Italien kehrt an den Ort des WM-Triumphs 2006 zurück. In Berlin soll gegen die Schweiz der nächste Schritt in Richtung EM-Titelverteidigung gelingen. Beide Teams wittern eine große Chance.
Steigerung nötig: Italien will EM-Revanche am Sehnsuchtsort
Luciano Spalletti griff vor dem Achtelfinal-Showdown gegen die Schweiz zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um die Stimmung zu heben. Der Nationaltrainer Italiens öffnete das Training in Iserlohn spontan für die Fans und war gut gelaunt. Ein kleiner Junge, der sich an den Sicherheitsleuten vorbei auf den Platz geschlichen hatte, nahm er lächelnd in die Arme.
Der Wutausbruch des Trainers nach dem 1:1 gegen Kroatien und das Zittern ums Weiterkommen sind abgehakt. «Wir haben ein Ziel vor Augen», sagte Spalletti vor der Partie am Samstag (18.00 Uhr/RTL/Magenta TV) in Berlin.
Das Ziel ist die Titelverteidigung und das Erreichen des EM-Finales in Berlin – an jenem Sehnsuchtsort, wo die Azzurri 2006 Weltmeister wurden. Für das erste Spiel der K.-o.-Runde kehrt die Mannschaft nun etwas früher ins Olympiastadion zurück und trifft auf viele Bekannte. Sechs Spieler aus dem Kader des Schweizer Trainers Murat Yakin spielen in der Serie A.
61 Mal trafen die Teams bereits aufeinander, auch bei der EM 2021, als Italien in Rom mit 3:0 gewann. Eine Rechnung offen haben die Azzurri zudem, weil zwei Remis gegen die Schweiz sie die WM-Teilnahme 2022 kosteten. Mittelfeldspieler Jorginho, der auch bei diesem Turnier Stammspieler ist, verschoss dabei zwei Elfmeter. Was die Sportzeitung «Corriere dello Sport» schon als Anlass für sorgenvolle Spekulationen über ein mögliches Elfmeterschießen nahm.
Bei der Schweiz «funktioniert vieles»
«Italien ist der Favorit. Die Vorfreude ist schon extrem groß», sagte der Schweizer Michel Aebischer, der beim FC Bologna spielt. Fehlen wird Italien allerdings der nach Ansicht von TV-Experte Christoph Kramer bislang beste Spieler des Turniers: Aebischers Teamkollege aus Bologna, Verteidiger Riccardo Calafiori, ist nach seiner zweiten Gelben Karte gesperrt. «Es tut mir leid für ihn, er ist ein sehr starker Spieler. Deshalb ist es für uns gut, dass er nicht spielen kann», sagte Aebischer.
Es ist fraglich, ob die Favoritenrolle wirklich so eindeutig ist, wie es der 27-Jährige behauptet. Seit der WM 2014 haben die Schweizer bei jedem großen Turnier die K.-o.-Phase erreicht. Bei der letzten EM schockten sie im Achtelfinale den damaligen Weltmeister Frankreich und zogen erstmals ins Viertelfinale ein.
In der Gruppenphase bei dieser EM überzeugten die Schweizer vor allem beim 1:1 gegen Deutschland. «Bis jetzt funktioniert bei uns vieles», sagte Yakin. In der K.-o.-Phase herrsche natürlich ein «anderer Erwartungsdruck», das Team verfüge aber über «genug Qualität und Erfahrung».
Italiens «Last der Erwartungen»
Italien braucht jedenfalls eine klare Leistungssteigerung im Vergleich zum letzten Gruppenspiel, in dem erst ein Tor von Mattia Zaccagni nach Vorlage von Calafiori in letzter Minute das Weiterkommen sicherte. Im Land des viermaligen Weltmeisters gab es anschließend viel Kritik an Aufstellung, Leistung und Auftreten der Mannschaft – was Spalletti mit einer wütenden Abrechnung konterte. «Das Weiterkommen war verdient und das genießen wir jetzt», sagte er. «Und dann werden wir versuchen, uns zu verbessern.»
Spalletti hatte nach dem umstrittenen Abgang von Europameister-Trainer Roberto Mancini nur zehn Monate Zeit, um dem Team seine Ideen zu vermitteln. Dies könnte sich nun negativ auswirken. Gegen Kroatien änderte der 65-Jährige sein System, jedoch lief nicht alles reibungslos.
Im Duell mit den Eidgenossen dürfte Spalletti seine Elf daher erneut umbauen, vor allem in der Offensive. «Vielleicht bremst uns manchmal die Last der Erwartungen. Wir haben nicht diese Erfahrung», sagte der 65-Jährige.
Die einfachere Turnierhälfte?
Beide Teams haben bereits festgestellt, dass die Gelegenheit für einen Durchmarsch bis nach Berlin günstig sein könnte. Deutschland, Spanien, Frankreich und Portugal, die Favoriten, spielen alle in der anderen Turnierhälfte weiter.
«Absolut ist unsere Turnierhälfte einfacher als die andere. Aber jedes Spiel ist schwierig», sagte Italiens Alessandro Buongiorno. Aebischer warnte: «Es bringt nichts zu schauen, wer im Viertelfinale oder Halbfinale kommen könnte. Erst müssen wir das Spiel am Samstag gewinnen.»