Die Ruhe vor dem Sturm: Woltemade und Co. wollen Europameisterschaftstitel erringen und sich für die WM empfehlen.
Deutsche U21 vor EM-Finale gegen England ohne Wechsel-Wirbel
Nick Woltemade schlenderte entspannt zum Mannschaftsbus, gab vor dem EM-Finale Autogramme und posierte für Fotos mit Kindern. Trotz des Wirbels um seinen möglichen Wechsel zum FC Bayern zeigte der deutsche U21-Star keinerlei Unruhe. Für den 23-Jährigen und die vielversprechende deutsche Fußball-Generation zählt vor dem Endspiel gegen England nur eines: der Europameisterschaftstitel.
«Es wird fantastisch, das wird unser letztes Spiel», sagte Woltemade über den in 20 Spielen ungeschlagenen Jahrgang. «Wir werden alles tun, um es zu gewinnen.» Am Samstag (21.00 Uhr/Sat.1) liegt die letzte Niederlage der U21 auf den Tag genau zwei Jahre zurück: Am 28. Juni 2023 setzte es beim EM-Vorrunden-Aus ein 0:2 – ausgerechnet gegen England.
Wie Neuer, Gnabry und Wirtz?
Vor den Augen von Bundestrainer Julian Nagelsmann will die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes den letzten triumphalen Schritt gehen – und es den Generationen um Manuel Neuer (2009), Serge Gnabry (2017) und Florian Wirtz (2021) gleichtun. Zudem können sich die U21-Nationalspieler auch für eine WM-Chance im kommenden Jahr im Nagelsmann-Ensemble in Position bringen. «Den einen oder anderen hat er auf dem Zettel», verriet DFB-Sportdirektor Rudi Völler.
Bayern-Wirbel um Woltemade
Woltemade wurde bereits in der Nations League zum A-Nationalspieler ernannt. Sein schneller Aufstieg in der Saison und eine beeindruckende EM mit sechs Toren und drei Auszeichnungen als Spieler des Spiels lassen seinen Marktwert weiter steigen, das Interesse am Pokalsieger ist enorm.
Die Medien spekulieren über einen möglichen Wechsel nach München in diesem Sommer und einen lukrativen Fünfjahresvertrag. Die Bayern äußern sich positiv über den Sturm-Riesen. Die Stuttgarter verweisen auf den Vertrag bis 2028 und ihre Pläne. Der Poker um eine Ablösesumme im mittleren bis hohen zweistelligen Millionen-Bereich scheint zu starten.
Völler: «Viele, viele Jahre später» Revanche-Chance
U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo, der auf der Reise in die slowakische Hauptstadt im konzentrierten Gespräch mit Woltemade zu beobachten war, interessiert das alles nicht. Es geht für ihn und sein Team ausschließlich um den finalen und krönenden Schritt zum Titel. «Wir freuen uns natürlich über Tore von Nick auch im Finale, aber wer die Tore erzielt, ist dann auch egal», sagte Di Salvo. Als Assistenzcoach von Stefan Kuntz jubelte der 46-Jährige zweimal als Europameister, wurde einmal Vize. Jetzt soll sein größter Erfolg als Chef her.
Natürlich sei ein Sieg immer schön. Es ändere sich aber nichts an der Qualität, «egal, wie das Spiel ausgeht», sagte Völler. Der frühere Weltklasse-Stürmer, der bislang als einziger Deutscher zum besten Spieler eines U21-Turniers gekürt worden war, erinnerte an die Endspiel-Niederlage von der Auswahl mit ihm, Pierre Littbarski oder Lothar Matthäus im Jahr 1982. «Viele, viele Jahre später haben wir jetzt die Chance, gegen den Engländer zu gewinnen.»
Weltmeister als «Riesenansporn»
Völler & Co. wurden acht Jahre später nach ihrem Erfolg als U21-Vize Weltmeister. Die Europameister von 2009, darunter die späteren Weltmeister Neuer, Jérôme Boateng und Mesut Özil, galten als Symbol einer goldenen Generation. Die Sieger von 2017 hinterließen keine bleibende Geschichte im Nationalteam. Einer der EM-Sieger von 2021, DFB-Star Wirtz, wechselte kürzlich für eine unglaubliche Summe von bis zu 150 Millionen Euro zum FC Liverpool.
«Wenn man sieht, wer damals eigentlich den Titel gewonnen hat, ob es jetzt zum Beispiel Neuer war oder Hummels oder wie sie alle heißen, dann denkt man natürlich schon so: Wow, okay, wenn die es geschafft haben, und wir das schaffen, dann kann man es natürlich auch vielleicht auf die ganz, ganz große Bühne schaffen», sagte der Kölner U21-Kapitän Eric Martel. «Das ist natürlich ein Riesenansporn für uns.»
«Push» durch Nagelsmann-Besuch
Noch größer aber ist aktuell die Gier nach dem Titel in Bratislava. Erst recht, wenn Nagelsmann im «National Football Stadium» zuschaut. «Das gibt jedem nochmal einen Push», sagte Halbfinal-Torschütze Brajan Gruda vom Premier-League-Club Brighton & Hove Albion. «Das Finale ist ein Top-Spiel und da werden wir sowieso alle voll gepusht sein bis zum Maximum.»
Gruda und der Mönchengladbacher Marathon-Mann Rocco Reitz durften vor der Heim-EM 2024 schonmal oben reinschnuppern. Wenn der Bundestrainer da sei, würden vielleicht «noch mal ein, zwei, drei Prozent mehr gegeben», sagte Reitz vor dem «größten Spiel».
Spannende Personalien – auch fürs A-Team?
Die U21 hat Spieler in Positionen, die im A-Team in den letzten Jahren immer wieder benötigt wurden. Die Frankfurter Außenverteidiger Nathaniel Brown und Nnamdi Collins machen auf sich aufmerksam. Ebenso wie die Stürmer Nelson Weiper (Mainz) und Nicolo Tresoldi (bald Brügge), die im Schatten von Woltemade gut spielen. Der Freiburger Noah Atubolu wird beim Generationswechsel im DFB-Tor eine Rolle spielen.
In der Gruppenphase gewann die auf elf Positionen veränderte U21 mit 2:1 gegen England. Die Folgerungen aus dem Spiel: Keine. Einzig die Gewissheit, dass eine andere Mannschaft auflaufen wird – wieder natürlich mit dem da geschonten Woltemade. «Ich glaube, der Trainer sollte schon wissen, dass er mich lieber aufstellt», scherzte der Turnier-Star bei Sat.1.