Arbeiten die Ampel-Parteien noch mit- oder doch gegeneinander? Diese Frage stellt sich nun auch in der Wirtschaftspolitik. Selbst mit Gipfelgesprächen macht man sich in der kommenden Woche Konkurrenz.
Ampel streitet über richtige Wirtschaftspolitik
Deutschlands Wirtschaft steckt in der Krise – und der Weg daraus wird zunehmend zu einem Streitthema der Ampel-Koalition. Gerungen wird vor allem um die richtigen Maßnahmen, die die lahmende Wirtschaft wieder ankurbeln könnten. Einen Einblick in die angespannte koalitionsinterne Atmosphäre geben aber auch zwei Veranstaltungen am kommenden Dienstag. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem Industriegipfel geladen hatte, organisierte die FDP ein «wirtschaftspolitisches Spitzengespräch» mit wichtigen Verbandsvertretern.
Kanzler ruft zur Gemeinsamkeit auf
Scholz rief alle Beteiligten dazu auf, an einem Strang zu ziehen. «Es muss um ein großes Miteinander gehen», sagte er während seines Indien-Besuchs auf die Frage einer Journalistin nach den unterschiedlichen Initiativen in seiner Regierung für Wirtschaftshilfen. «Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen. Wir müssen wegkommen davon, dass irgendetwas präsentiert und vorgeschlagen wird, was dann gar nicht von allen akzeptiert und angenommen wird.»
Nicht abgestimmte Konzepte
Bundesfinanzminister Christian Lindner kritisierte im ZDF, dass die jüngsten wirtschaftspolitischen Vorstöße von Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht abgestimmt waren. Der FDP-Chef forderte eine schnelle Richtungsentscheidung. Da werde sich zeigen, «ob wir als Koalition zusammenkommen», sagte er in der ARD. In diesem Herbst müsse Klarheit geschaffen werden, «in welche Richtung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht dieses Land». Sonst nehme die wirtschaftliche Entwicklung weiter Schaden.
«Nein, die Vorschläge von Herrn Scholz waren nicht abgestimmt und die von Herrn Habeck auch nicht», sagte Lindner im ZDF-«Heute Journal». «Wir reden miteinander, aber diese Vorschläge kenne ich nicht. Und das ist für sich genommen ein Problem.»
Lindner hat nicht erwähnt: Das FDP-Präsidium erstellt kontinuierlich Papiere zur Wirtschaftspolitik und anderen Themen, ohne diese vorher mit den Koalitionspartnern zu diskutieren.
Lindner kontra Habeck
Habeck schlug zuvor vor, die Wirtschaft durch einen staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds anzukurbeln, der durch Schulden finanziert wird. Seiner Meinung nach sollten Unternehmen über einen Deutschlandfonds zehn Prozent aller Investitionen vom Staat zurückerstattet bekommen.
Finanzminister Lindner lehnte dies ab. «Im Einzelnen würde das Konzept nach einer ersten überschlägigen Rechnung pro Jahr 48 Milliarden Euro kosten inklusive aller Mitnahmeeffekte», sagte er am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Washington. Der deutsche Schuldenstand würde dann jedes Jahr um einen Prozentpunkt steigen – damit widerspreche das Konzept den europäischen Fiskalregeln. «Deshalb raten wir dazu, dieses Vorhaben nicht weiterzuverfolgen.»
Lindner stellte auch die Frage, ob es sinnvoll sei, dass Deutschland einerseits die höchsten Steuern der Welt von seinen Unternehmen verlange und dann die mangelnde Standortqualität mit einer pauschalen Investitionsförderung ausgleiche.
Zwei Konferenzen – ein Thema
Kanzler Scholz hatte vergangene Woche im Bundestag eine industriepolitische Offensive angekündigt. Er will sich mit Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden zu einem Industriegipfel im Kanzleramt treffen. Es sollten Maßnahmen ausgelotet werden, «damit wir gemeinsam nach vorne marschieren», sagte Scholz in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». Das Treffen ist für den Dienstagnachmittag angesetzt. Wirtschaftsminister Habeck ist zu dem Gipfel nicht eingeladen, sieht das aber gelassen. «Ich brauche jetzt keinen Gipfel. Ich bin permanent am Bergsteigen», sagte er in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Er sei mit den Wirtschaftsverbänden täglich im Gespräch.
Am Morgen werden der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr und Parteichef Lindner mit Spitzenvertretern von Wirtschaftsverbänden über dasselbe Thema beraten. Erwartet werden die Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und des Bundesverbandes der Freien Berufe, Rainer Dulger, Jörg Dittrich und Stephan Hofmeister. Auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben, sowie das Präsidiumsmitglied des Verbandes der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, werden teilnehmen.
Die Veranstaltung der FDP sei «eher komplementär» zum Kanzler-Termin, sagte Lindner in Washington. «Denn die deutsche Wirtschaft ist nicht nur Industrie, sie ist auch Mittelstand, Handwerk, freie Berufe.»
Koalitionstreu unter einer Bedingung
In den vergangenen Monaten war wegen der vielen Streitereien in der Ampel immer wieder über ein vorzeitiges Ende der Koalition spekuliert worden. Der Finanzminister trat im ZDF dem Eindruck entgegen, schon nach Opposition zu klingen. «Wenn sich alle an den Koalitionsvertrag halten wollen und an seinen Geist, dann habe ich jedenfalls keine Vorsätze, eine Regierungskoalition zu beenden.»
Klar sei aber: «Wenn das, was das Land braucht, dringlicher wird, und das, was politisch erreichbar ist, kleiner ist, müssen alle sich die Karten legen.» In den ARD-«Tagesthemen» sagte der Finanzminister, man werde nach seiner Rückkehr miteinander sprechen müssen. «Sind unsere Gemeinsamkeiten so groß, dass wir die Probleme des Landes lösen können? Ich hoffe darauf.»
Scholz zu Ampel-Partnern: Nicht in die Büsche schlagen
Scholz räumte Schwierigkeiten in der Ampel ein, forderte die Partner aber zur Weiterarbeit bis zum Ende der Wahlperiode auf. Wer von den Bürgerinnen und Bürgern ein Mandat zum Regieren bekommen habe, müsse seine Aufgaben erfüllen, sagte er in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». Das sei eine Pflicht. «Und da sollte sich keiner einfach in die Büsche schlagen. Mein Stil ist das jedenfalls nicht.»
Vize-Kanzler Habeck sagte in Neu-Delhi auf die Frage, ob die Ampel-Partner angesichts der vielstimmigen wirtschaftspolitischen Vorschläge noch gut zusammenarbeiten: «Absolut. Das tun wir.»