Michael Stückes Herde soll die erste schwule Schafherde Deutschlands sein – bekannt wurde sie durch eine Patenschaft von Bill Kaulitz. Aus ihrer «Regenbogen-Wolle» entsteht jetzt eine Modekollektion.
Diese schwulen Böcke lieben, wen sie wollen
Michael Stücke ist ein offener Typ. Nur eines darf man ihn nicht fragen: Wie viele Schafe besitzt du? «Das erfährt nur das Finanzamt und die Tierseuchenkasse», sagt er. Die Frage sei ihm zu intim. Sie fühle sich an wie ein fremder Blick aufs eigene Bankkonto. Ein paar hundert Schafe seien es, das müsse als Info reichen.
Die Anzahl der Schafe, die Stücke besitzt, ist nicht so wichtig wie die Frage, welche Schafe er besitzt. Seit einem Jahr hütet er auf seinem Hof in Löhne in Ostwestfalen eine weitere, neue Herde neben dem normalen Schäfereibetrieb. Diese Schafherde ist nicht irgendeine, sondern die – wie er sagt – erste schwule Schafherde Deutschlands, möglicherweise sogar der ganzen Welt.
Die Tiere wurden aufgekauft von Züchtern aus ganz Deutschland und können nun auf Stückes Hof «leben und lieben, wen und wie sie wollen». Aus der Wolle entsteht eine Modekollektion, deren Profite vollständig in Projekte fließen, die queere Rechte weltweit stärken. Hinter dem Projekt Rainbow-Wool stehen neben Michael Stücke – der selbst mit einem Mann zusammenlebt – noch die Bürgerrechtsorganisation Verband Queere Vielfalt sowie eine Kölner Werbeagentur, die das Projekt ehrenamtlich unterstützt.
Sex als Stressabbau in der Herde
Laut Studien sind ungefähr 9 Prozent aller Schafböcke homosexuell. Die Tiere zeigen ausschließlich Interesse an anderen männlichen Schafen – und sind daher für Züchter uninteressant, sagt Stücke. Auch Gottfried Hohmann vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie bestätigt: Homosexualität ist in der Tierwelt völlig normal und tritt bei zahlreichen Tierarten auf. Sexualität dient also auch im Tierreich nicht nur der Fortpflanzung, sondern beispielsweise auch der Stressbewältigung, zum Beispiel innerhalb einer Herde.
Homosexuelle Böcke werden normalerweise beim Schlachter geschlachtet. Das gilt auch für die meisten Schafe in Deutschland, da die Wollproduktion hierzulande nur noch gering ist. Einige Schafe werden auch für die Fleischproduktion gehalten. Die homosexuelle Herde soll jedoch nur geschoren werden.
Umgeben von Bentheimer Landschafen, Grau Gehörnten Heidschnucken und einem Walliser Schwarznasenschaf sitzt Stücke an diesem leicht verregneten Donnerstag auf seiner Weide und erzählt, wie er zu den schwulen Böcken gekommen ist – beziehungsweise wie die schwulen Böcke zu ihm gekommen sind. Immer wieder wird er dabei von den Tieren unterbrochen, die ihn mal mehr, mal weniger zärtlich in die Seite rammen.
Bill Kaulitz adoptiert schwule Schafe
Alles begann, als ihn eine Freundin fragte, ob es auch schwule Schafe gebe. Obwohl er seit fast dreißig Jahren im Geschäft ist, hatte er sich nie intensiv mit diesem Thema befasst. Doch nach einem weiteren Gespräch mit der Hoftierärztin wuchs sein Interesse, und er informierte sich genauer. Als die Freundin ihm dann vorschlug, schwule Böcke zu kaufen und aus ihrer Wolle Mode für wohltätige Zwecke herzustellen, stimmte er dem Abenteuer zu.
“Was als nächstes geschah, übertraf Stückes Vorstellungskraft.” Sänger Bill Kaulitz adoptierte zwei Schafe als Teil einer Werbeaktion für Rainbow-Wool. Medienanfragen überfluteten plötzlich Stückes E-Mail-Postfach. Für einen Videodreh wurde sein kompletter Hof für ein paar Tage in ein Filmset verwandelt. Überall seien Designer und Werbeleute herumgelaufen, erzählt er.
Noch Kapazitäten für 100 schwule Böcke
Für Stücke war das auch der Kontakt mit einer Welt, die auf den ersten Blick weit weg zu sein scheint. Er fährt einen Pick-up-Truck wie US-Amerikaner im Mittleren Westen, Bielefeld bezeichnet er als «Metropole» und an seiner Scheunenwand hängt ein Bild des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.
«Unser Projekt zeigt auch, dass wir auf dem Land viel offener sind, als viele denken», sagt Stücke. Das Bild von Kaiser Wilhelm sei selbstverständlich nicht als politisches Statement gemeint. Vielmehr wolle er Besuchern auf seinem Hof ein Gefühl dafür geben, aus welcher Zeit das teils über 100 Jahre alte Gerät stammt, mit dem er die Wolle verarbeitet.
Stücke sortiert, wäscht und entwirrt die Wolle auf seinem Hof, bevor sie abgeholt und in einer professionellen Manufaktur versponnen wird – zu Schirmmützen, Aufnähern und Schnürsenkeln in Regenbogenfarben. Mit bislang 21 schwulen Schafen reiche die «Regenbogen-Wolle» noch nicht für größere Kleidungsstücke. Die Herde wachse aber stetig, er habe noch Kapazität für 100 Böcke. «Dann können wir auch über eine größere Kollektion sprechen.»
Und der Nachwuchs?
Stücke erhofft sich durch die Geschichte mit den schwulen Schafen auch Aufwind für seine gebeutelte Branche. Er liebe seinen Job, aber die letzten Jahre seien hart gewesen für Schäfer. Erst Jahre mit viel Dürre, jetzt die Blauzungenkrankheit. Viele Betriebe hätten deswegen dicht gemacht. «Man muss sich Projekte ausdenken, die den Betrieb retten.»
Die schwulen Schafböcke sollen nun bis an ihr Lebensende friedlich auf seinem Hof leben, dafür sorgt Rainbow-Wool. Es könnte jedoch schwierig werden, Nachkommen zu bekommen.
Auch Stücke denkt bereits darüber nach, wer seinen Hof einmal übernehmen soll. Für ein Männerpaar stellt sich die Frage nach der nächsten Generation anders.
“Dennoch wird es noch eine Weile dauern, bis es in Löhne soweit ist.”