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«Dumme Attacke»: Phänomen Pogacar neuer Weltmeister

Ein Sieg mit Ankündigung: Tadej Pogacar gewinnt als großer Favorit die Weltmeisterschaft. Mit einer derartigen Attacke hatte aber niemand gerechnet.

Tadej Pogacar attackiert auf der Zürichbergstraße.
Foto: Peter Dejong/AP/dpa

Am Ende seines verrückten 100-Kilometer-Flucht schlug sogar Tadej Pogacar ungläubig die Hände vor das Gesicht und feierte sich selbst als neuer Weltmeister. Der 26-Jährige erreichte schließlich sein Ziel am Ufer des Zürichsees und erhielt das begehrte Regenbogentrikot. Deutlich erschöpft und erleichtert umarmte er seine Freundin Urska Zigart. Nach 273,9 äußerst anspruchsvollen Kilometern belegte der Australier Ben O’Connor den zweiten Platz vor dem niederländischen Titelverteidiger Mathieu van der Poel.

«Ich kann nicht glauben, was passiert ist. Ich habe mir so viel Druck gemacht. Wir sind für den Sieg gekommen», sagte Pogacar nach einem Tag für die Geschichtsbücher. «Es war vielleicht eine dumme Attacke, aber ich habe einfach nicht aufgegeben. Wir hatten eigentlich geplant, das Rennen zu kontrollieren. Ich weiß nicht, was ich gedacht habe.»

Dreifach-Krone für Pogacar

Pogacar sicherte sich als dritter Profi nach Eddy Merckx und Stephen Roche die sogenannte Dreifach-Krone des Radsports. Um diesen inoffiziellen Titel zu erhalten, muss man zwei große Landesrundfahrten und den WM-Titel im selben Jahr gewinnen. Pogacar war siegreich beim Giro d’Italia und der Tour de France.

In Zürich hatte er genau 100,7 Kilometer vor dem Ziel genug und setzte auf der viertletzten Runde an der bis zu 17 Prozent steilen Zürichbergstraße die entscheidende Attacke. So früh hatte fast niemand mit einem Angriff gerechnet und die Skepsis blieb. «Nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit kann das einfach nicht funktionieren. Er hat zu früh zu viel Energie investiert», urteilte Ex-Profi und Eurosport-Experte Jens Voigt.

«Druck wird größer»

Zumal Pogacar nervös wirkte, nicht so stoisch wie üblich bei seinen Angriffen aussah. Vor dem Start hatte der Slowene eingeräumt, welche Last auf seinen Schultern lag. «Der Druck wird größer, endlich zu liefern. Wenn nicht dieses Jahr, dann auf jeden Fall im nächsten Jahr», sagte Pogacar. Es wurde dieses Jahr.

Pogacar schloss zur Spitzengruppe auf, ließ sich von seinem Teamkollegen Jan Tratnik ein wenig unterstützen – und machte sich bei der nächsten Zielpassage auf und davon. Titelverteidiger Mathieu van der Poel und Doppel-Olympiasieger Remco Evenepoel ließen ihre Teams arbeiten, doch die Lücke zu Pogacar wurde nicht kleiner.

Der Superstar hatte sich speziell für die WM-Mission ein individuelles Fahrrad bauen lassen. Die Lackierung war von Pogacars Vorliebe für Comics und Pop Art inspiriert, wobei die verschiedenen Farben wie Gelb (Tour de France) und Rosa (Giro d’Italia) seine größten Erfolge symbolisieren sollten. Gold fehlte – hier wird nun wahrscheinlich nachgebessert.

Schweigeminute am Start

Der Beginn in Winterthur war geprägt von der Erinnerung an die am Freitag verstorbene Junioren-Radsportlerin Muriel Furrer. Das sechsköpfige Schweizer Team stand neben Weltverbands-Präsident David Lappartient in der ersten Reihe beim Start und es wurde eine Schweigeminute abgehalten, wie bereits im Frauen-Rennen am Tag zuvor. Das Peloton begab sich sichtlich bewegt auf die Strecke. Der Schweizer Verband hatte seinen Fahrern die Entscheidung überlassen, angesichts der Umstände auf einen Start zu verzichten.

In der Nähe der WM-Strecke in Zürich wurde eine Gedenkstätte errichtet. An der Wasserkirche legten Passanten Blumen ab, zündeten Kerzen an und verharrten einen Moment in Stille.

Am Sonntagmorgen fand zudem eine Gedenkfahrt für die Züricherin statt. Am Sechseläutenplatz versammelten sich um 7.00 Uhr viele Hobby-Rennfahrer und fuhren die WM-Runde. Olivier Senn, Sportchef der WM, hielt vor der Abfahrt eine kurze Rede, eine Schweigeminute wurde abgehalten. «Redet miteinander, fahrt schweigend, was für euch gut ist», sagte Senn. Das Feld passierte auch die Unfallstelle Furrers in einer Abfahrt in einem Waldstück. Laut einem Bericht des «Tagesanzeigers» hielten einige Hobby-Radsportler an und weinten.

dpa