Statistiken zeigen steigenden Geflügelkonsum, jedoch sinkenden Absatz von Gänsefleisch in Restaurants. Traditionelles Gänseessen zu Weihnachten bleibt vor allem bei älteren Generationen beliebt.
Gänsezeit in Deutschland: Tradition oder Trend?

Restauranttafeln, Speisekarten und Instagram-Profile von Lokalen in ganz Deutschland – von Sylt bis zum Allgäu, von Aachen bis Görlitz – verkünden es derzeit wieder: «Es ist Gänsezeit.» Auch in Supermärkten und Discountern liegt das fette Geflügel prominent aus. Denn: Zum Martinstag (11. November) hat man angeblich Gans zu essen, in der Adventszeit und an den Weihnachtsfeiertagen ohnehin. Doch wie populär ist der Gänsebraten wirklich?
Geflügel liegt im Trend
Statistiken zeigen, dass Geflügelfleisch in Deutschland immer beliebter wird. Der Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr stieg zuletzt auf etwa 14 Kilogramm im Durchschnitt (Schweinefleisch wird immer noch doppelt so viel konsumiert). Der Anstieg beim Geflügel ist hauptsächlich auf Hühnchen zurückzuführen.
Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft kann leider nicht bestätigen, ob es im großen Geflügeltrend auch einen Gänse-Hype, zumindest in Gaststätten, gibt.
Der Bundesverband Bäuerlicher Gänsehaltung lässt sogar mitteilen: «Eher hat sich der Absatz von Gänsefleisch in den vergangenen Jahren über die Gastronomie deutlich reduziert. Generell merken wir diesbezüglich weiterhin die Auswirkungen von Corona im Hinblick auf die Nutzung von Restaurants.»
In einem Lokal kann ein traditioneller Teller mit Brust und Keule, Klößen und Rotkohl leicht über 30 Euro kosten. Nicht jeder kann sich das leisten.
«Bei uns im traditionellen Gasthaus – das ist hier 300 Jahre alt – ist es in der Zeit von November bis Dezember immer noch angesagt, Gans zu essen», sagt Frank Müller vom «Gasthaus Müller» in Barsinghausen bei Hannover. «Das gilt im Haus wie auch außer Haus. Es werden zu Weihnachten viele Enten und Gänse für zu Hause abgeholt.»
Allerdings sehe er auch, dass die Zielgruppe meist etwas älter sei, so ab 40 Jahre, sagt Müller, der Mitglied im Verband der Köche Deutschlands und Laurentius-Preisträger ist. «Ein Großteil der Jüngeren ist heut doch eher mit weniger Fett und vegetarisch, vegan et cetera unterwegs.»
Tatsächlich: Wenn man im Freundeskreis nachfragt, stellt man schnell fest, dass viele Leute Gans, die im Vergleich zu anderem Geflügel dunkler, fettiger, langfaseriger und würziger ist, nicht so gerne mögen – oder zumindest anderes Fleisch bevorzugen.
Gans isst jede Person in Deutschland nur recht wenig
Gemäß dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat beträgt der Pro-Kopf-Verzehr von Gänsefleisch in Deutschland nur etwa 100 Gramm pro Jahr – und das bleibt über die Jahre hinweg ziemlich konstant.
Dieser Wert ist eine rein statistische Größe, entspricht er doch nicht mal einer normalen Portion. Es dürfte also so sein, dass das Prinzip «Gans oder gar nicht» gilt: Manche essen ein paarmal Gans im Jahr, viele kein einziges Mal.
Zum Vergleich: Hühnerfleisch (bei Jüngeren scheint es inzwischen geläufiger zu sein, «chicken» zu sagen) wurden zuletzt etwa 10 Kilogramm pro Person gegessen, Truthahn/Pute etwa 3 Kilogramm, Ente etwa 300 Gramm.
«Die Gans ist in Deutschland ein reines Saisonprodukt, das traditionell fast nur zu den Feiertagen Sankt Martin und Weihnachten im Kreise der Familie gegessen wird», heißt es vom Geflügelwirtschaft-Zentralverband.
Wer gehören zu diesen Familien? Es handelt sich wahrscheinlich um eine wohlhabende Gesellschaftsschicht, die sich – auch wenn nicht immer bewusst – an christlichen Traditionen orientiert.
Wie die Tradition der Martinsgans entstanden sein soll
Dies führt zu der Frage: Warum gibt es überhaupt die Tradition des Gänseessens am Jahresende? Dass viele Deutsche am 11. November Gans essen – die Martinsgans – hat seinen Ursprung in Bräuchen und einer Legende.
Martin von Tours (im 4. Jahrhundert lebend) ist in der katholischen Kirche einer der bekanntesten Heiligen. Er soll sich einst in einem Federviehstall versteckt haben, um seiner Wahl zum Bischof zu entgehen. Die Gänse dort schnatterten jedoch so laut, dass man ihn fand.
Es könnte auch daher kommen, dass der 11. November früher das Ende der Erntezeit markierte, dass man zum Martinstag Gans isst. Oft wurde dies mit einem Braten gefeiert, nachdem die Arbeit erledigt war, um sich zu verwöhnen – besonders da einige Christen danach eine Fastenzeit bis Weihnachten begannen.
Vielleicht ist es auch banaler. Früher im November wurde das Vieh geschlachtet, das man nicht über den Winter durchfüttern konnte. Daher wurde oft in dieser Zeit – vor der Adventsfastenzeit – Gans gegessen.
Der 11. November wird vielen Menschen in Deutschland heutzutage nicht mehr hauptsächlich als Martinstag bekannt, sondern vor allem als Beginn der fünften Jahreszeit in Karnevalsregionen.
Viele jüngere Menschen widmen sich der Selbstliebe – denn: Der 11.11. wurde aufgrund der vielen Einsen im Datum zum Single-Tag erklärt. Ursprünglich in China gefeiert, ist er mittlerweile weltweit bekannt und kommerzialisiert.
In Frankreich wird am 11. November ein Feiertag begangen – allerdings nicht aus den bisher genannten Gründen. An diesem Tag wird an den Waffenstillstand von Compiègne (Armistice) erinnert, der die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs beendete.
Festtagsgans kommt meist aus dem Ausland
Zurück zur deutschen Gänsezeit. Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands bei Gänsefleisch ist vergleichsweise niedrig: Etwa 80 Prozent stammen aus dem Ausland (hauptsächlich Polen und Ungarn). Daher hat eine Vogelgrippewelle hierzulande auch keinen Einfluss auf den Preis von Gänsen.
In einigen Ländern werden Schnellmastgänse innerhalb von zehn Wochen mit konzentriertem Kraftfutter auf Schlachtgewicht gebracht. In Ländern wie Frankreich, Belgien, Spanien und Ungarn ist außerdem die Zwangsmast über ein Rohr in den Hals erlaubt (bis zum Fünffachen der eigentlichen Nahrungsmenge).
Die Stopfleber, die auf diese Weise hergestellt wird und buttrig-nussig schmeckt, ist bei Feinschmeckern beliebt – auch in Deutschland. Der Verkauf ist hierzulande erlaubt, die Produktion jedoch nicht. Im französischsprachigen Raum wird Foie gras zwar das ganze Jahr über gegessen, aber – und hier kommen wir wieder zu den Feiertagsbräuchen – auch als besondere Delikatesse für das Fest angesehen.








