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EM-Härtetest gegen Frankreich: Nagelsmanns große Vorfreude und Sturmgewalt von Mbappé

Die Vorfreude auf das große Spiel gegen die perfekt organisierte französische Fußball-Maschine steigt. Die Sturmgewalt von Kylian Mbappé birgt die größte Gefahr für Nagelsmanns Neustart-Pläne.

Bundestrainer Julian Nagelsmann bereitet sein Team auf das Testspiel gegen Frankreich vor.
Foto: Arne Dedert/dpa

Als Julian Nagelsmann am Flughafen mit dem beeindruckenden Namen Aéroport de Lyon-Saint-Exupéry ankam, spürte er bereits die Anziehungskraft eines ereignisreichen Fußball-Sommers. Die französische März-Sonne umhüllte sanft die Nationalspieler um Comeback-Star Toni Kroos. Strahlend blauer Himmel und die Vorfreude auf ein großes Spiel waren greifbar.

Der Fokus des Bundestrainers lag ausschließlich auf dem bevorstehenden EM-Härtetest am Samstag (21.00 Uhr/ZDF) gegen die perfekt organisierte und im Gegensatz zur chronisch verunsicherten DFB-Elf maximal eingespielte französische Fußball-Maschine, während der Wirbel um pinkfarbene Trikots, einen historischen Ausrüsterwechsel von Adidas zu Nike und die generellen Fußball-Zweifel in der Heimat weit entfernt waren.

Die Sturmgewalt von PSG-Superstar Kylian Mbappé war dabei als größtmögliche Gefahr für die radikalen Neustart-Pläne des Bundestrainers keine drei Monate vor der Heim-EM natürlich nicht zu ignorieren. «Wir müssen uns individuell durchsetzen, aber auch als Mannschaft. Wir haben den vollen Fokus auf Samstag», versprach Angreifer Niclas Füllkrug.

Der Spieler, der bislang mit drei Toren der beste Torschütze in der noch jungen und erfolglosen Amtszeit von Nagelsmann ist, fungiert gemäß dem Rollenkonzept, das über die frustrierenden Wintermonate erarbeitet wurde, nun lediglich als Backup für den Mittelstürmer. Der einzige Dortmunder im DFB-Kader akzeptiert dies ohne zu zögern, was den Bundestrainer erfreut. Wer nicht mitmacht, kann im Sommer in den Urlaub fahren. Das hat Nagelsmann seinem gesamten Überraschungskader schnell klargemacht.

Feedback vom WM-Finalisten

«Wir hatten viel Zeit zu diskutieren, was ist vonnöten. Man bekommt nicht sofort ein Feedback, ob es funktioniert», beschrieb Nagelsmann die intensiven Debatten in seinem Trainerstab. Das wird sich nun ändern. Im Groupama-Stadion in Lyon wird er durch die Équipe Tricolore eine Rückmeldung von höchster Fußball-Instanz bekommen. Eine Niederlage mit hohem Demütigungsfaktor gegen den WM-Zweiten und großen EM-Favoriten wie beim jüngsten 0:2 in Österreich würde Nagelsmanns Position kurz vor dem Heimturnier dramatisch schwächen. Die ganzen schönen Ideen wären als Wunschvorstellung entlarvt.

Nagelsmann hat sich auf eine Startelf festgelegt, was selten bei einem Bundestrainer vorkommt. Mit dieser klaren Arbeitszuweisung behebt der Bundestrainer auch ein Problem, das sich unter seinem Vorgänger Hansi Flick während der Krisenmonate fortsetzte.

„Die Diskussion über die Personalrotation und die Einsatzzeiten als Wohlfühlfaktor für verdiente Spieler wie Leon Goretzka im verlorenen Eröffnungsspiel der WM gegen Japan (1:2) hat die Spieler verunsichert und die Fans verwirrt. Nagelsmann versucht, dem mit einem klaren Führungskurs entgegenzuwirken. Aber funktioniert das auf Knopfdruck? Gegen eine Fußball-Großmacht?“

In der kurzen Trainingszeit, die für die Medien sichtbar war, hat er vor dem Abflug nach Lyon klare Arbeitsgruppen gebildet. Die Erkenntnis: Marc-André ter Stegen ersetzt den kurz vor seinem Comeback erneut verletzten Manuel Neuer im Tor. Vor ihm verteidigen Joshua Kimmich, Jonathan Tah, Antonio Rüdiger und der Stuttgarter Maximilian Mittelstädt in den neuen weißen und nicht den pinkfarbenen EM-Trikots, wobei Mittelstädt als einziger der vier verbliebenen Nagelsmann-Neulinge sofort zum Einsatz kommt.

Ein Worker als Nebenmann von Kroos

Kroos bekommt fast drei Jahre nach seinem DFB-Rücktritt in Robert Andrich einen mit hohem Anschlag arbeitenden Sechser an seine Seite. Kapitän Ilkay Gündogan spielt in einer Offensivraute mit Jamal Musiala, Florian Wirtz und Kai Havertz. Das klingt im Angriff eher nach Filigran-Fußball denn «Worker»-Mentalität, die Nagelsmann so sehr vermisste.

«Am Ende ist es wichtig, dass wir von den Einzelspielern her nicht die 20 talentiertesten finden oder mit den größten Namen, den größten Clubs. Sondern, dass wir die passenden finden», beschrieb Nagelsmann sein EM-Credo. Im November hatte er noch ganz anders argumentiert. Wenn die Philosophie-Volte nicht funktioniert, wird natürlich infrage gestellt werden, warum der DFB-Chefcoach auf die Erfahrung von Mats Hummels, Niklas Süle und Goretzka verzichtet. Auf der Ersatzbank ist der Leipziger David Raum mit 19 Länderspielen der erfahrenste Akteur hinter einer prominenten Ausnahme.

Die heißt Thomas Müller mit 126 Länderspielen seit 2010. «Ich bin für alle Schandtaten zu haben. Und in der Offensive haben wir zum Beispiel mit Flo Wirtz und Jamal Musiala Spieler, die das Zeug haben, uns tragen zu können», sagte der 34-Jährige «Sports Illustrated».

«Wenn ich spiele, werde ich voll brennen. Und wenn ich nicht von Anfang an spiele, dann werde ich auch brennen. Der Trainer entscheidet, wie viele Minuten ich bekomme, und in diesen Minuten versuche ich, alles auf dem Platz zu lassen, was ich habe. Das habe ich schon immer gemacht, und so werde ich das weiterhin tun», sagte der Bayern-Profi, der offenkundig im Sommer möglichst spät Urlaub machen will. Sein ehemaliger Club-Trainer Nagelsmann wird diese Worte lieben.

Müller kennt den Frankreich-Schlüssel

Müller hat auch Kenntnisse darüber, wie man Frankreich schlägt. Beim 2:1 unter Rudi Völler als Interimscoach im September erzielte er das entscheidende 1:0. Beim bisher letzten Sieg in Frankreich im Februar 2013, ebenfalls 2:1, traf er auch. Diese kleinen statistischen Fakten sind derzeit die Grundlage für die deutschen Fußball-Hoffnungen.

Die Franzosen haben die Fähigkeit, hart zuzuschlagen. Seit der Niederlage im Elfmeterschießen im WM-Finale gegen Lionel Messis Argentinien kurz vor Weihnachten 2022 in Katar haben sie nur ein Spiel verloren. Dies war das Testspiel in Dortmund vor einem halben Jahr, das für sie in der laufenden EM-Qualifikation von geringerer Bedeutung war. Zu dieser Zeit saß Mbappé 90 Minuten lang auf der Bank.

Diesmal hat Frankreichs Langzeit-Erfolgscoach Didier Deschamps, der genauso schlecht verlieren kann wie Nagelsmann, keinen Anlass für Schonzeiten. «Klar hat Frankreich eine Top-Mannschaft. Wenn sie alles reinwerfen, haben sie von der Einzelspielerqualität von der Dichte des Kaders auf vielen Positionen die bestbesetzte Mannschaft», sagte Nagelsmann. Alle Rollen sind vor dem Klassiker in Lyon klar verteilt.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Frankreich: Maignan (AC Mailand/28 Jahre/13 Länderspiele) – Clauss (Olympique Marseille/31/10), Pavard (Inter Mailand/27/52), Hernandez (Paris Saint-Germain/28/36), Theo (AC Mailand/26/23) – Tchouameni (Real Madrid/24/29), Camavinga (Real Madrid/21/13), Rabiot (Juventus Turin/28/42) – Dembelé (Paris Saint-Germain/26/42), Giroud (AC Mailand/37/129), Mbappé (Paris Saint-Germain/25/75)

Deutschland: ter Stegen (FC Barcelona/31/38) – Kimmich (FC Bayern München/29/82), Tah (Bayer Leverkusen/28/21), Rüdiger (Real Madrid/31/66), Mittelstädt (VfB Stuttgart/27/0) – Andrich (Bayer Leverkusen/29/1), Kroos (34/106) – Musiala (FC Bayern München/21/25), Gündogan (FC Barcelona/33/73), Wirtz (Bayer Leverkusen/20/14) – Havertz (FC Arsenal/24/42)

Der Schiedsrichter des Spiels war Jesús Gil Manzano aus Spanien.

dpa