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Tödliche Flut: Spanien sucht nach Vermissten und Schuldigen

Ein «Jahrhundert-Unwetter» reißt in Spanien mindestens 95 Menschen in den Tod. Mehr Opfer sind zu befürchten, um Vermisste wird gebangt – und trotzdem setzt auch schon die Suche nach Schuldigen ein.

Viele Menschen wollen ihre Fahrzeuge nicht verlassen.
Foto: Jorge Gil/EUROPA PRESS/dpa

Nach der Unwetterkatastrophe mit mindestens 95 Toten wird in Spanien die Suche nach Leichen, Vermissten und von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen in der Nacht fortgesetzt. «Wegen der Dunkelheit müssen allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden», sagte der Leiter der Notfallabteilung des spanischen Roten Kreuzes, Iñigo Vila, am Abend dem staatlichen Fernsehsender RTVE.

Laut spanischen Medienberichten sind unter den Toten mindestens vier Kinder und sechs ältere Menschen in einem Pflegeheim. Es wird befürchtet, dass die Zahl der Opfer weiter steigen wird. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten war nicht bekannt. Auch Tausende von Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharrten, benötigten Hilfe.

Dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag

Die Situation ist besonders schlimm in der bei Touristen sehr beliebten Region Valencia, wo 92 der insgesamt 95 bisher bestätigten Todesopfer gefunden wurden. Auch andere Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha sind schwer betroffen. Die Zentralregierung in Madrid hat eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag ausgerufen. Sie hat den Betroffenen auch schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zugesichert.

In der Nacht blieben viele Autobahnen und Landstraßen unpassierbar. Auch der Zugverkehr war stark beeinträchtigt. Etwa 115.000 Haushalte waren ohne Strom, und es gab weiterhin Probleme mit den Handyverbindungen.

Rund 1.200 Menschen saßen am Abend seit über 24 Stunden in Fahrzeugen fest

Am Abend schätzte ein Sprecher der Polizeieinheit Guardia Civil, dass noch 1.200 Menschen in Autos, Bussen oder Lastwagen auf den Autobahnen A3 und A7 gefangen seien. Es gab jedoch auch viele, die ihre Fahrzeuge nicht verlassen wollten. In Valencia steckten demnach 5.000 Fahrzeuge fest, teilweise von Fahrern und Passagieren verlassen.

Auch in Zügen, Häusern, Büros, Schulen und Einkaufszentren sind seit Dienstagabend viele Tausende Menschen eingeschlossen. Andere suchten auf Dächern von Autos oder Häusern Schutz. Sie wurden am Mittwoch von Tausenden Einsatzkräften des Militärs, des Zivildienstes, der Feuerwehr und der Polizei zum Teil unter Einsatz von Hubschraubern und Booten in Sicherheit gebracht.

Was hat die Tragödie ausgelöst? Bei extrem starkem Niederschlag – mancherorts fiel innerhalb von einem Tag so viel Regen wie sonst in einem Jahr – waren am Dienstag immer mehr Flüsse über die Ufer getreten. Der Wetterdienst Aemet sprach von einem «historischen Unwetter», dem schlimmsten solcher Art in diesem Jahrhundert in der Region Valencia.

Unzählige Straßen wurden plötzlich zu reißenden Strömen. Gebäude und Felder standen unter Wasser. Straßen, Häuser und kleine Brücken stürzten ein. Bäume, Container, Autos, Lastwagen und Menschen wurden vom Wasser fortgespült wie Spielzeug. Fahrzeuge wurden zusammengedrückt und zu Schrottbergen aufgetürmt.

Überlebende berichteten von erschütternden Erlebnissen. Ein 57-jähriger Mann erzählte der Zeitung «El País», er habe in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia auf einem Bauwagen Zuflucht gesucht und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. «Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden.»

Kamen die Warnungen zu spät?

Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der «Dana» oder des «kalten Tropfens» gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben, im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.

Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche «brutalen Folgen» nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.

Am Donnerstag wird das Wetter voraussichtlich besser. Unwetterwarnungen sind nach wie vor gültig für Teile von Andalusien und Extremadura im Westen sowie für Teile von Katalonien im Nordosten des Landes. Die vorhergesagten Niederschlagsmengen bleiben begrenzt. Dennoch ist die Katastrophe noch lange nicht vorbei, wie die Behörden immer wieder betonen.

dpa