Die Auto-Bosse sind häufiger Regierungsgäste in Berlin. Jetzt wird auch Friedrich Merz zum Autokanzler und sucht das Gespräch mit der Industrie in schwieriger Lage. Kann die Politik helfen?
Darum dreht sich der «Autogipfel» beim Kanzler

Die Bundesregierung lädt zum «Autogipfel», um über mehr Anschub für die kriselnde deutsche Schlüsselbranche zu beraten. An dem Treffen bei Kanzler Friedrich Merz (CDU) nehmen heute Spitzenvertreter von Autoherstellern und Zulieferern, Verbänden und Gewerkschaft sowie aus Bundesländern mit größeren Produktionsstandorten teil. Die Koalition hat vorab signalisiert, dass es um eine dringende Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gehen soll. Kommen womöglich auch neue Anreize für Autokäufer in den Blick?
Die großen Ziele sind: zukunftsträchtige Technologien, sichere Arbeitsplätze und gleichzeitig die Einhaltung der Klimaziele. Es wird angestrebt, möglichst schnelle und konkrete Lösungen zu finden. Dies wurde bereits in früheren Auto-Runden im Kanzleramt diskutiert, jedoch befindet sich die stolze Leitbranche in einer schwierigen Lage.
Branche unter Druck
Die deutsche Autoindustrie, die stark exportorientiert ist und 770.000 Mitarbeiter sowie einen Jahresumsatz von 540 Milliarden Euro hat, befindet sich in einer schwierigen Phase. Die Branche sieht sich mit Absatzrückgängen, zunehmendem Wettbewerb aus China und Herausforderungen beim Übergang zur Elektromobilität konfrontiert. Hinzu kommen EU-Klimaschutzvorgaben zur Reduzierung von CO2-Emissionen und Zölle für den US-Markt. Viele Unternehmen verzeichnen Gewinneinbrüche, führen Sparmaßnahmen durch und streichen Stellen.
Längere Steuerbefreiung
Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) sagte, es müsse «ein starkes Paket» geschnürt werden, um die Autoindustrie in die Zukunft zu führen und Jobs zu sichern. Dabei wüssten alle, «dass die Zukunft elektrisch ist». Ein erstes Element lieferte der Finanzminister vorab: Die Befreiung reiner E-Autos von der Kfz-Steuer soll bis 2035 verlängert werden. Im Markt hatte es zuletzt Unsicherheit gegeben, ob eine Steuerbefreiung auch für Neuzulassungen ab 1. Januar 2026 greift.
Kommen Kaufanreize?
Der schwarz-rote Koalitionsvertrag enthält noch einige weitere Vorhaben, um den Wandel zur E-Mobilität stärker anzuschieben. Die Rede ist etwa von einem «Programm für Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen», um den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität zu unterstützen. In Frankreich gibt es ein Leasing-Programm. Offen ist, ob erneut Kaufprämien für Privatleute kommen könnten. Nach einem abrupten Stopp Ende 2023 war der Absatz eingebrochen. Prämien würden aber Milliarden kosten, Kritiker warnen vor einem «Strohfeuer».
Koalitionsstreit um Verbrenner-Aus
Im Fokus steht auch der Umgang mit dem 2022 beschlossenen Ende für die Zulassung neuer Verbrenner-Fahrzeuge auf dem EU-Markt ab 2035, für das nun Überprüfungen anstehen. Die Union will das Verbrenner-Aus kippen und mehr Technologieoffenheit ermöglichen, die SPD aber grundsätzlich daran festhalten. Ob die Regierung mit einer gemeinsamen Linie zum «Autogipfel» kommt? Aus der Sitzung des Koalitionsausschusses unmittelbar in der Nacht zuvor wurden dazu vorerst noch keine Anzeichen oder Beschlüsse bekannt.
Vorstoß zweier Autoländer
Die großen «Autoländer» Niedersachsen und Bayern meldeten sich vorab mit einem gemeinsamen Vorstoß für eine Lockerung des Verbrennerverbots. Im «Handelsblatt» schlugen die Ministerpräsidenten Olaf Lies (SPD) und Markus Söder (CSU) vor, Hybridfahrzeuge auch nach 2035 noch zuzulassen – also Wagen mit einer Kombination aus Verbrenner- und Elektromotor. Der Kauf von E-Autos sollte auch durch eine Stromsteuersenkung attraktiver werden.
E-Autos weit von Ziel entfernt
Seit Anfang des Jahres wurden mehr rein batterieelektrische Pkw neu zugelassen. Laut dem Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller beträgt ihr Marktanteil in den ersten neun Monaten insgesamt rund 18 Prozent. Dies reicht jedoch nicht aus, um die Ziele für den Ausstoß des klimaschädlichen CO2 zu erreichen. Das politische Ziel von 15 Millionen E-Autos in Deutschland bis 2030 scheint weit entfernt zu sein. Zu Jahresbeginn gab es laut dem Kraftfahrt-Bundesamt 1,65 Millionen reine E-Autos im Bestand – bei insgesamt 49,3 Millionen Pkw.
Experten sehen Standortnachteile
Der Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sagte: «Wir haben es in der deutschen Automobilindustrie mit einer Polykrise zu tun.» Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes sei durch ein hohes Kostenniveau gefährdet. Dazu kämen eine schwache Nachfrage in Europa und der schwierige Wandel zur E-Mobilität, der Arbeitsplätze koste. Deutsche Hersteller hätten technologisch aufgeholt – sie hinken laut Bratzel jedoch kostenmäßig im Vergleich zu chinesischen Konkurrenten hinterher.
«Position am Weltmarkt entscheidend»
Der Experte der Branche Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research in Bochum erklärte, dass in Deutschland jährlich weniger als drei Millionen Autos verkauft würden – weltweit seien es über 80 Millionen. Daher sei die Position auf dem Weltmarkt entscheidend für die Zukunft. Eine langfristige Innovationsstrategie sei notwendig. Die Politik solle aufhören, ständig Debatten über eine Abkehr vom Aus für neue Verbrenner zu führen. «Das verunsichert Industrie und Kunden.» Auch Bratzel warnte, dass eine Aufweichung des Verbrennerverbots die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie nicht verbessern würde.
Hausgemachte Probleme
Dudenhöffer sagte, viele Unternehmen hätten zu wenig in neue wesentliche Wertschöpfungsanteile des Fahrzeugs wie die Batterie investiert. Gleiches gelte bei Halbleitern. In China seien aus Start-ups Weltmarktführer geworden, so Dudenhöffer. Bratzel sagte: «Ein großes Versagen der Hersteller und der Politik ist, dass die Wertschöpfungskette der Elektromobilität nicht entwickelt wurde. Bei Batteriezellen werden wir noch Jahre abhängig sein von China.»