Ein krasser Fehler von Lando Norris bringt McLaren in Schwierigkeiten. Die WM-Favoriten krachen in Kanada ineinander. Warum das aber nicht zu schlechter Stimmung im Team führen soll.
Norris am Tiefpunkt: «McLaren-Knall» als WM-Entscheidung?

Selbst nach dem folgenschweren Crash der WM-Favoriten konnte Formel-1-Spitzenreiter Oscar Piastri seinem Teamkollegen nicht böse sein. «Lando ist ein echt guter Kerl», sagte der Australier über den Briten Norris. Dass ihm dieser kurz vor Ende des Großen Preises von Kanada bei hoher Geschwindigkeit ins Heck geknallt war und so den Ausfall beider McLaren riskierte, war nach einer reumütigen Entschuldigung zwischen den Stallrivalen schnell kein Thema mehr. Auch wenn von einer Eskalation im Teamduell keine Rede sein konnte, war es wohl schon eine entscheidende Szene der Saison.
«Wenn ich mich in so einem Moment zum Deppen mache, dann bereue ich das sehr. So etwas schmerzt», sagte Norris. Eine völlige Fehleinschätzung war der Grund, warum er in einem hart geführten Zweikampf ausgerechnet mit Piastri auf der Zielgeraden in die Boxenmauer krachte und ausschied. Mit allen Mitteln hatte er versucht, vorbeizukommen und scheiterte. Während Piastri immerhin noch als Vierter ins Ziel kam, bezahlte der 25-Jährige sein unkluges Manöver punktlos. «Der Brite zeigte, dass er noch weit davon entfernt ist, Champion zu sein», schrieb die spanische Zeitung «Mundo Deportivo».
«Die Fehlerquote ist einfach zu hoch»
Zwar beträgt Norris‘ Rückstand in der WM-Wertung nach zehn von 24 Rennen erst 22 Punkte. Psychologisch wog der Rennausgang aber schwer. Wieder leistete er sich in einer hitzigen Situation einen üblen Fehler, schon in der Qualifikation tags zuvor hatte er unter Druck gepatzt. «Die Fehler gehen immer weiter bei ihm, leider», sagte Ex-Weltmeister Nico Rosberg als TV-Experte bei Sky: «Piastri ist jetzt der Favorit. In der neuen Situation, wo einfach so viel Druck da ist, ist er einfach stark.» Dem stimmte auch der frühere Formel-1-Pilot Timo Glock zu: «Die Fehlerquote ist einfach zu hoch», sagte er über Norris.
McLaren kündigte an, die Situation, die die Schweizer Zeitung «Blick» als «McLaren-Knall» bezeichnete, mit etwas Abstand noch mal mit allen Beteiligten besprechen zu wollen. «Wir nutzen solche Vorfälle, sobald etwas Zeit vergangen ist und wir einen kühlen Kopf haben, gezielt dafür aus, um als Team stärker zu werden», sagte Teamchef Andrea Stella: «Unsere beiden Fahrer sollen an so etwas wachsen.» Überraschend kam der Unfall für den Rennstall jedenfalls nicht. Teamboss Zak Brown hatte schon im April orakelt: «Ich denke, es ist eher eine Frage, wann es passiert, nicht ob es passiert.»
Piastri: «Das war einfach unglücklich»
Norris übernahm noch im Auto über den Boxenfunk die volle Verantwortung («Das war dumm von mir») und zeigte sich auch nachfolgend in jedem Interview betont reumütig. Dies milderte die Situation deutlich ab und ist ein entscheidender Unterschied zu den harten teaminternen Duellen der Vergangenheit. Die Atmosphäre ist bei weitem nicht so vergiftet wie es beispielsweise bei Mercedes der Fall war, als Rosberg und Lewis Hamilton erbittert um den Titel kämpften.
«Ich denke nicht, dass da irgendein böser Gedanke dabei war. Das war einfach unglücklich», sagte Piastri. Bislang durften die McLaren-Piloten frei fahren und sich auch packende Rad-an-Rad-Duelle liefern. Mit dem Unfall wurde allerdings eine Grenze überschritten. «Unsere oberste Regel lautet: kein Kontakt mit dem Teamkollegen. Und genau das habe ich getan», sagte Norris. Beide hoffen, dass es zunächst auch weiterhin keine Stallorder gibt. «Ich bin dem Team sehr dankbar, dass sie uns erlauben, gegeneinander zu fahren», sagte Piastri: «Ich würde auch nicht denken, dass sich das ändert.»
Verstappen lauert hinter McLaren auf weitere Fehler
Das britische Traditionsteam kann sich keinen weiteren Vorfall dieser Art leisten, da McLaren an einem insgesamt überraschend schwachen Wochenende viele Punkte verloren hat. George Russell von Mercedes sicherte sich den Sieg vor Weltmeister Max Verstappen, während Kimi Antonelli im zweiten Silberpfeil es auf das Podest schaffte. Piastri konnte mit zwölf Punkten als Vierter Schadensbegrenzung betreiben, und Titelverteidiger Verstappen rückte in der Gesamtwertung näher an das führende Duo heran.
«Für mich war dieses Wochenende nicht gut genug. Das ist noch kein komfortabler Vorsprung, das ist noch ein langer Weg», sagte Piastri mit Blick auf seinen möglichen ersten WM-Titel. Vor allem Verstappen muss McLaren fürchten, in zwei Wochen beim Großen Preis von Österreich wird der Red-Bull-Star versuchen, noch näher heranzukommen. Der Niederländer liegt 43 Punkte hinter Piastri, denkt aber gerade nicht an seinen Titel Nummer fünf: «Es ist eine lange, lange Saison. Man muss also Rennen für Rennen angehen.»