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Raue Luft in Oslo: Wellinger hat «wenig Lust auf Norweger»

Ein paar Anzüge konfiszieren und dann einfach weiter? Dem Skispringen droht ein großes Glaubwürdigkeitsproblem. Am legendären Holmenkollen könnte es zu denkwürdigen Szenen kommen.

Wie wird der Umgang sein? Skispringer Wellinger und Lindvik.
Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Andreas Wellinger und Marius Lindvik werden wahrscheinlich nicht mehr gemeinsam bei einer Skisprung-Siegerehrung lächeln, so der deutsche Olympiasieger. Nach dem WM-Skandal um manipulierte Anzüge würde er in den nächsten Wochen lieber ganz auf seine Konkurrenten aus Norwegen verzichten.

«Ich habe eigentlich wenig Lust, einem Norweger auf der Schanze zu begegnen. Nicht weil einer explizit persönlich etwas dafür kann, sondern weil diese Manipulation von A bis Z so übers Ziel geschossen ist», sagte Wellinger, der auf der Normalschanze Zweiter hinter Weltmeister Lindvik wurde. Wäre das eigentlich seine Goldmedaille gewesen? Das ist nur eine von vielen Fragen, die der Weltverband Fis in den nächsten Wochen beantworten muss.

Wellinger: «Einfach eine Verarsche»

Die absichtliche Anzugschummelei des Gastgebers bei der WM in Trondheim hat tiefe Spuren hinterlassen und wird die Skisprung-Szene lange beschäftigen. Vor der Fortsetzung des Weltcups am Donnerstag (17.00 Uhr/ZDF und Eurosport) in Oslo stellt sich die Frage: Wie werden die Rivalen auf die massiv unter Betrugsverdacht stehenden Lindvik und Johann André Forfang reagieren? Wird es denkwürdige Bilder von verweigerten Glückwünschen auf einem Podium geben?

Passend zur gleichnamigen Wettkampfserie in Norwegen herrscht raue Luft am Holmenkollen. Lindvik und Forfang wurden vom Norwegischen Verband selbstverständlich für das Einzel nominiert. Es wird also unweigerlich zu pikanten Begegnungen rund um die Schanze kommen. Der 29 Jahre alte Wellinger hat dafür wenig Verständnis. «Das ist einfach mutwillig und eine Manipulation, die für alle anderen Skispringer, die versuchen, fair zu kämpfen, einfach eine Verarsche ist», sagte er in der Sendung «Hangar-7» von Servus TV.

Vermeintliche Bauernopfer reichen der Konkurrenz nicht

Doch wie sah die vorsätzliche Manipulation tatsächlich aus? Anonyme Videos zeigen, wie in einer Loge im Stadion von Rosenborg Trondheim Anzüge auf illegale Weise bearbeitet wurden. Anzug anziehen, Stabilisierungsband einsetzen, Anzug schließen: So einfach gingen die Norweger mit dem empfindlichen Material um, das während des Fluges so wichtig ist. Und sie verschafften sich anscheinend einen nicht unerheblichen Vorteil.

Lindvik, der im Gesamtweltcup Rang 13 belegt, wurde plötzlich zum alles überragenden Springer der WM. Das aberkannte Silber dürfte er verkraften können, solange ihm die Titel mit dem Mixed und im ersten Einzel bleiben. Trainer Magnus Brevig und zwei weitere Mitwisser hat der Verband in den vergangenen Tagen suspendiert. Sämtliche Springer und Sportchef Jan Erik Aalbu sollen ahnungslos gewesen sein – so die Argumentation der Norweger.

Den anderen Verbänden reichen diese Erklärungen und ein paar vermeintlich einfache Bauernopfer nicht. «Es ist nur ganz schwer nachvollziehbar, dass jemand, wenn er schon dreimal ganz oben gestanden ist, erst beim vierten Springen noch einmal so viel riskiert, dass er erst dort einen Anzug umnäht», sagte Österreichs Sportdirektor Mario Stecher. Genau das behaupten sie aber im norwegischen Verband.

Die Analyse ist komplex und umfasst verschiedene Dimensionen. Die zentralen Fragen:

Was passiert mit den WM-Ergebnissen?

Was passiert mit den WM-Resultaten von Trondheim, wo Norwegens Nordische reihenweise Titel abräumten? «Es ist definitiv Betrug. Doping ist vielleicht noch ein anderes Thema, aber es ist trotzdem ein krimineller Vorsatz irgendwo dahinter, wenn man die Videos gesehen hat», sagte Kombinierer Vinzenz Geiger dem Bayerischen Rundfunk.

Bei einer Annullierung aller Ergebnisse wäre der bei der WM nur von Norwegern besiegte Geiger plötzlich vierfacher Weltmeister. Fis-Rennleiter Sandro Pertile sagte noch am Samstag, ein solcher Vorgang sei nicht absehbar. «Im Prinzip nicht. Wir haben ein System – wenn die Kontrolle fertig ist, ist sie fertig.» Doch seither ist der Druck auf die Fis weiter gewachsen.

Wie reagiert die Fis?

Mit relativ wenig Selbstkritik. «Es gibt so viele Kontrollen wie noch nie, das Netz ist dichtmaschiger geworden. Und die Springer haben sich nach anfänglichem Murren mittlerweile auch daran gewöhnt», sagte Kontrolleur Christian Kathol der «Kleinen Zeitung».

Das Band, das von Norwegen eingenäht wurde, war nicht einmal tastbar. Kathol entdeckte es erst nach Veröffentlichung der anonymen Videos, als er die Anzüge aufschnitt. Drei Tage später wurden auch die anderen Anzüge der Norweger vom Weltverband konfisziert.

Die Fis hofft, durch die in diesem Winter eingeführten Kontrollchips mehr Informationen zu erhalten. Kathol sagt, dass man anhand dieser Chips herausfinden kann, mit welchen Anzügen bereits gesprungen wurde. Es wird berichtet, dass die Springer für den Rest der Saison mit einem einzigen Anzug auskommen müssen und nur wechseln dürfen, falls dieser beschädigt ist.

Was kann künftig geändert werden?

Die Verantwortlichen setzen auf Technik. Andreas Bauer als Chef der Fis-Materialkommission fordert neue Kontrollmethoden. «Bisher wird alles händisch überprüft, menschliche Messungenauigkeiten sind nicht auszuschließen. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich auf die moderne Technik umsteigen und wie am Flughafen 3D-Scanner nutzen», sagte Bauer der «Allgäuer Zeitung» sowie den «Stuttgarter Nachrichten» und der «Stuttgarter Zeitung». Skisprung-Legende Sven Hannawald hatte ebenfalls für eine Maschine bei der Kontrolle plädiert.

Sind nur die Skispringer betroffen?

Das ist die entscheidende Frage. Der Verband hat öffentlich zugegeben, dass Lindvik und Forfang in einem Wettbewerb absichtlich betrogen haben. Aber nicht nur die Skispringer haben bei der WM starke Leistungen gezeigt, sondern auch die Skispringerinnen und beide Kombi-Teams. Die Tatsache, dass die Fis die Anzüge aller vier norwegischen Teams konfisziert hat, lässt zumindest auf ein gewisses Verdachtsmoment schließen.

dpa