Berlins Nächte einst legendär, doch sinkende Besucherzahlen und neue Lebensstile bedrohen die Zukunft der Clubkultur in Deutschland.
Clubsterben in Deutschland: Droht das Ende des wilden Nachtlebens?
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Die Anzahl der Diskotheken hat sich in etwa zehn Jahren fast halbiert, die Branche warnt vor weiterem Clubsterben und junge Erwachsene scheinen Exzess zu meiden, was das Ende des wilden Nachtlebens bedeuten könnte. Steht Deutschland bald vor einer Flaute? Kommt der Untergang des Abendlandes? Besser gesagt: des Nachtlandes? Egal, ob nun in Berlin, Frankfurt, Leipzig, Köln, Stuttgart, Hamburg oder München?
Berlins Nächte seien «von einer steten Jagd nach Vergnügungen und Unterhaltung erfüllt» – «so bunt, so stark pulsierend, so heiß». Das ist eine Beschreibung von vor hundert Jahren. Sie stammt aus den Goldenen Zwanzigern, aus dem Band «Berlin» von Eugen Szatmari, einem Buch aus der damals beliebtesten Reiseführer-Reihe «Was nicht im Baedeker steht».
Auch in den letzten Jahrzehnten lebte der Mythos von Berlin als Partymetropole weiter. Man denke etwa an das Lied «Kreuzberger Nächte sind lang». Ab 1978 gab es in Schöneberg den legendären «Dschungel», in dem auch David Bowie und Iggy Pop feierten.
Dann nach der Wende: viel Sex und Drugs und elektronische Musik – vor allem im früheren Ost-Berlin. Das 2004 als «Ostgut»-Nachfolger eröffnete «Berghain» mit strenger Türpolitik, langer Warteschlange und Fotografierverbot ist global, neben dem Oktoberfest, ein Gesprächsthema, wenn es um Deutschland geht. Hypnotische DJ-Sets, Darkrooms, Dancefloor-Nudismus.
In ganz Deutschland denken Clubs über Schließung nach
In den aktuellen 20er Jahren ereilt die deutsche Hauptstadt jetzt jedoch die Sorge, sang- und klanglos unterzugehen. Clubs wie die «Wilde Renate» oder das «Watergate» machen dicht. Die Berliner Clubcommission warnt vor weiterem Clubsterben. Laut einer Umfrage denkt fast die Hälfte der befragten Mitgliedsläden darüber nach, 2025 zu schließen.
Sinkende Besucherzahlen, steigende Kosten und fehlende Staatshilfen bedrohten die Zukunft der Szene, heißt es von der Interessenvertretung der über 100 Berliner Clubs. Man stehe unter enormem Druck. «Ohne staatliche Unterstützung und eine konsequente Förderung der Nachtökonomie droht Berlins Clubkultur in der Belanglosigkeit zu versinken.»
Subvention sei keine Lösung, sagte jedoch Ulrich Wombacher, einer von drei Betreibern des «Watergate», im September der «Berliner Zeitung». Nach der Corona-Krise und den Lockdowns sei die Szene nicht dauerhaft wieder in Schwung gekommen. Musik werde anders (digital) konsumiert, auch Festivals seien wichtiger geworden. Nichts sei für immer – «warum sollten Clubs nicht auch ein vorübergehendes Phänomen sein?».
Auch in ganz Deutschland scheint die Situation düster zu sein: Der Bundesverband der Musikspielstätten, LiveKomm, hat eine Umfrage veröffentlicht, in der fast zwei Drittel der befragten Clubs angeben, sich in einer wirtschaftlich (noch) schlechteren Lage als vor einem Jahr zu befinden. Etwa ein Sechstel erwägt, in den nächsten zwölf Monaten zu schließen.
Besucherrückgang und Bürokratie stören das Business
Andere Worte findet der Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe (BDT im Dehoga Bundesverband). «Ich kann ein akutes Discosterben so nicht bestätigen», sagt Referentin Aurélie Bergen. Die Branche kämpfe aber mit großen Herausforderungen: «immer wieder steigende Gema-Gebühren, allgemein zunehmende Bürokratie, die Auswirkungen des Mindestlohns, veraltete, starre Vorgaben bei der Arbeitszeit».
Zusätzlich bieten Streamingdienste und soziale Netzwerke Dienste an, die früher nur in Discos verfügbar waren. Beispiele dafür sind Spotify oder die Dating-App Tinder. Des Weiteren werden auch jährlich stattfindende Partys in Scheunen, auf Wiesen oder in Gemeindehallen besucht. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.
Ein Blick auf die Kernzielgruppe von Clubs lohnt sich trotzdem: die 18- bis 25-Jährigen. Natürlich gibt es auch 30-, 40-, 50-Jährige, die tanzen gehen, ja, sogar manche 80-Jährige. Doch das übliche Alter der Clubgänger liegt Anfang zwanzig.
Das bringt uns zur oft mit Vorurteilen behafteten Generation Z: Die sogenannte Gen Z meidet Stress, ernährt sich gesund, hat weniger Sex, schläft ausreichend. Ihre neue Mitternacht ist angeblich um 21 Uhr. Einige Klischees sind tatsächlich wissenschaftlich belegt: Die heutigen Jugendlichen trinken deutlich weniger Alkohol als frühere Generationen.
Ist die Generation Z schuld?
Förderlich für exzessives Ausgehen sind solche Lebenseinstellungen kaum. «Partys sind heute nicht mehr die vornehmlich nächtlichen, lang erwarteten Ausschweifungen, um neue Bekanntschaften zu machen», sagt Sandra Onofri von der Kommunikationsagentur Havas. Feiern gehen sei keine Wochenendpflicht mehr, sondern nur noch eine Option von vielen.
Havas erstellte dieses Jahr als Agentur für Markenberatung den auf Tausende Teilnehmer gestützten Trendreport «Is the Party Over?». Demnach hat der beschleunigte Zuwachs von Home-Entertainment-Programmen, Lieferdiensten und Online-Zusammenkünften während der Lockdowns nachhaltig die Vorstellung vom Partymachen beeinflusst.
Kontrolle behalten ist wichtig
Die meisten der befragten Mitglieder der Generation Z bleiben am Wochenende gerne zu Hause. Die meisten bevorzugen es, bei sich oder bei Freunden zu feiern, anstatt in Clubs. Viele ziehen Partys vor, bei denen sie auf Freunde und Bekannte treffen, anstatt auf Unbekannte. Für mehr als die Hälfte ist die Vorbereitung auf die Party, also das Aufbrezeln, genauso wichtig wie die Party selbst.
Etwa 75 Prozent der Umfrageteilnehmer sind der Meinung, dass es entscheidend ist, die Kontrolle zu bewahren und sich nicht in der Öffentlichkeit zu blamieren (zum Beispiel betrunken). Berichte über Terroranschläge, sexuelle Übergriffe in Clubs und Drinks, die mit K.-o.-Tropfen versehen wurden, haben das Sicherheitsbewusstsein gesteigert.
Diejenigen, die die Zukunft bestimmen, bevorzugen individualisiertes Feiern und Komfort, was auf einen Trend hinweist. Aus Fomo («Fear of missing out») soll Fogo («Fear of going out») geworden sein: eine gewisse Angst davor, wie in alten Zeiten auszugehen.