Der italienische Teenager starb 2006 an Krebs. Heute stellt ihn die Kirche als großes Vorbild heraus. Der Papst spricht den «Influencer Gottes» jetzt sogar heilig. Und andere machen gute Geschäfte.
Der erste Internet-Heilige: Carlo Acutis
Auf dem Corso Giuseppe Mazzini, im Zentrum von Assisi, sind sie bereits so weit: In den Souvenirgeschäften des Touristenorts werden bereits die ersten Figuren von Carlo Acutis mit Heiligenschein verkauft. Der italienische Teenager starb 2006 an Leukämie. Ein gewöhnlicher Junge in Jeans, Sneakers und rotem Polohemd – aber jetzt eben mit goldenem Ring über dem Kopf. Der Preis: 45 Euro pro Exemplar.
Die Händler in der Heimatstadt des heiligen Franz von Assisi sind der römisch-katholischen Kirche ein wenig voraus: Carlo Acutis, der nur 15 Jahre alt wurde, wird erst am kommenden Sonntag im Vatikan heiliggesprochen. Der Sohn aus einer wohlhabenden Familie wird dann der erste Heilige aus der Generation der Millennials sein – also einer derjenigen, die zwischen 1980 und 1999 geboren wurden. Eigentlich wäre er jetzt gerade mal 33.
Der Vatikan legt großen Wert darauf, dass der Italiener in den Heiligenstand erhoben wird. Eigentlich wollte Franziskus dies persönlich übernehmen, da er mit der Wahl seines Namens dem acht Jahrhunderte älteren Heiligen aus Assisi (seit 1228) Ehre erweisen wollte. Aufgrund seiner Lungenentzündung muss sich der Papst jedoch schonen, daher wird dies wahrscheinlich nicht möglich sein. Dennoch läuft die PR-Maschinerie der Kirche weiter. Wenn all dies zutrifft, wäre Carlo Acutis das ideale Vorbild für die heutige Jugend.
In den amtlichen Verlautbarungen liest sich alles wie gemacht, um jüngere Leute wieder an den katholischen Glauben heranzuführen: ein «kleines Computergenie», ein «Influencer Gottes», ein «Cyber-Apostel», ein «Heiliger unserer Zeit». Acutis wurde 1991 in London geboren, wo sein Vater in der Finanzwelt arbeitete, und dort auch getauft. Kurz darauf bekam der Vater einen neuen Job in Mailand. In der Nähe von Assisi, mitten in Umbrien, hat die Familie heute noch ein Ferienhaus.
Wunder-Datenbank und Rosenkranz-Programm
Besonders über sein Kindermädchen, so wird erzählt, fand Carlo früh den Weg zum Glauben. Im Alter von sieben Jahren empfing er die Erstkommunion. Später besuchte er eine Jesuitenschule, wo er für die Kirche Computerprogramme schrieb, Webseiten gestaltete und eine Datenbank mit angeblichen Wundern erstellte. Auf seinem Laptop installierte er ein Rosenkranz-Programm. Außerdem kümmerte er sich um die Internetseite seiner Pfarrei.
Der Mutter erzählte er, dass er sich mit dem Gedanken trage, Priester zu werden. Freunde ermahnte er angeblich, nicht auf Pornoseiten zu gehen. Er selbst soll behauptet haben: «Die einzige Frau in meinem Leben ist die Jungfrau Maria.»
Anfang Oktober 2016 erhielt er dann die Diagnose: akute Leukämie, die schlimmste Art. Kurz darauf fiel er ins Koma. Am 12. Oktober verstarb er. Bald darauf begann der Prozess der Heiligsprechung, unterstützt von der Kirche und den Eltern. Der Leichnam wurde mehrmals umgebettet, vom Dorffriedhof bis zur Wallfahrtskirche Santa Maria Maggiore in Assisi. Im vergangenen Jahr besuchten eine Million Menschen den Ort, darunter auch viele Schulklassen.
Der tote Junge trägt Jeans und Turnschuhe
Seine sterblichen Überreste ruhen jetzt in einem Sarkophag mit einer Glasscheibe, durch die man hineinschauen kann. Der verstorbene Junge trägt Jeans und Turnschuhe. Ein Rosenkranz wurde ihm in die Hände gelegt. Das Gesicht und die Hände wurden mit Silikon nachgebildet. Gegenüber gibt es eine steinerne Bank für Besucher, die länger verweilen möchten. Dennoch gehen die meisten eher schnell vorbei. Fotografieren ist untersagt.
Die Prozesse der Selig- und Heiligsprechungen folgen einem komplizierten, mehrstufigen Verfahren. Dabei wird das Leben der Kandidaten eingehend untersucht. Früher begann dies frühestens 50 Jahre nach dem Tod. Heutzutage kann es jedoch manchmal sehr schnell gehen. In der Regel ist es erforderlich, dass dem potenziellen Heiligen ein Wunder zugeschrieben werden kann. Im Fall von Acutis bewertete die zuständige Vatikan-Behörde die Heilung eines Kindes aus Brasilien und einer jungen Frau aus Costa Rica in diesem Sinne. Der Papst stimmte dem zu.
Die Heiligsprechung hat also eine lange Tradition. Aus dem Religionsunterricht erinnert man sich an die heiligen Apostel (elf nur, Judas Iskariot nicht), den Heiligen Nikolaus, den Heiligen Martin, die Heilige Barbara oder Hildegard von Bingen. In neuerer Zeit kamen Mutter Teresa oder Papst Johannes Paul II. hinzu. Mittlerweile gibt es über 10.000 Heilige. Allein Franziskus ist für fast 1.000 davon verantwortlich.
Ein Schuldfreund sät Zweifel
Manchen geht die Heiligwerdung inzwischen arg schnell. Zudem gibt es bei Acutis Zweifel, ob er tatsächlich so fromm war. Einer seiner besten Schulfreunde, Federico Oldani, erzählte der Wochenzeitung «The Economist», dass er mit Carlo kein einziges Mal über Jesus gesprochen habe. Auch den Satz «Die Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel», der seinem toten Freund nun überall zugeschrieben wird, hörte Oldani von ihm nie.
Was nichts daran ändert, dass viele in Assisi mit dem neuen Heiligen schon gutes Geld verdienen. In den Souvenirgeschäften ist so gut wie alles im Angebot: Jutebeutel, T-Shirts, Medaillons, Anhänger, Rosenkränze, sogar Kühlschrankmagneten. Auch im Verkaufsraum der Kirche, in der Acutis nun liegt, gibt es Figuren von ihm. Der Rektor der Gemeinde, Franziskanerpater Marco Gaballo, sagt: «Die Leute wollen etwas haben, an das sie sich erinnern können. Dann ist das in Ordnung für mich.»
Mit dem ersten Heiligen des Internet-Zeitalters wird inzwischen auch online Geld verdient. Auf Websites werden angebliche Reliquien angeboten. Eine Locke, die angeblich von Acutis stammt, wurde vor Kurzem für 2.110 Euro verkauft. Das war der Kirche jedoch zu viel. Der Bischof von Assisi, Domenico Sorrentino, hat Anzeige erstattet. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.