Bevölkerungsschützer fordern mehr Widerstandsfähigkeit und Sensibilisierung für Gefahren, um Menschenleben zu retten.
Deutschland muss Notfallvorsorge verbessern
Hochwasserlagen, die Corona-Pandemie und andere Katastrophen der vergangenen Jahre haben aus Sicht von Bevölkerungsschützern gezeigt, wo Deutschland bei der Notfallvorsorge noch Nachholbedarf hat. «Wir müssen in allen Bereichen widerstandsfähiger werden», sagt der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, der Deutschen Presse-Agentur.
Dazu gehöre auch, die Bevölkerung stärker für Gefahren zu sensibilisieren und zu zeigen, wie jeder in Notfällen Freunden oder Nachbarn helfen und so Menschenleben retten könne. «Es ist wichtig, dass man 72 Stunden durchhalten kann», sagt Tiesler.
Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und hybride Bedrohungen habe sich die Sicherheitslage in Europa zudem grundlegend verändert, betont Deutschlands oberster Bevölkerungsschützer. Er sagt: «Wir müssen neben der militärischen Abschreckung und Verteidigung daher auch den Zivilschutz weiter stärken.»
Das Bundesamt verzeichnet mittlerweile ein gesteigertes Interesse an seinem Notfall-Ratgeber im Vergleich zu früheren Jahren. Durchschnittlich werden etwa 500.000 Exemplare pro Jahr in gedruckter Form verschickt und verteilt – zusätzlich zu zahlreichen Online-Abrufen laut BBK.
Eine der Fragen, die noch beantwortet werden müssen, ist, wo Menschen im Ernstfall schnell Schutz finden können. «Unsere Antwort ist das Schutzraumkonzept, das wir gerade gemeinsam mit allen Ländern, der Bundeswehr und dem Bundesinnenministerium erarbeiten», sagt Tiesler. Auf den Bau von Luftschutzbunkern setzt die Bundesregierung dabei nicht. Der BBK-Präsident sagt: «Private Keller und innen liegende Räume können schon mit wenigen Handgriffen einen guten Schutz bieten.»
Zu diesen Maßnahmen gehören laut Zivilschutz-Experten beispielsweise die Verstärkung von Kellerfenstern und Türen mit Sandsäcken oder einfachen Holzplatten. Dies dient dazu, den Schutz vor Druckwellen und herumfliegenden Trümmern zu erhöhen. Das Szenario, das hier angenommen wird, sind keine Angriffe auf Wohnhäuser, sondern auf die Infrastruktur, die für Truppenbewegungen genutzt wird.
Außerdem gehe es bei dem Konzept um Schutz im öffentlichen Raum, sagt Tiesler. «Wir sehen hier Tiefgaragen, Keller unter Kaufhäusern, die U-Bahn-Stationen zum Beispiel.»
Um zu wissen, wo der nächstgelegene Schutzraum sei, bräuchten die Menschen aber die entsprechende Information. Diese sollten sie nach den Vorstellungen des Behördenchefs idealerweise künftig zusammen mit der Warnung direkt auf dem Handy erhalten – «damit die Menschen sofort wissen, wo sie hinmüssen und wie sie dort hinkommen».
In den Bund-Länder-Runden wird auch darüber diskutiert, ob es notwendig ist, eine zusätzliche Beschilderung oder Markierung anzubringen, falls das Handynetz ausfällt. Ältere Menschen könnten sich dabei an den Zweiten Weltkrieg erinnern, als aufgemalte Pfeile auf die Eingänge von Schutzräumen hinwiesen. Einige dieser Markierungen sind heute noch an den Fassaden alter Häuser zu sehen.
Bei der Warnung der Bevölkerung, die einmal im Jahr bundesweit getestet wird, setzen Bund und Länder auf mehrere Kanäle. Die Warnung kommt über den Mobilfunkservice Cell Broadcast auf dem Handy an, wird über Warn-Apps wie Nina oder Katwarn versendet, über Medien und Anzeigetafeln verbreitet. Vielerorts schrillen zudem die Sirenen. Eine vollständige Übersicht darüber, wo Sirenen stehen und wo es noch Lücken gibt, liegt bislang nicht vor. Im Sirenen-Kataster des BBK sind bisher 38.927 Sirenen erfasst. «Einige Landkreise haben noch nichts gemeldet, zum Beispiel weil es dort bisher noch keine Sirenen gibt», sagt Tiesler.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde von vielen Zivil- und Katastrophenschützern die Bedeutung dieser Maßnahmen als nicht mehr so wichtig angesehen. Allerdings hat sich dies mittlerweile geändert. Unter der letzten Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde vom Bund ein Förderprogramm ins Leben gerufen. Derzeit kommt es laut BBK aufgrund von Lieferengpässen der Hersteller zu Verzögerungen beim Aufbau neuer Sirenen.
Bündnis fordert Unterbringung von über 1,6 Millionen Menschen
Laut Tiesler sind die Vorschriften der Nato so gestaltet, dass im Ernstfall zwei Prozent der Bevölkerung untergebracht werden können. In Deutschland entspricht dies etwa 1,6 Millionen Menschen. Die Regelungen zur Aufnahme und Unterbringung einer derart großen Anzahl von Personen seien grundsätzlich in den entsprechenden Gesetzen des Bundes und der Länder festgelegt.
Eine Arbeitsgruppe mit den Ländern unter Leitung des Bundesinnenministeriums sei aktuell dabei zu klären, «wo weiterer rechtlicher Regelungsbedarf im Rahmen der Zivilen Verteidigung besteht». Möglicherweise müssten maßgebliche gesetzliche Regelungen auch in Bezug auf Zivilschutz und Krisenvorsorge in der kommenden Wahlperiode angepasst beziehungsweise ergänzt werden.
Beschaffung von zehn Einheiten zur Versorgung geplant
Für eine deutlich geringere Zahl von Menschen, die im Notfall untergebracht werden müssen, gibt es das «Mobile Betreuungsmodul 5000» (MBM). Als Pilotprojekt hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) eine solche Einheit für die Versorgung von bis zu 5.000 unverletzten Menschen erhalten. Perspektivisch will das Bundesinnenministerium insgesamt zehn solcher Module beschaffen.
Laut Tiesler sind im Haushalt allerdings bisher lediglich eineinhalb dieser Module finanziell abgesichert. Leon Eckert, Katastrophenschutz-Experte der Grünen, sagt: «Die Länder müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, um für ausreichende Betreuungsplätze zu sorgen.» Projekte wie MBM könnten hier nicht die alleinige Lösung sein.