Müller und Neuer vor dem Rücktritt? Nagelsmann deutet Veränderungen im DFB-Team an.
Deutsche Fußball-Ära vor dem Ende
Thomas Müller stand auf dem kleinen Podest und fühlte sich «wie bei einer Pferde-Auktion». Alle Blicke auf ihn, ein flotter Spruch hier, ein Augenzwinkern da. Müller war nach seinen EM-Minuten gegen Schottland in seiner Münchner Fußball-Arena in seinem Element.
Müller genießt jeden Moment, als wüsste er, dass nach der EM mit 34 Jahren für ihn bei der Nationalmannschaft sinnbildlich der Hammer fällt.
Manuel Neuer (38) rutschte die Nachricht sogar fast schon selber raus. «Das kann ich jetzt noch nicht verraten», sagte die ewige deutsche Nummer eins zu ihrer Zukunft im Nationaltrikot. Neuer hat offenbar schon eine Entscheidung getroffen. Nach der EM werde er sich «Gedanken machen», schob der Teamsenior einschränkend hinterher. Nur Toni Kroos (34) – als Dritter im Bunde der so unterschiedlichen letzten verbliebenen Rio-Weltmeister im Kader von Julian Nagelsmann – hat reinen Tisch gemacht. Karriereende mit EM-Abpfiff.
Aber nicht schon am Samstag (21.00 Uhr/ZDF/Magenta TV) in Dortmund nach dem Achtelfinale gegen Dänemark. Das wäre zu früh. Alle Champions von 2014 haben den 14. Juli als Ziel gesetzt – das EM-Finale in Berlin. Zehn Jahre und einen Tag nach der magischen Nacht im Maracanã. Frühestens dann. Aber höchstwahrscheinlich endet spätestens dann eine Ära in der DFB-Historie. Insgesamt 364 Länderspiele für Deutschland, drei goldene WM-Medaillen, sowie insgesamt zehn Champions-League-Siege, je fünf für die Bayern und fünf für Real Madrid. Viele nationale Titel. Drei Welt-Karrieren eben.
Nagelsmann will «Lösungen finden»
Offiziell ist bis auf die Personalie Kroos noch nichts. Aber Bundestrainer Nagelsmann hat schon angedeutet, dass Richtung WM 2026 in Nordamerika ein Schnitt notwendig ist. «Für die Zukunft müssen wir Lösungen finden. Denn wir haben den ältesten Kader. Wir werden ein paar jüngere Spieler brauchen», sagte der Bundestrainer. Für die Heim-EM «ist es ein guter Mix», sagte Nagelsmann, der mit 36 Jahren der jüngste Coach der EM-Historie ist.
Aber dann: Jüngere Spieler rein, ältere raus. Das erscheint vernünftig. Und wen könnte Nagelsmann gemeint haben außer Müller und Neuer, den Ältesten im Kader neben dem baldigen Fußball-Ruheständler Kroos? Möglicherweise noch Ersatztorwart Oliver Baumann (34) oder Ilkay Gündogan (33), dessen Deutschland-Karriere jedoch gefühlt mit diesem Turnier als Kapitän im positiven Sinne erst richtig beginnt.
Auch Rudi Völler sprach im Teamquartier in Herzogenaurach zumindest mit Müller schon über die Zukunft. Ohne hinterher Details zu verraten. «Ich bin gerne mal mit Manuel auf einen Kaffee zusammen, auch mit Thomas, sich zu unterhalten über die Karriere, die er schon hat und wie es weitergeht. Beide sind absolute Vorbilder», sagte der DFB-Sportdirektor.
Ruhestand ja, Rücktritt nein
Die Situation bei Müller ist im Grunde genauso klar wie bei Kroos. Er wird jedoch nie offiziell zurücktreten, was das DFB-Trikot betrifft. Obwohl sein Vertrag beim FC Bayern möglicherweise in einem Jahr ausläuft, bleibt seine Devise als Nationalspieler, nicht zurückzutreten.
Aussortiert wurde er schon 2019 von Joachim Löw – und kam wieder zurück. Nach dem WM-Debakel in Katar 2022 klangen seine Worte im Interview wie ein Abschied von den Fans. Doch er kam erneut zurück. Die Heim-EM wirkt nun wie ein letzter Bonus. Seine «Gimmick»-Minuten, wie Nagelsmann es nennt, bekam er schon im Eröffnungsspiel gegen Schottland. Der große Traum vom ersten EM-Tor ist für den Bayern, der 2010 und 2014 zehn WM-Tore schoss, aber noch nicht erfüllt.
Als «Schmiermittel» und «Connector» hat ihn Nagelmann im Mix der Generationen bezeichnet. Von außen betrachtet wirkt Müller aber wie das fünfte Rad am Wagen. Auffällig sind vor allem noch seine skurrilen Aktionen vor dem Aufwärmprogramm. Wie vor dem Schweiz-Spiel, als er vergeblich versuchte, den Ball bis zum Video-Würfel im Frankfurter Stadion zu dreschen. Die sportlich relevante Hierarchie unter den Oldies verdeutlichen die bisherigen Turnier-Minuten: Neuer 270, Kroos 257, Müller 17.
Erben stehen bereit
Neuer wird wahrscheinlich irgendwann einen klaren Schlussstrich ziehen. Ob nach der EM, wird sich zeigen. Acht Turniere als Nummer eins seit 2010. EM-Rekordtorwart (18 Spiele), deutscher Rekordtorwart (122 Länderspiele). Er hat eine Ära als Torwart geprägt und dominiert.
Sein ständiger Ersatzmann Marc-André ter Stegen steht bereits seit langem als Nachfolger bereit. In Alexander Nübel ist sogar sein Erbe bereits festgelegt. Für Neuer war es eine Genugtuung, nach seinem schweren Beinbruch das Comeback im DFB-Tor geschafft zu haben. Und die zuletzt ziemlich lauten Zweifel an seiner Stärke auch beim Turnier zu beseitigen.
Für Müller gibt es bereits jetzt eine Vielzahl von jungen Optionen im Angriffsbereich, darunter die Fußball-Zauberer Jamal Musiala und Florian Wirtz (beide 21) als vielversprechende Spieler für die Gegenwart und Zukunft. Die Lücke, die Kroos als Ruhepol hinterlässt, wird beträchtlich sein. Sein Comeback war Nagelsmanns Meisterzug im personellen Rollenspiel.
Ein Aus gegen Dänemark? Es wäre fast schon Fußball-Blasphemie, eine Karriere so enden zu lassen. Dann schon eher gegen das große Spanien, seine Fußball-Heimat im anschließenden Viertelfinale. Aber am allerbesten im EM-Finale. «Natürlich wäre das fast zu kitschig, dieses Ende, aber ich würde es nehmen», sagte Kroos. Neuer und Müller sicherlich auch.