den langen Countdown bis zum ersten K.o.-Spiel der deutschen Fußballerinnen gegen Frankreich moderierte Nia Künzer mit viel Routine, aber auch Vorsicht an. «Wir wissen, dass der europäische Fußball sehr dicht beieinander ist. Das ist schon eine Auszeichnung, ins Viertelfinale einzuziehen», sagte die DFB-Sportdirektorin bei der Europameisterschaft. Baut die kluge Frau vor?
Ein Ausscheiden bei der EM am Samstag (21.00 Uhr/ZDF und DAZN) in Basel würde den Verband zwei Jahre vor der WM in Brasilien bei zunehmender internationaler Konkurrenz zusätzlich unter Druck setzen. Das Schreckensszenario möchte Künzer natürlich nicht öffentlich ansprechen; die aktuelle Bewältigung der Krise nach dem 1:4 gegen Schweden ist bereits schwierig genug.
«Durchaus noch konkurrenzfähig»
«Ich sehe uns durchaus noch konkurrenzfähig», sagte Künzer auf die Frage nach dem Stellenwert des deutschen Frauenfußballs. «Wir haben bei Olympia Bronze geholt und stehen jetzt im Viertelfinale.» Der Erfolg bei den Sommerspielen in Frankreich – ein Jahr nach dem Vorrunden-Debakel bei der WM in Australien – war allerdings vor allem einem unheimlichen Kraftakt der DFB-Auswahl von Horst Hrubesch und am Ende Elfmeter-Heldin Ann-Katrin Berger geschuldet.
Deutschland, der achtfache Titelgewinner, fliegt bisher eher unter dem Radar bei der EM, während Französinnen, Spanierinnen, Schweden, Norwegen, die Schweiz, Polen und die wiedererstarkten Engländerinnen im Rampenlicht stehen.
Auf der anderen Seite haben die Spielerinnen unter der Leitung des neuen Bundestrainers Christian Wück bei seinem beeindruckenden Debüt gezeigt, zu welchen Leistungen sie fähig sind. Dies wurde deutlich beim 4:3-Sieg gegen England in Wembley und dem 4:0-Sieg gegen die Niederlande in der Nations League. Vorausgesetzt, sie können über die gesamten 90 Minuten ohne gravierende Abwehrfehler spielen.
Ex-Nationaltorhüterin Almuth Schult verweist im Podcast der «Süddeutschen Zeitung» auch auf das unglücklich ausgeschiedene Finnland und sagt zu den Chancen des deutschen Teams: «Theoretisch kann es ganz weit gehen, aber das Viertelfinale ist einfach ein Gradmesser.» Es werde «ein sehr, sehr schwerer Weg in Richtung Titel».
«Nicht die Masse an Toptalenten»
Im Wück-Team wird die 22-jährige Jule Brand bei ihrem vierten Turnier immer noch als das große Talent angesehen, während bei anderen Teams Jungstars wie Sydney Schertenleib (Schweiz) oder ihre Barça-Kollegin Vicky López (Spanien/beide 18) Aufmerksamkeit erregen.
«Wir haben Toptalente, aber wir haben nicht die Masse an Toptalenten. Und da müssen wir wirklich aufpassen, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen», hatte der Bundestrainer schon vor dem Turnier in der Schweiz gewarnt.
Der Fußball wird immer schneller
Nicht ohne Sorgen beschrieb er die internationale Entwicklung so: «Schnelligkeit ist das A und O. Wenn man schnell ist, hat man schon viele Faktoren, die brutal wichtig sind, abgehakt. Die Athletik nimmt auch immer mehr zu. Ich glaube, die Spielintelligenz wird unheimlich wichtig werden auf dem Platz, weil das Spiel eben immer schneller wird.»
Seine Spielerinnen sind also nicht gerade gesegnet, außer Brand und Klara Bühl. Weltklasse? An guten Tagen zählt eine wie Torjägerin Lea Schüller dazu, natürlich auch die derzeit verletzte Lena Oberdorf (beide FC Bayern München).
Dem DFB ist längst bewusst, dass die Zeiten, als die Frauen einen Titel nach dem anderen sammelten, vorbei sind. Das Zukunftsprogramm «Fast Forward 27» wurde schon vor dem Finaleinzug bei der EM 2022 in England aufgelegt, die Bundesliga zur neuen Saison von 12 auf 14 Vereine aufgestockt, Nachwuchsleistungszentren eingerichtet. Die gibt es bisher in München, Wolfsburg, Hoffenheim, Essen, Frankfurt und Freiburg.
2031 bereits 48 Teams bei der WM
«Bei den Jungs passierte das 2002, und es hat zwölf Jahre gedauert bis wir dann Weltmeister wurden», erklärte Wück. Dem 52-Jährigen geht vieles nicht schnell genug. Sein Vertrag läuft übrigens Ende 2026 aus, also noch vor der nächsten WM. Dort warten auf die DFB-Frauen, die Qualifikation vorausgesetzt, dann auch Mitfavoriten wie die USA, Kanada, Brasilien, Japan, Australien oder Kolumbien.
Beim Weltturnier vier Jahre später (einziger Bewerber bisher sind die USA) werden bereits 48 Teilnehmer teilnehmen, in einer Sportart, die als Wachstumsbranche gilt und sich immer weiter verbreitet.
Künzer die nächsten Jahre in der Verantwortung
Beim DFB liegt die Verantwortung für die kommenden Jahre hauptsächlich bei Künzer. Der Vertrag der 45-jährigen Ex-Weltmeisterin, die nun auch für die U-Teams verantwortlich ist, wurde erst vor vier Wochen bis 2029 verlängert. Der Verband plant, die nächste Europameisterschaft auszurichten.
Bei der EM in der Schweiz machte sich DFB-Präsident Bernd Neuendorf während der Vorrunde ein Bild von den Bedingungen des Nationalteams in Zürich. Sein Fazit: Das ganze Drumherum stimme und reiche «in keinster Weise für irgendwelche Ausreden auf der sportlichen Ebene».