WM-Spitzenreiter Lando Norris spricht oft über Schwächen und Zweifel. Macht ihn das im vermeintlich harten Formel-1-Geschäft angreifbarer? Ex-Champion Sebastian Vettel hat eine klare Meinung dazu.
Spitzenreiter mit Selbstzweifeln: Wie titelreif ist Norris?
Zyniker würden sagen: Lando Norris ist nicht für einen echten Stallkampf geeignet. Der 25-jährige Brite hat immer noch drei Punkte Vorsprung auf seinen coolen McLaren-Rivalen Oscar Piastri im Formel-1-Klassement. Piastri, der anderthalb Jahre jünger ist, wirkt jedoch unerschütterlich und als ob ihn nichts wirklich aus der Ruhe bringen könnte.
Norris ist das genaue Gegenteil – und er spricht darüber. Über seine Schwächen, über seine Nervosität, über den Druck und alles, was diesen verursacht. Ist Norris jedoch möglicherweise das Paradebeispiel einer neuen Generation, eines Wandels, den auch die Formel 1 erreicht hat?
Sebastian Vettel sagt: «Vorbildhaft»
«Ich bin jetzt noch nicht so alt, aber zu meiner Zeit war das nicht so der Fall», sagte der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel der Deutschen Presse-Agentur. Der gebürtige Heppenheimer beendete seine Karriere nach der Saison 2022. Vettel ist 37 Jahre alt. «Ich finde es ein Zeichen von Stärke, dass Lando sich so öffnet. Ich glaube, dass es vorbildhaft ist.» Schade sei es, wenn Norris deswegen angegriffen oder ihm unterstellt würde, dass er angreifbarer sei.
Im Vorjahr befand sich der Brite im Titelduell mit Max Verstappen im Red Bull, genauso wie dieses Jahr. Trotz einiger Vorfälle auf der Strecke sind sie immer noch sehr gute Freunde.
Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko befand damals, Norris sei «mental nicht stark genug», um Verstappen zu schlagen. Der bald 82-Jährige erklärte etwas später, nachdem seine Worte entsprechende Kritik hervorgerufen hatten, dass es ihm nicht um die mentale Gesundheit gegangen sei bei Norris, sondern um «Erfahrung und Reife».
Hamilton erklärte auch schon mal: Schwierige Phasen in den 20ern
Selbstzweifel habe jeder, betonte Vettel. «Die hatte ich, die hat wahrscheinlich auch Lewis (Hamilton), die hatten aber auch andere Generationen vor uns. Man hat die aber nicht geäußert.»
Wobei gerade Rekordweltmeister Hamilton auch schon einen recht offenen Umgang pflegt. Vor drei Jahren hatte er nach dem Rennen in Dschidda erklärt: «Ich habe lange Zeit mental und emotional gekämpft. Es ist eine ständige Anstrengung, weiterzumachen, aber wir müssen weiterkämpfen.» Damals fuhr er für Mercedes, der 2022er-Wagen war aber kein Erfolgsmodell.
Laut der «Sunday Times» hatte der Ferrari-Pilot, der mittlerweile 40 Jahre alt ist, einmal gesagt: «In meinen 20ern hatte ich einige wirklich schwierige Phasen. Ich meine, ich habe mein ganzes Leben lang mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt.»
Für Vettel ist es wichtig, den Wandel hervorzuheben und den Mut, den gerade Norris aufbringt, sich so zu öffnen. «Dass er Dinge anspricht, die vielleicht jeder spürt, aber eben nur wenige schaffen auszusprechen.»
Die Wichtigkeit der mentalen Gesundheit hat längst auch im internationalen Sport Einzug gehalten. Prominente Sportler wie die amerikanische Turnerin Simone Biles oder der ehemalige Schwimm-Superstar Michael Phelps haben durch ihre Offenheit zu diesem Thema einen Beitrag geleistet.
So reagiert Norris auf Vettel
Norris tut Vettels Unterstützung jedenfalls gut. «Seb und ich reden ab und zu miteinander. Er schreibt mir Nachrichten. Immer in Zeiten, in denen ich es wahrscheinlich am meisten brauche», sagte er im Fahrerlager auf dem Dschidda Corniche Circuit. Und im Moment braucht Norris diese Unterstützung wieder.
Der McLaren gilt als derzeit bestes Auto, zuletzt in Bahrain fuhr Piastri auf die Pole Position, Norris wurde nur Sechster in der Qualifikation und haderte vor allem mit sich selbst. «Ich fühle mich, als hätte ich nie zuvor ein Formel-1-Auto gefahren.» Er hinke hinterher und wisse nicht warum, er lasse das Team im Stich. Im Rennen rettete er sich hinter Piastri und George Russell im Mercedes noch auf Platz drei.
Geht der Große Preis von Saudi-Arabien an diesem Sonntag (19.00 Uhr MESZ/Sky) auch so aus, ist Norris seine WM-Führung los. Der Druck könnte größer kaum sein. Dabei hatte er schon im vergangenen Jahr mal erzählt, was das gerade an den Renntagen mit ihm macht. Er könne dann kaum essen oder trinken, «einfach weil ich nervös bin».
Norris macht jedoch auch immer wieder Fehler. Zuletzt parkte er seinen Wagen in der Wüste von Sakhir nicht wie vorgeschrieben in der Startaufstellung und erhielt dafür eine Zeitstrafe.
Jedoch ist auch seine Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang mit seinen eigenen Fehlern bemerkenswert. Es fällt auf, dass keiner seiner direkten Konkurrenten dies für verbale Angriffe nutzen würde. Es gibt harte Kämpfe auf der Rennstrecke, aber Respekt außerhalb davon. Dies ist sicherlich auch ein Zeichen für einen Wandel dank einer neuen Generation in der Formel 1.