Die deutschen Fußballerinnen wollen ihre Qualität und Mentalität im Viertelfinale zeigen, trotz Schwierigkeiten in der Defensive und Verletzungsproblemen.
Deutschland als Außenseiter gegen Frankreich – Kriegt Wück die Kurve?
Der Traum vom Titel lebt noch. Eine Woche lang musste Christian Wück nun die tiefen Risse in der Überzeugung und auch in der Abwehr kitten. Die deutschen Fußballerinnen gehen als Außenseiter in das EM-Viertelfinale gegen Frankreichs bislang furios auftretendes Team. Kriegt der Bundestrainer bei seiner Turniertaufe mit den Frauen die Kurve?
«Wir haben die Französinnen gut analysiert und wissen, was uns erwartet. Ihre individuelle Klasse ist unbestritten», sagte Wück vor dem ersten K.-o.-Runden-Spiel am Samstag (21.00 Uhr/ZDF und DAZN) in Basel. «Wir wollen ein unangenehmer Gegner sein und unsere Qualität und Mentalität auf den Platz bringen.»
«Keiner schreibt Deutschland jemals ab»
Nach der 1:4 Niederlage gegen Schweden zum Abschluss der Vorrunde musste sich der achtmalige Titelgewinner zunächst kräftig schütteln und neu sortieren. Besonders in der dezimierten Defensive, deren Neuaufstellung Wücks schwierigste Aufgabe ist.
«Keiner schreibt Deutschland jemals ab, vor allem nicht die internationalen Leute. Und dann sollten es die Deutschen auch selbst nicht tun», sagte UEFA-Frauenfußballchefin Nadine Kessler, die 2013 mit Deutschland den bislang letzten EM-Triumph feierte.
Frankreich mit «ganz schön schnellen Lokomotiven»
«Es ist noch nichts verloren», betonte Ex-Kapitänin Alexandra Popp, warnte aber auch: «Bei den Franzosen kommen ganz schön schnelle Lokomotiven auf einen zu.»
Die Vorbereitung auf das Spiel im Dreiländereck Schweiz/Frankreich/Deutschland begann Wück mit einer lauten und gestenreichen Ansprache auf dem Rasenplatz in Zürich-Buchlern. So energisch hatte man den 52-Jährigen bei öffentlichen Trainingseinheiten noch nicht erlebt.
Eher zaghaft fielen zunächst die Erklärungen zur Lage der einst großen Frauenfußball-Nation aus. «Wir wissen, dass der europäische Fußball sehr dicht beieinander ist. Das ist schon eine Auszeichnung, ins Viertelfinale einzuziehen», sagte DFB-Sportdirektorin Nia Künzer.
Frühes EM-Aus wäre herber Rückschlag
Ein Ausscheiden im Viertelfinale – wie bei der EM 2017 und der WM 2019 – wäre für den DFB und seine Bemühungen, mit der internationalen Spitze Schritt zu halten, ein schwerer Rückschlag. Das Vorrunden-Debakel bei der WM 2023 unter Martina Voss-Tecklenburg konnte das Team mit Olympia-Bronze unter Horst Hrubesch 2024 etwas kaschieren.
Wück soll das Nationalteam in Richtung WM 2027 in Brasilien führen, um zumindest einen klaren sportlichen Fortschritt zu erzielen, nachdem er als Europa- und Weltmeister mit der männlichen U17-Auswahl erfolgreich war. Der Anpassungsprozess des Bundestrainers läuft noch, dessen Vertrag bis Ende 2026 festgelegt ist.
Wück weiß, «was er tut»
Vor allem das mediale Echo bei den Frauen überrascht Wück immer wieder. So wie bei der Kritik von Spielerinnen an seiner Kommunikation vor der EM-Nominierung. Oder als er zuletzt ankündigte, dass er sich mit Ann-Katrin Berger an einen Tisch setzen werde nach ihren riskanten Aktionen im eigenen Strafraum («Sonst werde ich nicht alt»). Eine Torwartdebatte wollte er dann doch nicht führen.
Wie sie den Bundestrainer dieser Tage erlebe? Er sei im Training mal kurz laut geworden, sagte die turniererfahrene Kathrin Hendrich, aber abgesehen davon, «ansonsten sehr sachlich, sehr kommunikativ, doch recht gelassen und zuversichtlich. Er weiß, was er tun. Er glaubt nach wie vor an die Mannschaft.»
Das Stimmungstief nach dem Schweden-Debakel konnte Wück offensichtlich im Laufe der langen Woche bis zum Viertelfinale gegen die bislang titellosen Französinnen vertreiben. «Jetzt erst recht! Da gibt’s eigentlich gar kein anderes Gefühl als Vorfreude», sagte Berger.
«Basteln» in der dezimierten Abwehr
Nach zuletzt massiven Abwehrproblemen und der immer wiederkehrenden Inkonstanz wissen aber alle das, was Co-Trainerin Maren Meinert aussprach: «Uns ist auch klar, dass, wenn wir nicht kompakt stehen gegen Frankreich, wir wenig Chancen haben.»
Die Neuaufstellung der Viererkette ist nun Wücks größte Herausforderung. Meinert sprach vom «Basteln»: «Wir müssen rotieren und machen das mit einem guten Gefühl.» Rechts fehlt nach der verletzten Spielführerin Giulia Gwinn nun auch deren Vertreterin Carlotta Wamser (Rotsperre). Dafür dürfte Hendrich in die Startelf rücken.
Aber: Wird die zuletzt schwächelnde Innenverteidigerin Rebecca Knaak nur auf der Ersatzbank sitzen? Wird Sarai Linder von links nach rechts wechseln? Wird Wück das Risiko eingehen, die schnelle, aber unerfahrene Münchnerin Franziska Kett auf der Außenbahn zu positionieren?
Erinnerungen an das Halbfinale von England
«Wir haben viele erfahrene Spielerinnen dabei und können mit vielen Optionen umgehen. Da braucht ihr euch keine Sorgen machen», sagte die Ex-Wolfsburgerin Hendrich. Sie ist eine von fünf Spielerinnen, die im EM-Halbfinale 2022 gegen Frankreich spielten: Deutschland gewann nach zwei Popp-Toren und unter anderem mit Sara Däbritz, Sydney Lohmann, Jule Brand und Linda Dallmann mit 2:1.
Les Bleues haben bei einem Turnier noch nie die deutsche Elf geschlagen. Wück möchte das gerne beibehalten. Andernfalls müsste seine Premieren-EM mit den Frauen beim DFB noch lange aufgearbeitet werden.