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Rechtsextremist will neues Leben beginnen

Ein ehemaliger Rechtsextremist lässt sein Nazi-Tattoo kostenlos übermalen, um ein neues Kapitel zu starten.

In einem Tattoo-Studio in Siegen werden Reichsadler, Hakenkreuze und andere Hass-Symbole kostenlos mit neuen Tattoos übermalt.
Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Michael zieht seine Jeans etwas zögerlich herunter. Normalerweise meidet der 37-jährige Mann es, sich in der Öffentlichkeit umzuziehen. Die Scham über das, was sich unter seiner Jeans verbirgt, ist groß: Ein Reichsadler-Tattoo mit Hakenkreuz ziert seinen Oberschenkel. Das Symbol ist ein Überbleibsel aus einem dunklen Kapitel seines Lebens, als er in seinen frühen Zwanzigern für vier Jahre Teil der rechtsextremen Szene war. Heute möchte er nichts mehr mit dieser Vergangenheit zu tun haben.

Viel lieber wolle er sich darauf konzentrieren, seinen Sohn aufzuziehen, sagt Michael. «Ich bin eigentlich viel lieber ein netter Mensch, statt andere zu hassen». Doch trotz seines Gesinnungswandels gibt es Hürden auf dem Weg zu einem normalen Leben. Als Gärtner müsse er sich jeden Tag in einer Sammelumkleide mit seinen Kollegen umziehen und dabei geschickt sein Tattoo verbergen, erzählt er. Im Sommer trage er nur ungern kurze Hosen – zu groß ist die Angst vor Ausgrenzung.

«Ziemlich ekelhaftes Gefühl, damit weiterzuleben»

Das soll sich ab heute ändern. Michael steht an diesem Donnerstag im Dezember halb nackt im Tattoo-Studio «On the Rocks» in Siegen, wo er einen Termin für ein sogenanntes Cover-Up-Tattoo hat. Das Studio ermöglicht neuerdings einmal im Monat Aussteigern aus der rechtsextremen Szene, ihre alten Nazi-Tattoos durch neue Motive übermalen zu lassen, kostenlos.

Für Michael (Name geändert) eine große Chance: «Ich laufe jetzt seit über 13 Jahren mit diesem Tattoo auf dem Bein rum. Das ist ein ziemlich ekelhaftes Gefühl, damit weiterzuleben, wenn man diese Einstellung nicht mehr vertritt.» Lange Zeit habe er keine Möglichkeit gesehen, das Tattoo überdecken zu lassen. «Die Tätowierer, die ich darauf angesprochen habe, haben mir immer so was zwischen 1500 und 2000 Euro aufwärts genannt. Ich verdiene halt nicht so viel, dass ich mir so was mal eben so aus dem Ärmel schütteln kann.»

«Schon ein Jahr Warteliste»

Deshalb ist er umso dankbarer für das Angebot von Lisa Meurer, der Inhaberin des Studios. Auch sie ist sich bewusst, wie schwierig es für Betroffene ist, diesen Schritt zu gehen. «Viele schämen sich oder trauen sich nicht». Oft werde sie gefragt, ob das Angebot ein Witz sei oder wo der Haken sei, erzählt sie. Die Resonanz auf die Aktion sei jedoch bisher «unglaublich positiv»: Ständig erhalte sie jetzt Anrufe mit unterdrückter Nummer. «Wir haben so viele Anfragen, dass wir schon ein Jahr Warteliste haben».

Laut Meurer ist es momentan finanziell nicht möglich, mehr als einen Termin im Monat zu vereinbaren. Jedes kostenlose Cover-Up bedeutet einen Verlust von etwa 600 Euro für das Studio. Beim letzten Kunden, der aus einem großen Reichsadler auf der Brust eine Eule haben wollte, waren mehrere Sitzungen erforderlich.

Tattoos statt «Demos gegen Rechts»

Die Idee für die Aktion hätte sie gemeinsam mit ihrem Partner und Tätowierer Luke gehabt. Als Anfang 2024 eine Welle von «Demos gegen Rechts» durch das Land schwappte, hätten sich die beiden gefragt: «Wie können wir einen Beitrag leisten, der tatsächlich etwas bewirkt, anstatt einfach nur irgendwo hinzugehen und den Mund aufzumachen und gegen eine Wand zu reden.»

Angst vor Anfeindungen aus der rechten Szene habe sie keine. «Wir verurteilen ja niemanden aus der rechten Szene. Wir helfen lediglich den Leuten, die aus dieser Szene rauswollen und ein neues Leben wollen.»

Arbeit mit Aussteigern verändert sich

Auch Eva Müller, Leiterin des bundesweiten Aussteigerprogramms Wendepunkt vom Bundesamt für Verfassungsschutz, betont, wie wichtig solche niedrigschwelligen Hilfsangebote seien. «Die erste große Hürde für Ausstiegswillige ist es, überhaupt in Kontakt zu treten. Ehemalige Rechtsextremisten befinden sich quasi im gesellschaftlichen Aus. Die haben dieses Stigma, Nazi zu sein, was es sehr schwer macht, Hilfe von außen anzunehmen.»

Auch das Programm Wendepunkt bietet Ausstiegswilligen Cover-Up-Tattoos an. Maßnahmen wie diese stehen laut Müller stellvertretend für eine grundlegende Veränderung in der Arbeit mit Aussteigern in den vergangenen Jahren: «Früher lag der Fokus sehr stark auf ideologischer Distanzierungsarbeit. Aussteiger bringen aber eine ganze Bandbreite an Problemen mit: Psychische Erkrankungen, Sucht, prekäre finanzielle Verhältnisse oder zerrüttete Familien. Viele Personen suchen einfach Halt, Anerkennung und Stabilität im Leben».

Oft persönliche Wendepunkte, die zu Ausstieg führen

Die soziale Stabilisierung stehe heute an erster Stelle, «um Betroffenen auf dem Weg in ein neues Leben außerhalb des Rechtsextremismus zu helfen.» Das Überdecken rechtsextremistischer Tattoos – die oft die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene markiert haben – könne dabei ein wichtiger Schritt aus dem gesellschaftlichen Abseits in Richtung Reintegration sein.

Müller erklärt, dass es häufig persönliche Wendepunkte im Leben seien, die den Ausstieg aus der Szene bewirken: “Eine neue Beziehung beispielsweise, ein Jobwechsel oder die Geburt eines Kindes.” Michael berichtet, dass neun Monate im Gefängnis bei ihm zu einem Umdenken geführt haben. Aufgrund einer Geldstrafe musste er ins Gefängnis und konnte dort keine Drogen mehr konsumieren.

Narben bleiben für immer spürbar

«In der JVA hatte ich das erste Mal über längere Zeit einen klaren Kopf, habe ziemlich vieles aus meinem Leben mal so Revue passieren lassen und konnte mich danach einfach überhaupt gar nicht mehr damit identifizieren.»

Nach etwa vier Stunden unter der Nadel haben sich Reichsadler und Hakenkreuz auf Michaels Oberschenkel in einen imposanten Panther verwandelt. «Ich bin froh, dass mein Sohn das nicht an mir sehen muss», sagt Michael. Doch auch wenn die Symbole nicht mehr sichtbar sind, wird Michael sie niemals vollständig loswerden: Die Narben alter Tattoos blieben auch unter dem Cover-Up für immer spürbar, sagt Lisa Meurer.

dpa