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Indigene als Klimawandel-Experten

Urvölker sind Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel und bewältigen vielfältige Herausforderungen weltweit.

Die Insel Gardí Sugdub («Krabbeninsel») droht wegen des Klimawandels im Meer zu versinken.
Foto: Matias Delacroix/AP

Ureinwohner weltweit sind gewissermaßen das Frühwarnsystem für den Klimawandel: Da indigene Völker in Afrika, Asien, im Südpazifik und Lateinamerika oft eng mit der Natur verbunden leben, erleben sie die Auswirkungen der globalen Erwärmung als Erstes.

Nach Meinung von Experten sind sie aufgrund ihres speziellen Wissens über die Ökosysteme, in denen sie leben, auch entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel.

 Hüter großer Waldgebiete und Ökosysteme

Laut einer Studie der Welternährungsorganisation (FAO) wird in Gebieten, in denen indigene Gemeinschaften über verbriefte Rechte auf ihr Land verfügen, deutlich weniger abgeholzt als in anderen Gebieten.

«Indigene Völker sind wichtige Akteure, denn obwohl sie nur fünf Prozent der weltweiten Bevölkerung ausmachen, verwalten sie rund 80 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt und sind die Hüter großer Waldgebiete und Ökosysteme, die für das Wohlergehen des Planeten entscheidend sind», sagt Germán Freire von der Weltbank.

Schwierige Dürren und steigende Meeresspiegel, Abholzung und Zerstörung ihres Lebensraums, Umweltverschmutzung und Wetterextreme – die Herausforderungen für indigene Gruppen sind vielfältig. Hier einige Beispiele, welchen Gefahren die Urvölker ausgesetzt sind, und wie sie damit umgehen:

Zu viel Wasser: Neue Heimat wegen steigender Meeresspiegel

Aufgrund der drohenden Überflutung infolge des steigenden Meeresspiegels wurden die Bewohner einer kleinen Insel in Panama im vergangenen Jahr auf das Festland umgesiedelt. Rund 1.350 Menschen der indigenen Volksgruppe der Guna zogen in die neu gebaute Siedlung Nuevo Cartí an Panamas Nordküste. Der Exodus der Guna gilt als einer der ersten durch den Klimawandel erzwungenen Umsiedlungen in Lateinamerika.

Die Insel Gardí Sugdub («Krabbeninsel») liegt rund zwei Kilometer von der Atlantikküste Panamas entfernt. Experten gehen davon aus, dass sie bis 2050 wegen des Klimawandels komplett versinken dürfte.

Auch im Südpazifik werden die Bewohner von Inselgruppen wie Tuvalu, Kiribati oder Fidschi bald eine neue Heimat suchen müssen. Insbesondere Tuvalu, das nordöstlich von Australien liegt, wird in den kommenden Jahrzehnten weitgehend überflutet werden. Im vergangenen Jahr kündigte Australien an, betroffene Menschen aus dem Südseestaat aufzunehmen und ihnen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu gewähren.

Klimawandel bedroht traditionelle Nahrungsquellen der Indigenen

Die Gemeinschaft von Walande auf den Salomonen südöstlich von Neuguinea musste bereits vor Jahren umziehen. Bis dahin lebten die 800 Indigenen auf einer kleinen Insel vor der Küste. Nach verheerenden Springfluten im Jahr 2009 siedelten alle Bewohner auf das Festland über. Aber auch dort ist das Volk nicht sicher, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zuletzt warnte. «Am neuen Standort bricht Meerwasser durch die schützenden Deiche», hieß es in einem Bericht.

Auch die traditionellen Nahrungsquellen sind bedroht: Gärten und Felder werden einfach weggespült, und es gibt immer weniger Fische. «Walandes Geschichte ist eine Warnung, dass Gemeinden die Klimakrise nicht allein bewältigen können», sagte Erica Bower, Expertin für Klimavertreibung bei HRW. Die Regierung stehe in der Pflicht, den Betroffenen zu helfen.

Zu wenig Wasser: Hirtenvölker in Afrika fliehen vor Dürre

In Ostafrika mangelt es dagegen an Wasser: Hirtenvölker wie die Massai, Turkana, Samburu und Borana müssen aufgrund anhaltender Dürren und unregelmäßiger Regenfälle ihre traditionellen Weidegebiete verlassen. Laut Weltbankangaben führten klimatische Bedingungen in der Region 2021 und 2022 zum Tod von mehr als zehn Millionen Nutztieren.

Gemäß der Beobachtungsstelle für Binnenvertreibung (IDMC) wurden im Jahr 2022 allein in Somalia, Kenia und Äthiopien etwa 2,1 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen. Darüber hinaus sind viele Hirtenfamilien gezwungen, ihren nomadischen Lebensstil aufzugeben und in Städte zu ziehen.

Um die Klimaflucht der Hirtenvölker einzudämmen, haben verschiedene Initiativen am Horn von Afrika das Ziel, degradierte Böden durch nachhaltige Weidetechniken und Aufforstung wiederherzustellen. Um Dürreperioden zu überbrücken, werden Wasserquellen durch den Bau von Regenwasserauffangsystemen und Dämmen geschützt. Es gibt auch Projekte zur Diversifizierung von Einkommensquellen für Hirten, beispielsweise durch den Anbau dürreresistenter Nutzpflanzen oder die Verarbeitung von Milchprodukten.

Traditionelle Lebensformen in Gefahr

Laut dem Weltbiodiversitätsrat der Vereinten Nationen (IPBES) werden steigende Temperaturen und Dürren in der Kalahari-Wüste in Südafrika, Namibia und Botsuana die Tier- und Pflanzenarten gefährden, von denen die indigene Volksgruppe der San, die hauptsächlich aus Jägern und Sammlern besteht, traditionell abhängig ist.

Laut dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) hat der Biodiversitätsverlust auch Auswirkungen auf die spirituellen und Heilpraktiken der San. Zum Beispiel ist die dornige Hoodia-Pflanze, die seit Jahrhunderten von den San für medizinische Zwecke verwendet wird, durch den Klimawandel und eine übermäßige Ernte durch die Pharmaindustrie stark gefährdet.

Lösungsansätze: Nachhaltige Landwirtschaft und Wiederaufforstung

Namibias Regierung hat der Volksgruppe kommunale Naturschutzgebiete zugewiesen, wie beispielsweise die Nyae Nyae Conservancy im Nordosten des Landes. Hier sollen die kulturellen und wirtschaftlichen Praktiken der San durch Wiederaufforstung, nachhaltige Jagd und Landwirtschaft sowie ökologische Bildungsmaßnahmen geschützt werden.

Landrechte für Indigene als Schlüssel im Kampf gegen Klimawandel

Die Dayak Tomun, eine indigene Gruppe aus Kinipan auf Borneo, setzen sich seit langem gegen die Ausbreitung von Palmölplantagen ein und kämpfen für den Erhalt ihres Regenwaldes, in dem sie leben. In Kalimantan, Indonesien, sind einige der letzten Orang-Utans und andere gefährdete Tierarten beheimatet.

Regenwälder sind für das weltweite Klima von entscheidender Bedeutung: Sie absorbieren Treibhausgase aus der Luft und fungieren als große Kohlenstoffspeicher. Doch gerade auf Borneo werden aufgrund des globalen Palmöl-Booms riesige Waldflächen abgeholzt.

Schon seit Jahren versuchen die Dayak Tomun, sich die Rechte an dem Waldgebiet zu sichern. Dafür wurden schon mehrmals alle erforderlichen Dokumente und Gutachten eingereicht – bisher erfolglos. «In der Realität werden indigene Gemeinschaften nur nach großen Anstrengungen und äußerst selten anerkannt, obwohl sie hier lebten, lange bevor es den Staat Indonesien gab», schrieb die Organisation «Rettet den Regenwald». Firmen kämen hingegen leicht an Konzessionen für Holz, Plantagen und Bergbau, ohne dass die Indigenen überhaupt gefragt würden.

dpa