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Das Grauen von Tuam: Suche nach Babyleichen hat begonnen

Die jungen Mütter erlebten blanken Horror: Ihre Neugeborenen wurden entsorgt wie Müll. Jahre nach den ersten Funden auf dem Gelände eines abgerissenen Mutter-Kind-Heims wird in Irland wieder gegraben.

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In Irland hat die Suche nach fast 800 Baby- und Kinderleichen begonnen.
Foto: Andrew Downes/Odait via PA Media/dpa

Der kleine, etwas heruntergekommene Spielplatz könnte auch in jeder anderen Stadt stehen. Schaukeln, Fußballtore, nichts Besonderes. Doch unter Beton und Rasen verbergen sich hier, im westirischen Tuam, mutmaßlich Beweise für unsägliches Grauen, das einst insbesondere von ihren Familien verstoßene Mütter aushalten mussten. In dieser Woche haben die Arbeiten zur Suche von fast 800 Baby- und Kinderleichen begonnen.

Auf dem ehemaligen Gelände eines längst abgerissenen Mutter-Kind-Heims wurden zunächst Absperrungen errichtet und weitere Vorbereitungen getroffen. Die eigentlichen Ausgrabungen werden Monate in Anspruch nehmen – und Irland erneut an die dunkle Vergangenheit erinnern.

Neugeborene und Kleinkinder wurden in der von Nonnen betriebenen Einrichtung entsorgt wie Müll, so die Erkenntnisse der Untersuchungen. Außereheliche Beziehungen und die daraus resultierenden Babys wurden zu der Zeit verachtet. Die Frauen verloren praktisch ihre Existenzberechtigung, selbst wenn es sich um Vergewaltigungsopfer handelte.

Probegrabungen förderten Erschütterndes zutage

Entdeckt worden war das Massengrab bereits bei einer Probegrabung 2017. Gefunden wurden menschliche Überreste in «erheblichen Mengen», wie es damals hieß – Föten und Kleinkinder im Alter von bis zu drei Jahren. Bei der jetzigen Ausgrabung sollen möglichst viele durch DNA-Tests identifiziert und umgebettet werden.

Die Historikerin Catherine Corless hatte vor der Probegrabung herausgefunden, dass zwischen 1925 und 1961 Hunderte Kinder in der Einrichtung gestorben waren, aber nicht beerdigt wurden. Es wird vermutet, dass 796 Säuglinge und Kleinkinder regelrecht im und um das Abwassersystem entsorgt wurden.

«Ich bin sehr erleichtert», zitiert der Sender Sky News die Historikerin Corless. «Es war eine lange Reise.» Lange habe sie nicht gewusst, wie es weitergeht. Eine Genehmigung für eine systematische Ausgrabung war bereits 2018 erteilt worden. «Viele Unternehmen und Behördenvertreter wollten die Sache geheim halten und nur ein Denkmal aufstellen», sagte Corless der «Irish Times».

Das Leid von Tuam ist kein Einzelfall

In einem kleinen Abschnitt des Geländes wird bereits an die Toten erinnert. Der Rasen ist sattgrün, am Mauerwerk waren die großen Ziffern 7, 9 und 6 zu sehen. Neben dem kleinen Gittertor wurde eine kleine Gedenktafel mit zwei Engeln angebracht. Die Nonnen vom St. Mary’s Mother and Baby Home gehörten dem katholischen Orden The Sisters of Bon Secours an.

Tuam ist nicht der einzige Fall. Ein unabhängiger Bericht, der Anfang 2021 veröffentlicht wurde, deckte massive Missstände in den staatlich kontrollierten und von religiösen Organisationen geleiteten Mutter-Kind-Heimen des Landes auf. Zwischen 1922 und 1998 sollen in den untersuchten Einrichtungen etwa 9.000 Babys und Kinder gestorben sein. Die unverheirateten Frauen wurden ausgebeutet, teilweise wie Sklavinnen gehalten.

Micheál Martin, der damalige und heute erneut amtierende Regierungschef, hatte öffentlich um Verzeihung für das Leid gebeten. Auch irische Kirchenvertreter hatten Reue gezeigt. Die Aufarbeitung ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen.

dpa