Der aufsehenerregende Prozess gegen Sean «Diddy» Combs endet in einem scheinbar milden Urteil. Der Ex-Superstar zeigt sich erleichtert – und die MeToo-Bewegung entsetzt.
«Diddy» nur teilweise schuldig: Was bedeutet das für MeToo?

Während Sean Combs nach dem Urteil betend auf die Knie ging und sich bei den Geschworenen bedankte, tobten Unterstützerinnen der MeToo-Bewegung vor Wut. «Diese Entscheidung macht mich sauer», schrieb die Schauspielerin Rosie O’Donnell bei Instagram.
Die Geschworenen sprachen den ehemaligen Rap-Superstar vor Gericht in New York nur in zwei von fünf Anklagepunkten schuldig, und dies waren die schwächsten Anschuldigungen im Zusammenhang mit Prostitution. Die Anschuldigungen der Verschwörung zur organisierten Kriminalität und des Menschenhandels wies die Jury zurück.
Wohl bestes Resultat für Combs – abgesehen von Voll-Freispruch
Damit droht dem 55-Jährigen, der im Laufe seiner Karriere unter anderem die Pseudonyme «Puff Daddy», «P. Diddy» und «Diddy» genutzt hatte, nun keine lebenslange Freiheitsstrafe mehr, sondern maximal 20 Jahre. In Haft bleibt Combs nach einer Entscheidung des Gerichts bis zur Strafmaßverkündung, die möglicherweise im Oktober stattfinden könnte, trotzdem.
Beobachter werteten das Urteil als wohl bestes Resultat für Combs – abgesehen von einem vollständigen Freispruch. Der Rapper, seine Anwälte und seine Familie zeigten sich dementsprechend erleichtert. Der Anwalt der Hauptbelastungszeugin Cassie Ventura würdigte seine Mandantin. Ventura habe «während des gesamten Prozesses beispielhaften Mut bewiesen» und den Weg für zahlreiche Vorwürfe gegen Combs und sein Fehlverhalten geebnet, sagte Doug Wigdor.
Wird Frauen geglaubt – oder nicht?
«Ich glaube dir, Cassie», schrieb die Sängerin Kesha, die ebenfalls schon einen Rechtsstreit wegen Sexualstraftaten gegen ihren früheren Produzenten hinter sich hat, beim Online-Portal X. «Ich liebe dich. Deine Stärke ist ein Leuchtfeuer für jeden Überlebenden.»
Dass die Juroren Ventura und einer weiteren Ex-Freundin von Combs, die vor Gericht ebenfalls von jahrelangen sexuellen Misshandlungen und Gewalt berichtet hatte, aber offensichtlich nicht geglaubt hätten, mache sie sauer, schrieb Schauspielerin O’Donnell. «Ich schätze, eine Jury will einfach nie glauben, dass eine Frau wegen Macht und Zwang bleibt, wow, sie denken, dass eine Frau weswegen bleibt? Geld? Ruhm?».
MeToo-Bewegung im Gegenwind?
Das Verfahren erinnerte an ähnliche Prozesse wegen Sexualstraftaten gegen Ex-Superstars in den vergangenen Jahren – unter anderem gegen den Musiker R. Kelly, den Comedian Bill Cosby oder den Produzenten Harvey Weinstein.
Die Anschuldigungen gegen Weinstein haben vor ungefähr acht Jahren die weltweite MeToo-Bewegung ins Rollen gebracht – das Urteil gegen Combs, der dreimal verheiratet war und sieben Kinder hat, zeigt jedoch nach Meinung vieler Beobachter das Ausmaß des Gegenwinds.
Die Bewegung habe vielen Opfern von sexuellem Missbrauch die Tür geöffnet, gerichtlich gegen die Täter vorzugehen – auch Cassie Ventura, schrieb das Online-Magazin «Vox». Einige zumindest vorübergehende gerichtliche Erfolge habe es gegeben – beispielsweise im Fall Weinstein oder R. Kelly.
Energie der MeToo-Bewegung verpufft?
Die kulturelle Energie der Bewegung sei inzwischen weitgehend verpufft, und den Opfern werde wieder weniger geglaubt, stattdessen werde ihnen eine Mitschuld gegeben. Die Verteidigung argumentierte erfolgreich, dass Ventura Combs jederzeit hätte verlassen können. Ventura hatte mehrmals betont, dass sie Angst vor Combs und seiner Gewalt gehabt habe. Vielleicht übertrieb die Staatsanwaltschaft auch, als sie sofort den Mafia-Anklagepunkt der Verschwörung zur organisierten Kriminalität ins Spiel brachte?
«Wir wissen immer noch nicht, wie wir die Gesetze nutzen können, um die Probleme zu lösen, die in unseren intimsten Beziehungen explodieren», kommentierte das Online-Magazin «Slate». Und das Magazin «The Atlantic» prophezeite «verstörende Auswirkungen» des Urteils.
Gibt es vielleicht sogar ein Combs-Comeback?
Combs, gegen den es auch noch zahlreiche Zivilklagen gibt, habe anscheinend «neun Leben», schrieb die «New York Times» – und hält sogar ein Comeback des Rappers für möglich. Der 1969 im New Yorker Stadtteil Harlem geborene Combs gehörte mit Hits wie «I’ll Be Missing You» und «Bad Boy For Life» in den vergangenen Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Rappern der Welt und war auch mit eigenen Musik- und Modelabels erfolgreich.
Ein Comeback galt eigentlich spätestens seit seiner Verhaftung als völlig ausgeschlossen. Neben Combs‘ Familie hatte von seinen einst vielen prominenten Freunden nur der umstrittene Rapper Kanye West im Gerichtssaal seine Unterstützung für Combs gezeigt – aber das könne sich auch wieder ändern, mutmaßte die «New York Times». «Es könnte sein, dass diese Anschuldigungen und dieser Prozess eines Tages nur ein Fleck auf seinem Lebenslauf sind.»