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Elend in den Großstädten – Warum Crack sich rasch ausbreitet

In vielen deutschen Großstädten ist es kaum zu übersehen: Der Crack-Konsum in der offenen Drogenszene ist stark gestiegen. Das führt zu enormen Problemen, nicht nur für Abhängige.

Meistens wird Crack in einer Pfeife geraucht, in seltenen Fällen wird es gespritzt. (Archivbild)
Foto: Boris Roessler/dpa

Der Rausch ist stark, aber von kurzer Dauer. Innerhalb weniger Minuten entfaltet das Crack seine Wirkung, danach muss bereits wieder nachgelegt werden, um den nächsten kurzen Kick zu bekommen. Crack ist Kokain, das mit Natriumkarbonat gekocht und in Form kleiner Steinchen meist in einer Pfeife geraucht wird. Diese Droge macht extrem süchtig – und breitet sich rasant in Deutschland aus.

In Städten wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt fällt das deutlich auf. Immer öfter beobachtet man Personen, die in Hauseingängen, am Straßenrand oder sogar in U-Bahnhöfen ihre Crackpfeife anzünden. Abhängige, die auf der Straße leben und sich in körperlich und psychisch desolaten Zuständen befinden. Doch auch in anderen Städten nimmt der Crack-Konsum in der offenen Drogenszene zu. An einigen Orten ist Crack mittlerweile die am meisten konsumierte Droge.

«Crack knallt mehr als Kokain»

Kokain und Crack sind nicht neu. Warum verbreitet sich Crack gerade jetzt so stark und welche Auswirkungen hat das?

«Wir sehen weltweit ein stark gestiegenes Angebot an Kokain und das betrifft auch Deutschland», erklärt die Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, Esther Neumeier. In den vergangenen Jahren habe sich die Herstellung von Kokain weltweit vervielfacht. Ein Beispiel, das das verdeutlicht: Laut der Drogenagentur der Europäischen Union wurden in Europa 2010 58,4 Tonnen Kokain sichergestellt. 2020 waren es 214,6 Tonnen. Das ist mehr als dreimal so viel. 

«Weil es ein so großes Angebot an Kokain gibt, ist es für Verkäufer attraktiv, neue Zielgruppen zu erschließen», sagt Neumeier. In der offenen Drogenszene würden sie fündig. Für die zum Teil schwer abhängigen Menschen sei die Wirkung von dem nasal konsumierten Kokain nicht attraktiv. Crack aber funktioniere. «Crack erzeugt einen extrem schnell einsetzenden, höchst intensiven, dafür aber auch sehr kurzen Rausch.» In der Allgemeinbevölkerung spiele Crack keine Rolle.

Immer mehr Städte haben einen Crack-Markt

Ein Beispiel aus Berlin verdeutlicht, wie stark der Konsum gestiegen ist: Im Jahr 2022 machte Crack in zwei Berliner Drogenkonsumräumen des Trägers Vista nur 3,5 Prozent der Konsumvorgänge aus. Bis 2024 stieg dieser Anteil bereits auf 30 Prozent an, und laut Fachbereichsleitung Augustine Reppe ist er in diesem Jahr erneut deutlich angestiegen.

Neumeier sagt, dass das Frankfurter Bahnhofsviertel schon immer eine Crack-Hochburg war. Ebenso der Leopoldplatz in Berlin oder der Hamburger Stadtteil St. Georg sind bekannte Drogenhotspots. Allerdings kommen seit einigen Jahren neue Städte dazu, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Crack sei dort bis vor einigen Jahren kein Thema gewesen, so die Psychotherapeutin. Aber jetzt schon.

Das Craving ist bei Crack sehr hoch

«Seit Anfang der 2020er-Jahre sehen wir den Anteil der Crack-Konsumenten in der offenen Szene deutlich steigen», erklärt Neumeier mit Blick auf NRW. In manchen Städten des Bundeslandes sei Crack in der offenen Szene inzwischen die meistgebrauchte Droge. Typischerweise werde es von Menschen aus der offenen Drogenszene konsumiert, Personen, die auch schon vorher hochriskant Drogen konsumiert hätten. 

«Beim Crack-Rauchen entsteht eine Euphorie. Man fühlt sich leistungsfähig, man hat ein hohes Selbstvertrauen, wird redselig, hat weniger Hemmungen, weniger Ängste und eine hohe Risikobereitschaft.» Auch andere anregende Drogen hätten diesen Effekt, bei Crack sei er aber extrem stark. Das Runterkommen danach werde als sehr unangenehmem und abrupt beschrieben, erklärt Neumeier. Das Verlangen, erneut zu konsumieren – auch Craving genannt -, sei extrem stark, dadurch entstehe ein schneller Kreislauf des Konsums.

2.137 Drogentote

Ein Mann im Frankfurter Bahnhofsviertel bedauert es immer noch, dass er unbedingt Crack ausprobieren wollte, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Er betont, dass man alles verliert. «Am Anfang ist es dein Geld, dann deine Wertsachen, dann riskierst du deinen Job.» Man tue viel, um den nächsten Konsum finanzieren zu können. «Das habe ich bei Heroin nicht gemacht. Aber beim Crack dann», sagte er. Sein Konsum koste 250 bis 300 Euro am Tag.

Im Jahr 2024 starben in Frankfurt am Main 20 Menschen in Verbindung mit ihrer Suchterkrankung. In Hamburg waren es 102, in Berlin 294 – so viele wie noch nie. In ganz Deutschland wurden 2.137 Drogentote registriert. Oftmals sind mehrere Drogen im Spiel, darunter auch Crack. Die Zahl der Drogentoten steigt seit Jahren tendenziell an.

So verheerend ist der Konsum

Auch wenn der Konsum nicht tödlich endet, sind die Folgen für Crack-Abhängige meist verheerend. Manche konsumieren praktisch nonstop, schlafen tagelang nicht, essen nicht, trinken nicht, waschen sich nicht. «Das führt zu einer extrem schnellen Verelendung», sagt Neumeier. Die Lebenserwartung ist stark reduziert. Deutschland hat eigentlich ein gutes Hilfesystem. Doch bei schwerst Crack-Abhängigen ist es extrem schwierig, sie dauerhaft an die Suchthilfe zu binden.

Arthur Coffin vom Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin sagt: «Bei Crack braucht man niedrigschwellige Angebote.» Termine einzuhalten, etwa für ein Beratungsgespräch, sei für Betroffene extrem schwierig. Deshalb müsse man die Menschen direkt aufsuchen und sie vor Ort betreuen, mit sauberen Utensilien oder Essen. Es gehe auch darum, die Nachbarschaft zu entlasten. In Berlin sei die Droge inzwischen weiter verbreitet als Heroin und andere Opioide. 

Anwohner fühlen sich unwohl

Die Bewohner des Schillerkiez in Neukölln, Berlin, sitzen in den Hauseingängen, beugen sich über ihre Alufolien und haben teils offene Wunden. Eine Anwohnerinitiative hat deshalb Alarm geschlagen und einen offenen Brief veröffentlicht. Sie sagen: „Unsere Kinder können nicht mehr unbeschwert draußen spielen.“

In 8 von 16 Bundesländern gibt es laut Neumeier Drogenkonsumräume. Alle böten inzwischen Rauchplätze an. In den meisten dürfe auch Crack konsumiert werden. Warum gehen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht dort hin? «Die Entzugssymptome sind so stark, dass es unmittelbar und gleich und jetzt passieren muss», erklärt Reppe von Vista. Die Mitarbeiter machen in Gesprächen klar, dass nicht im Umfeld konsumiert werden soll. «Das wissen die Konsumierenden auch, aber sie schaffen es nicht immer.» Crack-Süchtige würden sehr stigmatisiert, es gebe wenige Räume, in denen sie sich aufhalten könnten und dürften.

Welche Lösungsansätze es gibt

Wie kann man den Menschen besser helfen und auch die Wohnviertel entlasten? Es gibt kein Substitutionsmittel wie Methadon für Heroin. Es sei notwendig, mehr Personal einzustellen, idealerweise ein 24-Stunden-Angebot für Süchtige, sowie mehr Orte, an denen Abhängige sich aufhalten können, sagt Coffin. Reppe sagt, dass auch mehr Konsumräume eine Maßnahme wären.

Auch ein Blick in die Schweiz könnte helfen. Das Land gilt als Vorbild für eine liberale Drogenpolitik. In Genf etwa sind neuerdings auch Mediziner auf der Straße unterwegs, weil viele Crack-Konsumierende wegen ihres hektischen Konsums Termine in Einrichtungen nicht mehr einhalten, wie Frank Zobel, stellvertretender Leiter von Sucht Schweiz, sagt. «Das ist ein Schlüsselelement: auf die Leute zugehen, nicht warten, dass sie kommen.» In der Deutschschweiz werde zudem in den Kontakt- und Anlaufstellen der Handel mit kleinsten Mengen zugelassen. «So bringt man den Markt aus dem öffentlichen Raum nach drinnen.» Ein Wundermittel gefunden habe bislang aber noch niemand.

dpa