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England in der Krise vor K.-o.-Runde

Trainer Southgate in der Kritik, Fans wenden sich ab, Toptalente kaum berücksichtigt.

Die Engländer um Jude Bellingham kamen gegen Slowenien nicht über ein 0:0 hinaus.
Foto: Martin Meissner/AP/dpa

Fliegende Becher, murrende Experten, kaum beachtete Top-Talente: Die Zweifel am Favoriten England mit Kapitän Harry Kane nehmen vor dem Beginn der K.-o.-Runde stetig zu. Anstatt sich über den Gruppensieg und die vermeintlich einfachere Turnierhälfte ohne Deutschland, Frankreich und Spanien zu freuen, herrscht auf der Insel zunehmend Enttäuschung und Skepsis, einen Tag nach dem enttäuschenden 0:0 gegen Slowenien.

Im Zentrum der Kritik: Trainer Gareth Southgate, dessen Abschied als Trainer der Three Lions in den Tagen von Deutschland immer konkreter wird. Die Boulevardzeitung «The Sun» verglich den 53-Jährigen mit einem «Chemiker, der alles umkehrt». Aus dem vorzüglichen Personal, das das Blatt als «Gold» bezeichnete, mache Southgate «Metall». Und wer die drei biederen Vorrundenspiele des Ensembles mit einem Gesamtwert von über einer Milliarde Euro gesehen hat, der weiß vor dem Achtelfinale (18.00 Uhr) am Sonntag in Gelsenkirchen genau, was damit gemeint ist.

Southgate selbst sieht «Schritt nach vorne»

Southgate dagegen übt sich in Durchhalteparolen und stellt sich demonstrativ vor seine Spieler, die erneut enttäuschten. «Ich verstehe das Narrativ über mich und es ist besser, wenn ich das abkriege als das Team», sagte er. «Aber es sorgt für eine unübliche Umgebung, in der wir arbeiten müssen. Ich habe kein anderes Team gesehen, das sich qualifiziert hat und ähnlich viel Kritik erhalten hat.»

Es gab allerdings auch kein anderes Team, das in der Vorrunde – gemessen an den hohen Erwartungen – so sehr enttäuscht hat. Auch wenn der Ex-Profi das ganz anders sieht, vor allem nach dem Gruppenabschluss. «Ich bin stolz auf die Spieler. Wir haben das Spiel dominiert, wir werden besser. Wir haben eine Vielzahl an Chancen gehabt. Es war ein Schritt nach vorn», beschrieb Southgate die 90 Minuten, nach denen am Ende alle froh waren, als der Abpfiff erfolgte.

Immer mehr Buhrufe

Die Offensive um Kane, Champions-League-Sieger Jude Bellingham, Phil Foden und Bukayo Saka ist auf dem Papier mit das Beste und Klangvollste, was Fußball-Europa derzeit zu bieten hat. Doch auf dem Rasen wirkt alles ideenlos und uninspiriert. Und auch die Fans wenden sich immer deutlicher ab, wie in Köln zu sehen war. «Ich denke an die früheren Turniere. Da haben wir unseren besten Fußball auch oft erst in der K.-o.-Phase gespielt», sagte Kane mit einer ordentlichen Portion Zweckoptimismus. Der 30 Jahre alte Stürmerstar des FC Bayern kommt bislang bei weitem nicht so zur Geltung wie erhofft.

Southgate klatschte höflich in Richtung Kurve, aber von dort flogen Bierbecher auf ihn zu. Auch deutliche Buhrufe waren unter den rund 20.000 Three-Lions-Fans zu hören. Für den stark kritisierten Trainer ist es jetzt wichtig, nach der Zuneigung der Fans nicht auch noch den Rückhalt der Spieler zu verlieren.

Die Experten haben sich längst – und auch bereits vor dieser EM – auf den Trainer eingeschossen. Für Ex-Nationalspieler Gary Neville war die Nullnummer gegen Slowenien «schwer anzuschauen». Von «gähnendem Ruhm» war zu lesen, der Begriff Gruppensieger passte überhaupt nicht zur Vorrundenleistung.

Die Euphorie des DFB-Teams und die Dominanz von Spanien sind bei England nicht zu finden. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass sie im Endspiel am 14. Juli in Berlin auf diese beiden bisher starken Teams treffen könnten.

Millionenschwere Talente kaum eingesetzt

Southgate hätte die Möglichkeit, das Offensivpersonal zu ändern. Cole Palmer, Kobbie Mainoo und Anthony Gordon sind hochtalentierte Spieler mit einem Marktwert von mindestens 50 Millionen Euro. Unter Southgate erhalten sie – wenn überhaupt – nur kurze Einsätze als Joker. Am Dienstag durfte Gordon in der 89. Minute spielen.

«Wir sind zufrieden mit den Wechseln. Wie sie zusammengespielt haben, da waren ein paar feine Spielzüge dabei. Sie kriegen ihre Spielanteile», beschrieb der Trainer. Vom Spiel gegen Dänemark blieb ein Foto, das Palmer (FC Chelsea) und Mainoo (Manchester United) mit starrem Blick auf der Bank zeigte.

Trotz des irritierenden Auftritts erhielt keiner der beiden Jungprofis eine Gelegenheit. Es ist fraglich, ob Southgate für das Achtelfinale Änderungen vornehmen oder sogar ein Risiko eingehen wird. Ab Sonntag könnte jedes Spiel für ihn das letzte an der Seitenlinie der Three Lions sein.

dpa