Vor vier Wochen in Lebensgefahr, jetzt als Bürgermeisterin von Herdecke im Ruhrgebiet am Start. Die öffentliche Vereidigung ist geschafft. Welchen Eindruck macht Iris Stalzer?
Bürgermeisterin nach Messerattacke: Kompass nicht verlieren

Mit einer festen Stimme, selbstbewusstem Auftreten und selbstkritischen Worten tritt die Kommunalpolitikerin Iris Stalzer offiziell ihr Amt als Bürgermeisterin der Ruhrgebietsstadt Herdecke an, nur vier Wochen nach dem lebensbedrohlichen Messerangriff auf sie. Sie geht direkt auf die Gewalttat ein, die mutmaßlich von ihrer Adoptivtochter begangen wurde.
«Der 7. Oktober, heute vor genau vier Wochen, war für mich ein Tag des Scheiterns und ein Tag der Verletzbarkeit», räumt Stalzer bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der schweren Attacke in ihrem eigenen Haus ein. Dass sich an diesem Dienstag viele Blicke auch bundesweit auf sie richten, dürfte der Juristin dabei bewusst sein. Das gehöre nun genauso zu ihr «wie meine Stärke und meine Verlässlichkeit», betont die 57-Jährige in ihrer Antrittsrede.
Applaus und Blumen zum Empfang für die neue Chefin
Nachdem die Neue an der Spitze ihren Amtseid abgelegt hat, wird sie von den knapp 40 Ratsmitgliedern der Kleinstadt mit Applaus begrüßt und erhält ein Blumensträußchen. Anschließend wird direkt mit der Tagesordnung in der ersten, konstituierenden Sitzung des neu gewählten Stadtrats fortgefahren.
Äußerlich zeigt Stalzer keine äußeren Anzeichen, sie wirkt konzentriert, etwas angespannt und lächelt ab und zu. Es sind keine Verbände oder Verletzungen sichtbar. Doch die Bilder mit dem Rettungshubschrauber vom 7. Oktober sind noch präsent, ebenso wie Berichte über ein vermutlich stundenlanges Martyrium und schreckliche Verletzungen am Kopf und Körper. Stalzers Adoptivtochter steht unter dringendem Tatverdacht.
Gegen die 17-Jährige wurde ein Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob auch der 15 Jahre alte Adoptivsohn an der Gewalttat beteiligt war. Es gab bereits seit einiger Zeit familiäre Konflikte in der Familie, so die Polizei. Mutter und Kinder haben sich auch gegenseitig der häuslichen Gewalt beschuldigt.
Nicht alle finden den frühen Amtsantritt richtig
Stalzers pünktliches Erscheinen zur Arbeit im Rathaus nach der schockierenden Attacke hat viele überrascht. Nicht alle sind jedoch begeistert. Der FDP-Chef von Herdecke, Jürgen A. Weber, äußerte gegenüber der dpa, dass Stalzer ihr Amt bis zur juristischen Klärung der Vorfälle ruhen lassen solle.
«Für das Amt des Bürgermeisters erwarten die Bürger zu Recht eine integre Persönlichkeit mit einer Vorbildfunktion», mahnt die örtliche FDP. «Die Berichterstattung über die Vorfälle im privaten, häuslichen Umfeld haben bei den Bürgern der Stadt und auch der FDP Zweifel hervorgerufen, ob Iris Stalzer diese Integrität und Vorbildfunktion besitzt», heißt es in der Mitteilung.
Stalzer traut sich das Amt und seine Herausforderungen zu
Die Juristin stellt klar, sie sehe sich in der Lage, den Anforderungen des Amtes gerecht zu werden. Es gehe nicht darum, «immer alles im Griff zu haben» oder «allmächtig zu sein», sondern den «inneren Kompass und die Orientierung nicht zu verlieren, auch wenn die eigene kleine Welt aus den Fugen gerät.»
Bei ihrem offiziellen Start sind viele Kameras auf die Politikerin gerichtet. In dem fast wohnzimmerähnlichen Raum im Rathaus drängen sich Medienvertreter. Bürgerinnen und Bürger beobachten die Amtseinführung von der Zuschauerempore aus. Ihre Aufgabe sei es, die Geschicke der Stadt maßgeblich mitzugestalten und dafür werde sie ihre ganze Kraft einsetzen, beteuert Stalzer. Sie werde überparteilich agieren. «Das heißt aber nicht, dass ich meine eigene Meinung an der Rathaustüre abgeben werde.»
Die Amtszeit der 57-Jährigen begann formal bereits am vergangenen Samstag. Stalzer hatte die Bürgermeister-Stichwahl Ende September in der 23.000-Einwohner-Stadt im Südosten des Ruhrgebiets mit 52,2 Prozent der Stimmen gewonnen.
Erleichterung und Kritik am Amtsantritt
Bürger Holger Frohne beobachtet die Amtseinführung – aus politischem Interesse und weil er Stalzer schon seit der Grundschulzeit kennt, wie er sagt. «Ich freue mich, dass es ihr gesundheitlich gut geht. Nach den schweren Verletzungen bin ich positiv überrascht, dass sie so früh wieder auftaucht.» Dennoch sehe er ihren Amtsantritt mit gemischten Gefühlen.
Eine Seniorin fühlt sich getäuscht: «Ich habe sie gewählt, aber würde das nicht noch mal tun. Sie hätte ihre familiären Probleme vor der Wahl offenlegen müssen», meint die frühere Steuerberaterin. «Ich halte sie unter den bekanntgewordenen Umständen nicht für geeignet, als Bürgermeisterin ist sie schließlich auch Chefin des Jugendamts.»








