Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Der erste Internet-Heilige: Carlo Acutis

Der Italiener starb 2006 mit 15 Jahren an Krebs. Am Sonntag spricht der Papst den «Influencer Gottes» heilig. Mit dem Andenken an Acutis werden gute Geschäfte gemacht. Aber war er wirklich so fromm?

2020 wurde Carlo Acutis bereits seliggesprochen. (Archivbild)
Foto: Gregorio Borgia/AP/dpa

Am Corso Giuseppe Mazzini im Zentrum von Assisi sind sie sehr erfahren im Handel mit Devotionalien. Seit vielen Jahrzehnten werden hier Andenken an den Mann verkauft, der den kleinen Ort in Umbrien weltweit bekannt gemacht hat und dort auch begraben liegt: der Heilige Franz von Assisi (1181-1226). Der Verkauf von Holzfiguren, Bildern und Rosenkränzen läuft sehr gut. Die Souvenirläden reihen sich eng aneinander.

In letzter Zeit hat der Gründer des Franziskanerordens jedoch starke Konkurrenz bekommen: An manchen Tagen verkaufen die Händler jetzt mehr Devotionalien von Carlo Acutis, einem italienischen Teenager, der 2006 an Leukämie starb. Auf den ersten Blick war das ein gewöhnlicher Junge in Jeans, Sneakers und rotem Polohemd – aber nun steht er in den Schaufenstern eben mit Heiligenschein über dem Kopf.

Mehr als 100.000 Menschen zu Heiligsprechung erwartet

Denn am nächsten Sonntag (7. September) soll Acutis, der nur 15 Jahre alt wurde, von Papst Leo XIV. im Vatikan heiliggesprochen werden. Der Sohn aus einer wohlhabenden Mailänder Familie wird damit der erste Heilige aus der Generation der Millennials – also der Leute, die zwischen 1980 und 1999 geboren wurden. In Assisi nennen sie den neuen Geldbringer inzwischen den «kleinen Bruder von Franz». Eigentlich wäre er jetzt gerade mal 34.

Am Petersplatz im Vatikan werden bei der Zeremonie mehr als 100.000 Menschen erwartet. Ursprünglich sollte dies am Sonntag nach Ostern geschehen, aber dann verstarb Papst Franziskus. Alle Termine wurden abgesagt. Nun führt sein Nachfolger die Heiligsprechung des Teenagers mit einer Verspätung von fünf Monaten durch: Offensichtlich legt der Vatikan darauf großen Wert. Die Entscheidung selbst wird dort von niemandem angezweifelt.

Kirche preist «Heiligen unserer Zeit»

In den Verlautbarungen des Kirchenstaats liest sich Acutis‘ Leben wie gemacht dafür, um jüngere Leute wieder an den katholischen Glauben heranzuführen: ein «kleines Computergenie», ein «Influencer Gottes», ein «Cyber-Apostel», ein «Heiliger unserer Zeit». Die römisch-katholische Kirche, die vor allem in Europa mit einem Schwund an Gläubigen zu kämpfen hat, kann so jemanden gut gebrauchen.

Acutis wurde 1991 in London geboren, wo sein Vater in der Finanzwelt arbeitete, und dort auch getauft. Kurz darauf bekam der Vater einen neuen Job in Mailand. In der Nähe von Assisi, mitten in Umbrien, hat die Familie heute noch ein Ferienhaus. Vor allem über sein Kindermädchen, so die Erzählung, fand Carlo früh den Weg zum Glauben.

«Die einzige Frau in meinem Leben ist die Jungfrau Maria» 

Mit sieben empfing er die Erstkommunion. Später kam er auf eine Jesuitenschule, wo er für die Kirche Computerprogramme schrieb, Webseiten entwarf und eine Datenbank mit vermeintlichen Wundern bastelte. Der Mutter erzählte er, dass er sich mit dem Gedanken trage, Priester zu werden. Freunde ermahnte er angeblich, nicht auf Pornoseiten zu gehen. Er selbst soll behauptet haben: «Die einzige Frau in meinem Leben ist die Jungfrau Maria.»

Anfang Oktober 2006 erhielt er dann die Diagnose: akute Leukämie, die sehr schwere Form. Kurz darauf fiel er ins Koma. Am 12. Oktober verstarb er. Bald darauf begann der Prozess der Heiligsprechung, unterstützt von der Kirche und den Eltern. Der Leichnam wurde mehrmals umgebettet, vom Dorffriedhof bis zur Wallfahrtskirche Santa Maria Maggiore in Assisi. Im vergangenen Jahr besuchten eine Million Menschen diesen Ort, darunter auch viele Schulklassen.

Ein Toter in Jeans und Turnschuhen

Seine sterblichen Überreste ruhen nun in einem Sarkophag mit einer Glasscheibe, durch die man hindurchsehen kann. Der verstorbene Junge trägt Jeans und Turnschuhe. In seine Hände wurde ein Rosenkranz gelegt. Sein Gesicht und seine Hände wurden mit Silikon nachgebildet. Gegenüber befindet sich eine steinerne Bank für Besucher, die länger verweilen möchten. Dennoch gehen die meisten eher schnell vorbei. Das Fotografieren ist untersagt.

Der Prozess der Selig- und Heiligsprechungen erfolgt nach einem komplexen, mehrstufigen Verfahren, bei dem das Leben der Kandidaten untersucht wird. Früher begann dies frühestens 50 Jahre nach dem Tod. Heutzutage kann es jedoch sehr schnell gehen. Normalerweise ist es erforderlich, dass dem potenziellen Heiligen ein Wunder zugeschrieben werden kann. Im Fall von Acutis hat die zuständige Vatikan-Behörde die Heilung eines Kindes aus Brasilien und einer jungen Frau aus Costa Rica in diesem Sinne bewertet.

Die Heiligsprechung hat also eine lange Tradition. Aus dem Religionsunterricht erinnert man sich an die heiligen Apostel (elf nur, Judas Iskariot nicht), den Heiligen Nikolaus, den Heiligen Martin, die Heilige Barbara oder Hildegard von Bingen. In neuerer Zeit kamen Mutter Teresa oder Papst Johannes Paul II. hinzu. Mittlerweile gibt es über 10.000 Heilige. Allein Franziskus war für fast 1.000 verantwortlich.

Ein Schulfreund sät Zweifel

Manchen geht die Heiligwerdung inzwischen arg schnell. Zudem gibt es bei Acutis Zweifel, ob er tatsächlich so fromm war. Einer seiner besten Schulfreunde, Federico Oldani, erzählte der Wochenzeitung «The Economist», dass er mit Carlo kein einziges Mal über Jesus gesprochen habe. Auch den Satz «Die Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel», der seinem toten Freund nun überall zugeschrieben wird, hörte Oldani nie.

Es bleibt unverändert, dass viele in Assisi bereits gutes Geld mit dem neuen Heiligen verdienen. In den Souvenirgeschäften gibt es eine Vielzahl von Produkten im Angebot: Jutebeutel, T-Shirts, Medaillons, Anhänger, Rosenkränze, sogar Kühlschrankmagneten. Der Preis für eine Figur in Standardgröße beträgt etwa 45 Euro. Auf Anfrage kann man sich Carlo Acutis jedoch auch lebensgroß schnitzen lassen, für 5.000 Euro.

Auch im Verkaufsraum der Kirche, in der Acutis nun liegt, gibt es Figuren von ihm. Der Rektor der Gemeinde, Franziskanerpater Marco Gaballo, sagt: «Die Leute wollen etwas haben, an das sie sich erinnern können. Dann ist das in Ordnung für mich.» Zudem wird auch online Geld gemacht. Auf Webseiten sind vermeintliche Reliquien im Angebot. Eine Locke, die angeblich von Acutis stammt, wurde kürzlich für 2.110 Euro verkauft. Das war der Kirche doch zu viel. Der Bischof von Assisi, Domenico Sorrentino, stellte Strafanzeige. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

dpa