Kokainschwemme, Crack und immer gefährlichere Drogen aus dem Labor: Vorbei sind die Jahre mit relativ niedrigen Drogentotenzahlen. Viele der Opfer sind jung.
«Eine Katastrophe»: 2.137 Drogentote im vergangenen Jahr
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 2.137 Menschen aufgrund ihres Drogenkonsums gestorben. Laut dem neuen Bundesdrogenbeauftragten Hendrik Streeck in Berlin sind es 90 Fälle weniger als im Vorjahr. Besorgniserregend ist jedoch der weit verbreitete Mischkonsum. Auch die ständig neuen Substanzen und Beimengungen aus dem Chemielabor erhöhen die Risiken. Streeck sieht dringenden Handlungsbedarf aufgrund des jugendlichen Alters vieler Konsumenten. Bei den Unter-30-Jährigen gab es einen Anstieg der Todesfälle um 14 Prozent.
Streeck sagte, dass gemischter Konsum noch nie so weit verbreitet war. Bei 1.707 Fällen waren mehrere Substanzen im Spiel, darunter 640 Mal Heroin, 604 Mal ein Opiat-Substitutionsmittel wie Methadon, 637 Mal Kokain oder Crack und 459 Mal Amphetamine. Bei anderen Toten wurde laut Bundeskriminalamtsstatistik nur eine Substanz festgestellt. Heroin steht dabei mit 72 Todesfällen an erster Stelle, gefolgt von Kokain/Crack und Opiat-Substituten mit jeweils 61 Todesfällen.
«Immer gefährlichere Drogen»
«Wir müssen schneller, systematischer und konsequenter reagieren auf neue, immer gefährlichere Drogen», sagte Streeck. Einen sprunghaften Anstieg gab es bei den Todesfällen in Zusammenhang mit synthetischen Opioiden. Den Anstieg dieser künstlich hergestellten Rauschstoffe führte der Mediziner auch auf das Opiumverbot der in Afghanistan herrschenden Taliban zurück. Schlafmohnfelder wurden in großem Stil zerstört. Opioide aus dem Labor seien demnach zunehmend an die Stelle getreten.
Synthetische Opioide wie Nitazene kämen dabei auch häufig als Beimengung vor, sagte Streeck. «Man weiß gar nicht, wie viel da drin ist.» Ausgestattet mit einer Potenzwirkung bis zum 500-fachen könne «das einfach bei der ersten Einnahme tödlich sein».
Verdoppelung der Fälle
Seit Jahren gehen die Drogentotenzahlen tendenziell nach oben. «Wir haben eine Verdoppelung in den letzten 10, 12 Jahren. (…) Das ist eine Katastrophe», sagte Dirk Schäffer, drogenpolitischer Referent der Deutschen Aidshilfe. Ein zentraler Grund sei, «dass wir deutlich vermehrt riskante Substanzen haben in den letzten zehn Jahren».
Im Jahr 2023 gab es bundesweit 2.227 Drogentote – 237 mehr als im Jahr 2022 und doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Dies war die bisher höchste registrierte Zahl. Aufgrund von Lücken bei toxikologischen Gutachten und Obduktionen wird die Dunkelziffer von Experten als hoch eingeschätzt.
Schäffer beschrieb die sichtbaren Folgen des zunehmenden Crack-Konsums. Crack führe zur rasanten Verelendung von Menschen. «Das hatten wir vor zehn Jahren so nicht», sagte der Drogenexperte der Aidshilfe. Crack-Konsumenten würden oft obdachlos und konsumierten im öffentlichen Raum. Crack ist Kokain, das nach Verbacken intensiver, aber auch kürzer wirkt.
«Eine pandemische Dynamik»
«Wir erleben eine quasi pandemische Dynamik», sagte Streeck. «Einzelne Ausbrüche, neue Substanzen, schnelle Verbreitung, lückenhafte Datenlage – und ein System, das zu träge ist, um rechtzeitig zu reagieren.» Streeck warnte: «Wenn wir nicht aufpassen, verschärft sich diese Entwicklung in wenigen Jahren zu einer Krise mit massiven gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen».
Auch im Ausland hatten Experten Alarm geschlagen. Im vergangenen Jahr haben in der EU etwa 2,7 Millionen junge Erwachsene Kokain konsumiert. Die Sicherheitsbehörden hatten dem seit einigen Jahren beobachteten Kokainüberschwang aus Südamerika auch in Deutschland den Kampf angesagt.
«Direkt ins Jugendzimmer»
Streeck geht auch davon aus, dass die Risikobereitschaft Jugendlicher steige. Sie müssten nicht Dealer auf der Straße aufsuchen, sondern bestellten Substanzen im Internet, im Darknet oder über Telegram «direkt ins Jugendzimmer». «Ohne dass hier im Umfeld jemand das mitbekommt, so dass wir in dieser Konstellation natürlich sehr viel eher auf Unvorhergesehenes achten, schneller reagieren müssen, also insgesamt reaktionsfreudiger werden müssen.»
Streeck will mehr Erkenntnisse
Zentrale Forderung des Mediziners und Politikers: ein systematisches, flächendeckendes Monitoring- und Warnsystem, das schnell erkennt, welche Substanzen auf dem Markt zirkulieren und wie Ärzte und Sozialdienste am besten helfen können. «Wir dürfen nicht den Fehler machen wie in der Pandemie: zu spät Daten erheben, zu spät reagieren, zu lange auf Sicht fahren», sagte Streeck, der als Virologe während der Corona-Lockdowns gefragter Experte war. Nur in der Minderheit von 865 Todesfällen wurde 2024 ein toxikologisches Gutachten angefertigt.
Streeck, der auch für die CDU im Bundestag sitzt, äußerte sich positiv über Drogenkonsumräume, wie sie von Experten gefordert werden, weil diese Leben retten könnten. Er betrachtet sie komplett unideologisch.